Das Schicksal (1997)

Biopic | Frankreich/Ägypten 1997 | 135 Minuten

Regie: Youssef Chahine

Szenen aus dem Leben des großen maurischen Übersetzers, Rechtsgelehrten und Philosophen Ibn Rushd bzw. Averroes (in latinisierter Form), der im ausgehenden 12. Jahrhundert die Blütezeit einer kurzen islamischen Aufklärung verkörperte. Nachdem der Kalif von Córdoba den Gelehrten zunächst förderte und achtete, geriet er mehr und mehr unter den Einfluss von Fundamentalisten, ließ schließlich dessen Bücher verbrennen und ihn selbst nach Marrakesch verbannen. Da Kopien der Werke nach Kairo in Sicherheit gebracht worden waren, konnten diese die Jahrhunderte überleben. Eine mutige Parabel auf die Erosion von Toleranz und Aufklärung durch den Vormarsch fundamentalistischer Ideen, die deutliche Analogien zu aktuellen Entwicklungen im Nahen Osten aufweist. (O.m.d.U.)
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Filmdaten

Originaltitel
AL-MASSIR | LE DESTIN
Produktionsland
Frankreich/Ägypten
Produktionsjahr
1997
Produktionsfirma
Ognon Pictures/Misr International
Regie
Youssef Chahine
Buch
Youssef Chahine · Khaled Youssef
Kamera
Mohsen Nasr
Musik
Kamal el-Tawil · Yehia El Mougy
Schnitt
Rachida Abdel Salam
Darsteller
Nour el-Chérif (Ibn Rushd) · Safia el-Emary (Zainab, seine Frau) · Mahmoud Hémida (Kalif el-Mansur) · Mohamed Mounir (Marwan, der Sänger) · Khaled el-Nabawi (Prinz Nasir)
Länge
135 Minuten
Kinostart
-
Genre
Biopic | Historienfilm

Diskussion
Der maurische Philosoph Ibn Rushd bzw. Averroes (in latinisierter Form) steht wie kein anderer für die kurze Blütezeit einer islamischen Aufklärung im ausgehenden 12. Jahrhundert. Im andalusischen Córdoba als Kadi amtierend, unterhielt er ein offenes Haus, in dem sich Freunde und Schüler zu Gesang und Tanz, vor allem aber auch zu philosophischen Disputen einfanden. In seinen Schriften plädierte er für eine Trennung von Philosophie und Theologie und sprach sich vehement gegen Denkverbote jeglicher Art aus. Sein Einfluß auf das abendländische Denken ist nicht hoch genug einzustufen – daß Aristoteles erst durch seine Übersetzungen und Kommentare dem europäischen Geistesleben zugänglich gemacht wurde, spricht für sich. Nach einer langen Odyssee von Verbannung und Flucht – die Ayatollas hatten beim zunächst toleranten Kalifen gegen ihn intrigiert und schließlich die berüchtigte „Fatwa“ erwirkt – starb Ibn Rushd am 11. Dezember 1198, also vor ziemlich genau 800 Jahren, in Marrakesch. Die Liste seiner Verehrer reicht von Dante und dem Staufer-Kaiser Friedrich II. über Voltaire und Renan bis hin zu Ernst Bloch.

Die politischen Analogien sind überdeutlich, sie leben aber auch im Detail. Natürlich ist „Das Schicksal“ eine Parabel auf den Vormarsch des islamischen Fundamentalismus im Nahen Osten, auf die damit einhergehende Erosion von Toleranz und Aufklärung. Daß Youssef Chahine damit sein eigenes Leben aufs Spiel setzt, dürfte nicht erst seit dem Mordanschlag auf Nobelpreisträger Nagib Machfus 1994 in Kairo oder dem Verdikt gegen Salman Rushdie (man beachte die Namensähnlichkeit zu Ibn Rushd) bekannt sein. Auf diese Gefahr angesprochen, entgegnete Chahine in einem Interview lakonisch: „Das ist nicht wichtig. Das ist meine Aufgabe. Wenn ich mir über die Gefahr Sorgen machen würde, würde ich nie irgendetwas tun.“ Der Nestor des ägyptischen Kinos setzt mit seiner Spielfilmhandlung in der Blütezeit des arabischen Andalusiens ein, in der allerdings bereits der Verfall keimt. Die (noch) zivilisatorische Überlegenheit dieses Zusammenlebens zwischen Muslimen, Christen und Juden wird an Hand eines Emigranten aus dem benachbarten Languedoc aufgezeigt: Während dort noch finsteres Mittelalter herrscht und die Scheiterhaufen der Inquisition lodern, um Katharer und Waldenser zu verbrennen, regieren jenseits der Grenze Lebensfreude und Intellektualität. Mit der Perspektive des erstaunten Flüchtlings werden Personen und Schauplätze vorgestellt: das Haus des Gelehrten als Hort der Aufklärung einerseits, andererseits der Palast des Kalifen als Stätte der Machtausübung sowie verborgene Orte, in denen die Verschwörung gesponnen wird. Zwischen diesen Polen pendeln Kuriere, kommt es zu Aktion und Reaktion. Allmählich verändern sich die Dinge, und nicht zum Guten. Fördert und achtet der Kalif zunächst noch Ibn Rushd, gerät er später mehr und mehr unter den Einfluß der Fundamentalisten. Seinen eigenen vernachlässigten Sohn verliert er sogar an eine terroristische Sekte, die in der Wüste mit Trance-Übungen eine Art Gehirnwäsche betreibt und ebenso an die legendären „Assassinen“ erinnert wie an die aktuellen „Revolutionsgarden“ oder Taliban-Milizen. Der Bruder des Kalifen hingegen, Statthalter von Córdoba, steht zum Philosophen und vermag dessen Demontage lange aufzuhalten. Nach öffentlicher Demütigung und ritueller Verbrennung aller Bücher bleibt dennoch nur die Flucht bzw. Verbannung. Als Triumph des Geistes über dumpfe Machtdünkel kann Ibn Rushd zuletzt doch noch die Nachricht feiern, daß seine Schüler längst alle Werke kopiert und sicher in einer Kairoer Bibliothek deponiert haben. Das Prinzip Hoffnung erscheint als Schrifttafel am Ende des Films: „Gedanken haben Flügel, niemand hält sie auf!“(Chahine)

Wenn auch die Mitteilung in ihrer Absolutheit nicht ganz zutrifft, daß mit „Das Schicksal“ erstmals ein Film des „größten Regisseurs der arabischen Welt ins deutsche Kino kommt (das Befreiungs-Epos „Djamila“ lief 1961 in der DDR), so ist der Verdienst des kleinen Verleihs nicht hoch genug einzuschätzen, diesen Film zugänglich zu machen. Georges Sadouls 1965 im Aufsatz „Permanenz der ägyptischen Filmkunst“ getroffene Einschätzung, daß Chahine es verdient habe, im Ausland besser bekannt zu sein, hat an Aktualität in keiner Weise verloren. Sicher, für den westlichen Zuschauer mögen einige Momente der filmischen Gestaltung befremdlich wirken; so die ausufernde epische Breite mit ihrer kaum zu überschauenden Vielzahl an Beziehungssträngen, die „altmodischen“ Rückprojektionen oder die pathetisch kommentierenden Orchesterparts. Doch liegen gerade darin auch die Originalität und der Charme des Films. Es tut gut, diese abseits eingeschliffener Unterhaltungskonventionen liegende Filmsprache wahrzunehmen. Im Gegenzug zur enormen Zivilcourage von Seiten des Filmemachers stellt die Bereitschaft, sich darauf einzulassen, nur ein kleines Maß an Toleranz dar. Dies ganz im Sinne von Ibn Rushd.
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