Ein Spezialist

- | Frankreich/Deutschland/Belgien/Österreich/Israel 1999 | 128 Minuten

Regie: Eyal Sivan

Dokumentation über den Prozess gegen Adolf Eichmann, der im Dritten Reich für die millionenfache Deportation von Menschen - meist Juden - verantwortlich war und seine Verteidigung uneinsichtig auf Befehlsnotstand und Fahneneid aufbaute. Ein beeindruckendes Zeitdokument, das vom konkreten Anlass auf die Allgemeingültigkeit einer Situation weist, in der vermeintliche Pflichterfüllung der Menschlichkeit übergeordnet wird. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
UN SPECIALISTE, PORTRAIT D'UN CRIMINEL MODERNE | THE SPECIALIST
Produktionsland
Frankreich/Deutschland/Belgien/Österreich/Israel
Produktionsjahr
1999
Produktionsfirma
Momento/France 2 Cinéma/Bremer Institut Film Fernsehen/WDR/Image Création/RTBF/Lotus Film/Amythos Film & TV Prod./Noga Communications/Channel 8
Regie
Eyal Sivan
Buch
Rony Brauman · Eyal Sivan
Kamera
Leo T. Hurwitz
Musik
Yves Robert · Krishna Levy · Béatrice Thiriet · Jean-Michael Levy
Schnitt
Audrey Maurion
Länge
128 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
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Diskussion
Am 11. April 1961 begann in Jerusalem der Prozess gegen Adolf Eichmann, dem zur Last gelegt wurde, während des Dritten Reichs als Leiter des Referats IV-B-4 des Reichssicherheitshauptamts verantwortlich für die millionenfache Deportation von Menschen, zumeist Juden, in die Vernichtungslager in Osteuropa gewesen zu sein. Ein Jahr zuvor war Eichmann, der sich den Nürnberger Prozessen durch Flucht entziehen konnte, vom israelischen Geheimdienst in seinem Versteck in Argentinien aufgespürt und nach Israel verschleppt worden. Der Prozess gegen den „Schreibtischtäter“ Eichmann wurde in voller Länge auf Video aufgezeichnet. Leo T. Hurwitz standen vier Kameras zur Verfügung, die etwa 500 Stunden Material aufzeichneten, von denen heute noch 350 Stunden erhalten sind. Dieses Originalvideomaterial ist die ausschließliche Ausgangsbasis für Eyal Sivans Film, der sich auf bislang unveröffentlichte Bilddokumente konzentriert. Dabei ist Sivan darauf bedacht, nicht das Bild eines Monsters zu zeigen, sondern das Grauen in seiner erschreckenden Banalität: ein unscheinbarer Mann Mitte 50 im Straßenanzug und mit Brille, der sich während des Prozesses durch Aktenberge liest und sich penibel Aufzeichnungen macht. Eichmann macht keinen Hehl aus seiner Mittäterschaft, die in seinen Augen durch Fahneneid, Befehlsnotstand und Treuepflicht legitimiert und damit eben kein Verbrechen ist. Eine Haltung, die er während des gesamten Prozesses nicht ablegt, hinter der er sich als guter deutscher Bürokrat verschanzt, der stolz auf die reibunglose Deportation in chaotischer Kriegszeit ist. Diese Verharmlosungs- und Selbstentschuldungstendenzen führen folgerichtig zum sprachlichen Lapsus, wenn er die Verbringung in die Todeslager als Evakuierung bezeichnet und sich dagegen verwehrt, „Spediteur des Todes“ genannt zu werden.

Die Kamera konzentriert sich auf den SS-Obersturmbannführer, der von einer Glaskabine aus den Prozess verfolgt, auf den Hauptankläger Staatsanwalt Gideo Hauser, der bereits am Anfang durch Großaufnahmen in die Rolle des Volkstribuns gerückt wird, sowie die drei israelischen Richter deutscher Herkunft. Meist herrscht Ruhe im Gerichtssaal, und wenn sich in den Zuschauerreihen doch einmal Empörung lautstark Luft verschafft, sind die Richter sofort bereit, den Saal räumen zu lassen. Nichts soll den Prozess von einem normalen Verfahren unterscheiden. Währenddessen schürt Staatsanwalt Hauser bewusst die Emotionen, hat sich die Aufgabe gestellt, Eichmann aus der Reserve zu locken und ihm die Maske des Biedermanns zu entreißen. Doch dies gelingt selten. Es gibt nichts zu entreißen, wo nichts ist. Und das ist das Erschreckende an Eichmann, dem die Todesstrafe droht, der jedoch nicht zu verstehen scheint, dass man ausgerechnet ihm, dem Befehlsempfänger, dem gut funktionierenden Werkzeug in den Händen der Mächtigen, wegen einiger tausend Fahrpläne und Deportationslisten den Prozess macht.

Für „Ein Spezialist“ wurde das Videomaterial digital restauriert und auf 35mm-Negativfilm übertragen. Doch der Film argumentiert nicht allein durch seine kluge Montage, die durch Dopplungen und Wiederholungen die Haltung Eichmanns unterstreicht; auch Überblendungen tragen dazu bei, bei allen Veränderung das stets Gleiche augenfällig zu machen. Diesem Zweck dient auch der Schwarzfilm, der das Dokument in 13 Szenen gliedert. Besonders deutlich wird die Manipulation des Materials (was nicht negativ gemeint ist, sondern ein legitimes Mittel darstellt, um den Autorenstandpunkt zu unterstreichen) im Umgang mit dem Ton. Mitunter verdichten sich Musik, Geräusche und Reden zur Kakophonie, und nicht, was gesagt wird, ist wichtig, sondern die Erkenntnis, dass überhaupt und immer wieder etwas gesagt wird, dass man nicht müde wird, auf Eichmann einzureden, in der Hoffnung, ihm doch noch ein Schuldgeständnis zu entlocken. Entstanden ist eine nicht nur zeitgeschichtlich hochinteressante Studie, die vom konkreten Objekt auf das Allgemeine verweist und verdeutlicht, dass es Befehlsnotstände zu allen Zeiten gibt und sich immer willfährige Werkzeuge finden, die „nur“ ihre Pflicht erfüllen. Als Eichmann auf eine Feier am Ende der Wannsee-Konferenz angesprochen wird, auf der die „Endlösung der Judenfrage“ beschlossen wurde, versucht der Obersturmbannführer immer noch, sich reinzuwachsen. Gewiss, in Bezug auf die Ermordung der Juden seien unschöne, deftige Worte gefallen, an die er sich jedoch wirklich nicht mehr erinnern könne. Welch eine Lüge aus dem Mund eines Mannes, der sich während des Prozesses ansonsten an jedes noch so kleinste Detail erinnern konnte!
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