- | Großbritannien/USA 1999 | 95 Minuten

Regie: Brian Gibson

Eine mittelmäßige Rock-Formation der 70er-Jahre steigt 20 Jahre später wieder ins Geschäft ein und wird mit den Geistern der Vergangenheit konfrontiert. Eine ungeheuer witzige Rock-Komödie mit Tiefgang, die durch das durchdachte Drehbuch und den Spielwitz ihrer Darsteller für sich einnimmt und trotz aller Reminiszenzen nie im Nostalgischen verhaftet bleibt. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
STILL CRAZY
Produktionsland
Großbritannien/USA
Produktionsjahr
1999
Produktionsfirma
Marmot Tandy Prod./The Greenlight Foundation/Columbia Pictures Corporation
Regie
Brian Gibson
Buch
Dick Clement · Ian La Frenais
Kamera
Ashley Rowe
Musik
Clive Langer · Alan Winstanley
Schnitt
Peter Boyle
Darsteller
Stephen Rea (Tony Costello) · Billy Connolly (Hughie, der Roadie) · Jimmy Nail (Les Wickes) · Timothy Spall (Beano Baggot) · Bill Nighy (Ray Simms)
Länge
95 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Universal (16:9, 1.85:1, DD5.1 engl./dt.)
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Diskussion
Das „My Generation“ – Credo der Rockgruppe „Who“ , sterben zu wollen, bevor man alt wird, haben sie überlebt und sind statt in der „Hall of Fame“ im tristen Alltag gelandet: die Musiker der (fiktiven) 70er Jahre-Rockband „Strange Fruit“ . Schuld daran war 1977 ein Blitzschlag beim Wisbech Festival, der ihre Anlage außer Gefecht und der Karriere ein jähes Ende setzte. Doch als 20 Jahre später Rock-Opas wie die „Rolling Stones“ und die weißgeschminkten „Kiss“ wieder touren, ist die Zeit reif für ein Revival der seltsamen Früchtchen mit Midlife-Crisis. Geld spielt dabei die ausschlaggebende Rolle: Keyborder Tony Costello ist mit seinem Exklusiv-Kondomvertrieb für die Balearen gescheitert und hofft zudem auf ein spätes Glück mit seiner alten Flamme Karen Knowles, die einst den Leadgitarristen Brian Lovell vorgezogen hatte. Sänger Ray Simms ist zwar von Marihuana auf chinesische Kräuterpillen umgestiegen, hält sich aber immer noch für den Größten. Völlig weltfremd residiert er in großem Stil auf einem pompösen Landsitz, steht aber in Wahrheit kurz vor der Pleite. Der wilde Schlagzeuger Beano Baggot ist in einem heruntergekommenen Wohnwagen gelandet und ständig auf der Flucht vor dem Finanzamt, lebt aber immer noch nach dem alten Prinzip „Sex, Drugs and Rock’n’ Roll“ . Nur der ruhige Bassist Les Wickes hat es zu einer gesicherten bürgerlichen Existenz mit eigenem Betrieb, Frau und Kindern gebracht. Doch in ihm brennt weiterhin die verzehrende Flamme des Rock, und er träumt davon, es als Sänger dem alten Rivalen Ray zu zeigen. Mit von der Partie ist auch die gute Seele und ehemalige Roadie Hughie, für den die Band alles war. Er fungiert zugleich als frech die Geschehnisse kommentierender Erzähler. Als einziger nicht auffindbar ist Brian Lovell. Alle Anzeichen deutet darauf hin, daß der charismatische Kopf von „Strange Fruit“ tot ist.

Nach „Velvet Goldmine“ (fd 33 431) und „Boogie Nights“ (fd 33 156) werden die 70er Jahre erneut aus der Retrospektion besichtigt. Die Briten führen im Anschluß an solche Publikums- und Kritikerfolgen wie „Ganz oder gar nicht“ (fd 32 818) abermals mustergültig vor, wie attraktiv, witzig und unterhaltsam europäisches Kino sein kann, ohne seinen Anspruch zu verraten oder Hollywood zu imitieren. Produzentin Amanda Marmot versammelte dafür ein Expertenteam in Sachen Film und Musik: Das Autorenduo Dick Clement und Ian La Fresnais schrieben zusammen mit Alan Parker immerhin den Welterfolg „The Commitments“ (fd 29 158)). In „Strange Fruit“ konfrontieren sie den offenen Geist und das spezifische Lebensgefühl der 70er Jahre mit der nüchternen Realität der 90er. Ihr ingeniöses Drehbuch brilliert mit witzigen und schlagfertigen Dialogen voller Selbstironie – man denke nur an den Titel – und meistert mühelos die dramaturgische Gratwanderung, sechs Hauptfiguren sowohl in ihren Eigenheiten als auch in ihrem dichten Beziehungsgeflecht gerecht zu werden. Über kleine Schwächen, wie die ins Leere laufenden Handlungsstränge des „love interest“ zwischen Tony und Karen als auch zwischen ihrer Tochter Clare und dem jungen Musiker Luke, sieht man deshalb gerne hinweg.

Regisseur Brian Gibson reüssierte im Musikfilmgenre mit Bio-Pics über Josephine Baker und Tina Turner („Tina -What’s Love Gots to Do with it?“ , fd 30 421). Wie in diesem Vorgänger ist Gibsons Inszenierung der musikalischen Auftritte herausragend. Einmontierte Aufnahmen in Form subjektiver Erinnerungen, die sich sichtbar am Beatles-Film „Hi Hi Hilfe!“ (fd 13 778) orientieren, vermitteln die einstige Aura der jungen Rocker. Zum rundum positiven Gesamteindruck dieses Feel-Good-Movies mit Niveau trägt bei, daß ausschließlich Originalkompositionen, größtenteils aus der Feder von Mick Jones von „Foreigner“ und Jeff Lynne vom „Electric Light Orchester“ , zu hören sind. Einige dieser Songs wie „The Flame Still Burns“ sind regelrecht hitverdächtig. Die Schauspieler agieren inspiriert und spielfreudig und geben glaubhaft die altgewordenen Rocker in der Spannung zwischen glamouröser Vergangenheit und glanzloser Gegenwart, wobei Stephan Rea erstaunlicherweise den blaßesten Eindruck hinterläßt. Mike-Leigh-Darsteller Timothy Spall besticht als lebenslustiger Drummer Beano Baggot, und der berühmte schottische Komiker Billy Connolly ist als langmähniges Rock’n’Roll-Urgestein Hughie so sehr in seinem Element, daß man kaum den männlichen Protagonisten von „Ihre Majestät: Mrs. Brown“ (fd 33 217) wiedererkennt. Der größte Trumpf von „Strange Fruit“ ist aber zweifellos der renommierte englische Bühnendarsteller Bill Nighy als Leadsänger Ray, der sich auch als großartiger Interpret entpuppt. Gerade seine Figur mit dünn gewordener Langhaar-Fönfrisur, in Glitterfummeln und auf Plateauabsätzen, hätte zur billigen Karikatur und Lachnummer verkommen können, beispielsweise, wenn der dem Alltag entrückte Esoteriker anstatt bei den Anonymen Alkoholikern bei den Anonymen Eßsüchtigen landet oder niederländische Konzertbesucher mit „Hello Belgium“ begrüßt. Vordergründig agiert er wie eine reanimierte Mumie; es gelingt ihm indes, hinter dieser Fassade das bewegende Drama um Angst vor dem Alter, Realitätsflucht und seinen Komplex, daß die Band ihn nie wirklich akzeptiert hat, erfahrbar zu machen. Ungeachtet all dieser Besetzungsvolltreffer bleibt (trotz der respektablen Leistung des multitalentierten Schauspielers, Autors und Regisseurs Bruce Robinson) der Traum von der ultimativen Casting-Climax: „Slowhand“ Eric Clapton als Brian Lovell.
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