Mifune - Dogma III

- | Dänemark 1998/99 | 101 Minuten

Regie: Søren Kragh-Jacobsen

Ein junger Karrierist erfährt am Morgen nach der Hochzeitsnacht vom Tod seines Vaters, den er der Braut verheimlicht hat. Er reist aufs Land, um sein Erbe, einen verfallenen Bauernhof, anzutreten. Auch sein geistig behinderter Bruder braucht Hilfe. Die kleine Gemeinschaft wird durch eine junge Ex-Prostituierte und deren frechen Bruder ergänzt, die ebenfalls aus dem Gefängnis ihrer Geheimnisse ausbrechen wollen. Der dritte "Dogma"-Film erzählt eine leichthändig mit viel Situations- und Wortwitz inszenierte märchenhafte Geschichte und beschreibt Missverständnisse und Irrwege auf dem Weg zu einem von Lügen und Tabus befreiten Leben. Ein vergnüglicher Film, der inhaltlich an Ingmar Bergmans melancholische Komödien der 50er Jahre erinnert. (Frühere "Dogma"-Filme: "Die Idioten", "Das Fest") - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
MIFUNE SIDSTE SANG
Produktionsland
Dänemark
Produktionsjahr
1998/99
Produktionsfirma
Nimbus Film/Zentropa Entertainments/DRTV/SNT Drama
Regie
Søren Kragh-Jacobsen
Buch
Søren Kragh-Jacobsen · Anders Thomas Jensen
Kamera
Anthony Dod Mantle
Schnitt
Valdís Óskarsdóttir
Darsteller
Anders W. Berthelsen (Kresten) · Iben Hjejle (Liva) · Jesper Asholt (Rud) · Sofie Gråbøl (Claire) · Emil Tarding (Bjarke)
Länge
101 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.

Heimkino

Verleih DVD
Concorde (1.85:1, Mono dt.)
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Diskussion
„Dogma“, der dritte Versuch! Nach Thomas Vinterbergs „Fest“ (fd 33 486) und Lars von Triers „Idioten“ (fd 33 631) tritt nun Søren Kragh-Jacobsen ins Rampenlicht und erweist sich mit „Mifune“ im Vergleich zu seinen schwergewichtigen Vorgängern geradezu als Gefallsmensch und Satyrspieler. An Stelle abgrundtiefer Verstörung tritt hier die Lust am Komischen, an Stelle der spröden Verunsicherung das unterhaltsame Plädoyer für Glück durch Harmonie. Doch so verschieden die einzelnen Arbeiten der „Dogma“-Regisseure auch sein mögen – überall irrlichtert das geistige Universum Ingmar Bergmans. Der puristische Prediger Lars von Trier ist ihm ebenso verwandt wie der freundliche Plauderer Kragh-Jacobsen; von Bergmans „Der Ritus“ führt ein ähnlich kleiner Schritt zu „Idioten“ wie von „Das Lächeln einer Sommernacht“ (fd 13 512) zu „Mifune“. Wie die vorangegangenen „Dogma“-Produktionen unterwirft sich Kragh-Jacobsen weitgehend den formalen Regeln der Gruppe, arbeitet mit Handkamera ohne Filter, mit natürlichem Licht, authentischem Ton. Auch inhaltlich schließt er bei seinen Vorgängern an und entwirft eine in der Gegenwart spielende Geschichte um das von Vinterberg auf den Punkt gebrachte Thema: „In einer Familie hat Wahrheit nicht immer Platz.“ In den ersten Szenen ist Kresten, die Hauptfigur, dabei zu heiraten. Seit Jahren lebt der junge Mann in der Stadt; nun führt er die Tochter seines wohlhabenden Chefs zum Traualtar. Noch in der Hochzeitsnacht klingelt das Telefon: Man teilt ihm mit, daß sein Vater gestorben sei und er das Erbe antreten müsse. Dies besteht aus einem verfallenen Bauernhof, in dem nur noch sein geistig behinderter Bruder Rud wohnt. Kresten hatte seinen städtischen Bekannten weder von seiner Herkunft noch von der Familie erzählt; er schwieg aus Scham und sicher auch aus Berechnung. Schließlich lockte der Job, das Geld, die „bessere“ Gesellschaft, und er konnte nichts gebrauchen, was ihm einen Zutritt in diese Kreise erschwerte.

Wie in Barry Levinsons „Rain Man“ (fd 27 420) setzt mit der Reise in die eigene Vergangenheit und der Wiederbegegnung mit dem Bruder ein Prozeß sittlicher Läuterung ein. Auch hier gibt ein verschütteter Begriff aus der Kindheit, eine Reminiszenz an die verlorengegangene Geborgenheit, dem Film seinen Titel: „Mifune“ war ein Spiel, das Kresten und Rud einst für sich allein erfunden hatten. Mifune: ein Fantasiegestalt zwischen Samurai und Außerirdischem, in einem Reigen des Versteckens, Suchens und Findens, im Kampf für das Gute und die Abwehr des Bösen: „Glück ist, wenn Mifune aus dem Keller kommt.“ Kresten, der zu Beginn den Bauernhof am liebsten verkaufen und den Bruder ins Heim geben würde, bringt das bald nicht mehr übers Herz. Begriffe wie Verantwortung und Liebe beginnen sich für ihn wieder mit konkreten Inhalten zu füllen (mit Liebe hatte der zuvor ausführlich zelebrierte Beischlaf in der Hochzeitsnacht wohl wenig zu tun). Wie das geschieht, kommt einem Traum gleich, einem modernen, zivilisationskritischen Märchen.

Kragh-Jacobsen hält sich nicht lange mit Krestens Stadtfamilie auf: Die junge Ehefrau reist einmal kurz aufs Dorf, inspiziert die Lage, verschwindet und reicht die Scheidung ein. Das Universum der Reichen, die Stadt, die Welt des sittlichen Verfalls, wird mit knappen Bildern abgewertet: etwa wenn sich Kresten über seinem Handy übergibt. Viel mehr interessiert sich der Regisseur für jene vier Figuren, die schließlich im Grünen, auf dem Bauernhof miteinander zu leben lernen: Zu Kresten und Rud stoßen noch die per Annonce herbeigeholte Haushälterin und Ex-Prostituierte Liva und deren kleiner, frecher Bruder Bjarke. Wie Kresten schleppen auch sie ihre Geheimnisse und Lügen mit sich herum, haben einen Mantel des Schweigens und der Camouflage um sich gelegt. Der Mensch, so zeigt der Film, ist im Grunde seine Wesens einsam und verschlossen; und es fällt ihm schwer, sich zu öffnen. Ist er aber dazu bereit, so lautet Kragh-Jacobsens schlichtes, vielleicht naives, auf jeden Fall aber optimistisches Credo, kann er Vergebung und innere Ruhe finden. „Mifune“ erzählt das mit reichlich Situations- und Wortwitz, mitunter ganz nahe am Slapstick, ohne romantische, melancholische oder drastische Szenen auszusparen: Liva wird mehrfach vergewaltigt, Kresten verprügelt, und Rud ertrinkt fast im See. Man weiß ziemlich bald, wie „Mifune“ enden wird; aber dem Regisseur gelang es, zahlreiche Wendungen in die Handlung einzubauen, die das Geschehen immer wieder aufbrechen, umstülpen, in unverhoffte Richtungen und zu merkwürdigen Bildern bewegen – bis hin zu einem Straußenvogel, der im dänischen Busch einherschreitet. Am Ende beobachten Bjarke und Rud die Schwester und den Bruder, die gemeinsam tanzen: „Mensch, wie banal“, kommentiert Bjarke, „wir hauen ab, bevor es pornografisch wird.“ Mit solchen Sentenzen beginnen die „Dogma“-Filme, sich selbst zu zitieren und zu ironisieren. Nicht zuletzt das macht „Mifune“ zu einem ungetrübten cineastischen Vergnügen.
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