Drama | USA 1997 | 87 Minuten

Regie: David D. Williams

Unspektakulär und ohne aufgesetzte dramatische Zuspitzungen erzählt der unabhängig produzierte Film von einer ungewöhnlichen Mutter-Tochter-Beziehung, die auch nach einem "Ausreißen" des 13-jährigen Mädchens nicht in ihren Grundfesten erschüttert ist. Der Film nimmt besonders seine junge Protagonistin in ihren Widersprüchen ernst, ohne ihre Handlungen zu analysieren und auf ein simples Ursache-Wirkung-Schema zu reduzieren. Mit dokumentarischer Genauigkeit und ethnologischem Blick, unter Auflösung chronologischer Abläufe, wird nebenbei der Alltag der schwarzen Community, in der Beide leben, treffend beschrieben. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
THIRTEEN
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1997
Produktionsfirma
Bellevue Films
Regie
David D. Williams
Buch
David D. Williams
Kamera
David D. Williams
Musik
Cecil Hooker · Shep Williams · Carlos Garza
Schnitt
David D. Williams
Darsteller
Nina Dickens (Nina) · Lillian Folley (Lillian) · Hermine Douglas (Sekretärin) · Alan Douglas (Computerladenbesitzer) · Anisa Dickens (Kiki)
Länge
87 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama
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Diskussion
Im Jahr 1953 drehten Ray Ashley, Morris Engel und Ruth Orkin einen kleinen Film über einen siebenjährigen Jungen, der heimlich nach Coney Island ausbüxt und sich dort vom Zauber des Vergnügungsparks treiben lässt. „Little Fugitive“, so der Name des Films, soll François Truffaut inspiriert haben. Nicht zuletzt deshalb, weil die Geschichte des kleinen Joey lebensnah, spontan, ohne dramatische Zuspitzungen erzählt und mit kleiner Kamera auf der „Straße“ gedreht wurde – gewissermaßen aus der Perspektive von unten, aus der Sicht des Kindes. Nicht vor einem halben Jahrhundert, wohl aber immerhin vor fünf Jahren drehte der in Virginia lebende Maler, Fotograf und Filmemacher David Williams mit „Thirteen“ einen Film, der in vieler Hinsicht an „Little Fugitive“ erinnert. Nina ist ein 13-jähriges Mädchen, das mit seiner Mutter in einer amerikanischen Kleinstadt lebt. Beider Leben verläuft unspektakulär, sie sind gut integriert in die schwarze Community, die sich durch enge Kontakte und große Solidarität auszeichnet. Nina ist eher introvertiert, keinesfalls ein nach außen hin aufmüpfiger Teenager – das Pendant ihrer kräftigen, in sich ruhenden Mutter, die auch durch die Ereignisse der nächsten Zeit nicht in Hektik verfallen wird. Denn kurz nach Ninas Geburtstag verschwindet das Mädchen plötzlich ohne Abschiedsbrief, kein Streit oder ein sonstiges, den Aufbruch motivierendes Ereignis ging voraus. Ein Nachbar sah Nina gerade noch freiwillig in ein Auto einsteigen. Mit vereinten Kräften wird die Nachbarschaft abgesucht, Polizisten und Sozialarbeiter versuchen Ansatzpunkte für ihre Nachforschungen zu finden. Doch von dem Mädchen fehlt jede Spur. Wo Hollywood – und wahrscheinlich auch noch die meisten anderen Filme – zu großem Aktionismus, schnellen Schnittfolgen, dramatisierender Musik und äußeren Insignien größter Verzweiflung greifen würde, bleibt Williams’ Film unglaublich gelassen. Der Zuschauer wird nicht zum Mitleiden getrieben, sondern dokumentarisch-nüchtern mit der Situation konfrontiert. Ein wenig verdankt sich diese Gelassenheit dem Umstand, dass man durch den Kommentar von Ninas Mutter geleitet werden, die die Vorgänge aus der Rückschau erzählt – ohne dass der Film selbst dadurch aber auf ihre Perspektive festgelegt würde. In diesem Film gibt keine Person oder Instanz vor, die Beweggründe des Mädchens erklären zu können. Nina bleibt eine Art Black Box, was in ihr vorgeht, bleibt unergründlich, und das macht den Film so unvergleichlich menschlich und lebensnah. Die Montage, die Gegenwart und Vergangenheit verschränkt, ist nicht auf Deutung aus, beschreibt nicht Ursache und Wirkung, wie sie Filme in aller Regel suggerieren wollen. In freiem Fluss sieht man das Mädchen in eingestreuten Sequenzen auf seiner Wanderung durch die Landschaft, auf der Suche nach sich selbst, nach dem Gefühl von Freiheit und Eigenständigkeit. Doch selbst das ist schon fast zuviel an Interpretation. Wenn Nina nach vier Tagen nach Hause zurückkommt und von dem Wunsch bestimmt ist, sich Geld für ein eigenes Auto zu verdienen, ist das einfach so. Williams nimmt seinen Teenager absolut ernst. Die leise Komik und kindliche Naivität, die manchmal aus Ninas Handlungen sprechen, sind von größter Natürlichkeit, wirken charmant und natürlich. Daneben entsteht aber immer auch das Bild eines robusten, willensstarken Charakters. Sie wollte einmal erfahren, wie es ist, auf sich allein gestellt zu sein, erzählt sie ihrer Mutter, die der Tochter auch nicht lange böse ist. Was bei dieser ungewöhnlichen Mutter-Tochter-Beziehung (beide Darstellerinnen spielen sich selbst) auf den ersten Blick etwas nach gegenseitigem Unverständnis, sogar nach Interesselosigkeit aussehen mag, ist bei näherem Hinsehen doch eher die unbedingte Bereitschaft, dem anderen seine Freiheit und seine Persönlichkeit zu lassen. Die bodenständige Mutter scheint gerade auf diese Weise ihre Liebe auszudrücken, wesentlich eindrucksvoller als durch wortreiche Beglaubigungen. Dieses Understatement, diese entspannte Haltung ist die Stärke des Films. In seiner dokumentarischen Genauigkeit und seinem stimmigen Blick auf den ethnologischen Hintergrund merkt man ihm an, dass Williams im „richtigen“ Leben seit Jahren als Nachbar und nach vorangegangenen Kurzfilmen mit seinen Protagonistinnen und ihrem sozialen Umfeld äußerst vertraut ist.
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