Kleines Tropikana

Tragikomödie | Kuba/Deutschland/Spanien 1997 | 112 Minuten

Regie: Daniel Diaz Torres

Ein toter deutscher Tourist sorgt in Havanna für helle Aufregung und gibt einem jungen Polizisten aus der Provinz Gelegenheit, sich zu bewähren und seiner überbordenden Fabulierlust zu frönen. Bei seinen Recherchen kommt dieser seiner eigenen Vergangenheit auf die Spur. Ein vielschichtiger Film, der mit erzählerischem Schwung, einer unbegrenzten Vielfalt liebevoller Details sowie dem unaufdringlichen Bezug auf die lateinamerikanische Erzähltradition aufwartet. Dabei nutzt er geschickt das Kriminalfilmgenre, um die Möglichkeiten der Vorstellungskraft auszuloten. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
TROPICANITA
Produktionsland
Kuba/Deutschland/Spanien
Produktionsjahr
1997
Produktionsfirma
ICAIC/Bertelsmann Media Group
Regie
Daniel Diaz Torres
Buch
Eduardo del Llano · Daniel Diaz Torres
Kamera
Raúl Pérez Ureta
Musik
Edesio Alejandro
Schnitt
Mirita Lores
Darsteller
Peter Lohmeyer (Hermann Pangloss) · Vladimir Cruz (Lorenzo Columbio) · Corina Mestre (Dora) · Thais Valdés (Silvia) · Carlos Cruz (Nicanor)
Länge
112 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Tragikomödie

Diskussion
Eine tropisch-feuchte Nacht in Havanna. Im Garten eines Mehrfamilienhauses im ehemaligen Luxusviertel Vedado liegt ein Toter. Die großen Flügel aus weißen Gänsefedern schlingen sich um den nackten Körper, die nächtliche Szene wird vom flackernden Blaulicht des Einsatzkommandos beleuchtet. Ein heikler Fall für Kubas Revolutionspolizei, denn der Tote ist kein anonymer Engel, sondern ein Tourist mit Namen Herrmann Pangloss. Was brachte den Deutschen dazu, mit schweren Schwingen und unbekleidet aus dem sechsten Stock zu fallen? Kapitalverbrechen an Touristen haben im devisenarmen Kuba höchste Priorität, und so ist der Fall schnell klar: Ein betrunkener deutscher Tourist ist während eines Maskenballs mit wilden Ausschweifungen vom Dach gefallen und hat sich das Genick gebrochen.

Aber der junge Polizist Lorenzo Columbio, der gerade erst aus einem Provinznest nach Havanna versetzt wurde, sieht in dem Fall „des Deutschen, der fliegen wollte“ seine große Chance, sich in der Hauptstadt zu beweisen. Dabei ist ihm sein kriminalistischer Scharfsinn Vehikel für seine unbegrenzte Fabuliersucht, und mit sprühender Fantasie rollt er den Fall von allen möglichen Seiten auf. In Rückblenden jagt eine Hypothese die nächste, und mit der enthusiastischen Erzählstimme des jungen Polizisten gewinnt der Film eine atemberaubende Geschwindigkeit. Seinen Vorgesetzten wird das Fabulieren bald zu viel, offensichtlich ist der Provinzler ungeeignet für den trockenen Polizeialltag der Hauptstadt. Doch während Lorenzo immer tiefer in den Fall hineinsteigt, kommt er unversehens seiner eigenen Familiengeschichte auf die Spur; denn die Geschichte des jungen Deutschen, der auf der Suche nach seiner kubanischen Mutter, seiner verlorenen Kindheit und der wahren Identität seines Vaters sein Leben verliert, reicht bis in die Zeit des Zweiten Weltkriegs zurück, als die Nazis vor der kubanischen Küste aus dem Zuckerrohrsaft „Guarapo“ ein Wunderelixier für die ewige Jugend gewinnen wollten. Viele Gesichter sind auch hierzulande inzwischen vertraut aus anderen kubanischen Filmen, so spielte Vladimir Cruz eine Hauptrolle in „Erdbeer und Schokolade“ (fd 30 999) von Tomás Gutierrez Alea. Neu in der „Familie“ des kubanischen Films ist dagegen Peter Lohmeyer, der meisterhaft alle Nuancen zwischen Schwärmerei und Misstrauen eines Mannes auf der Suche nach seinen Wurzeln in Havanna ausspielt. Ein bekanntes Gesicht ist auch das der Sekretärin Silvia, gespielt von Thais Valdés, die in Daniel Díaz Torres „Alicia im Dorf der Wunder“ (1991) die Hauptrolle spielte, jenem Film, der Díaz Torres schlagartig bekannt machte, als Kubas „Betonköpfe“ ein Verbot durchsetzten, was sich zu einem der spektakulärsten Zensurfälle der kubanischen Filmgeschichte auswuchs. „Heute“, sagt Díaz Torres, „sind die Probleme des kubanischen Films weniger politischer als wirtschaftlicher Natur.“ Viele Bilder aus „Kleines Tropikana“ erinnern an den vertrauten oppulenten Hintergrund lateinamerikanischer Erzähltradition der abgestürzten Engel – wer denkt dabei beispielsweise nicht an Fernando Birris Filmmärchen „Ein sehr alter Mann mit großen Flügeln“ (1988)? Aber „Kleines Tropikana“ bringt Schwung in die manchmal doch recht altbackene Rhetorik des magischen Realismus und ironischen Humor in die prätentiöse Poesie sinnstiftender Metaphern. Ständig springt der Film in Rückblenden durch Zeit und Raum: von den Alltagssorgen im Kuba des „periodo especial“ zu den Schwarzwaldtälern, in denen der Vater des Protagonisten, der vermeintliche Antifaschist, nach seiner Rückkehr aus Havanna den Nachtclub „Kleines Tropikana“ gründete. Spielerisch und mit der besonderen Ernsthaftigkeit des Spiels wirbelt Díaz Torres die Genre-Elemente durcheinander – Krimi, Agententhriller oder Melodram – , um die tausend Schichten der Stadt Havanna zu erfassen, ein Kuba im Umbruch. Der Kriminalfall ist dabei nur vordergründig, dem Regisseur geht es um die „verrückten Möglichkeiten der Vorstellungskraft und der Fantasie“. Genau darin liegt auch die besondere Stärke des Films; in seinem erzählerischen Schwung, der unbegrenzten Vielfalt liebevoller Details, dem Funkenflug der Improvisation.
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