Cyrano von Bergerac (1922)

- | Italien/Frankreich 1922 | 114 Minuten

Regie: Augusto Genina

Stummfilm nach dem berühmten Vers-Theaterstück von Edmond Rostand: Der Dichter, Haudegen und Kavalier Cyrano de Bergerac verliebt sich unsterblich in seine Cousine, erklärt sich ihr wegen seiner unförmigen Nase jedoch nicht, sondern stellt seine Dichtkunst in den Dienst eines in dieselbe Frau verliebten Rekruten. Ein volkstümliches Melodram, das in einem aufwendigen Verfahren von Hand koloriert wurde. Die farbliche Nachbereitung des in Schwarz-Weiß gedrehten Films nahm zur Entstehungszeit drei Jahre in Anspruch. Die jetzt vorliegende Fassung überzeugt durch intensive Pastelltöne und eine geschickt gewählte Vorführgeschwindigkeit, die dem Geschehen einen angemessenen Rahmen verleiht. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
CIRANO DI BERGERAC | CYRANO DE BERGERAC
Produktionsland
Italien/Frankreich
Produktionsjahr
1922
Produktionsfirma
Extra-Film Genina/U.C.I.
Regie
Augusto Genina
Buch
Augusto Genina · Mario Camerini · Diego Angeli
Kamera
Ottavio de Matteis
Musik
Kurt Kuenne
Darsteller
Pierre Magnier (Cyrano de Bergerac) · Linda Moglia (Roxane) · Angelo Ferrari (Baron de Neuvillette) · Umberto Casilini (Conte du Guiche) · Alex Bernard (Ragueneau)
Länge
114 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.

Diskussion
Im Klassiker-Kanon vieler seriöser Filmgeschichten fehlt dieses 1922 entstandene Werk. Sicher, Adaptionen von Edmond Rostands bekanntem Drama „Cyrano de Bergerac“ gab es schon früher: Die erste Version, von Clément Maurice mit Coquelin Aîné in der Titelrolle inszeniert, datiert aus dem Jahr 1900. Augusto Geninas 1922 in Schwarz-Weiß gedrehter Film wurde nach dem 1904 entwickelten Pathé-Color-Verfahren als Farbfilm in die Kinos gebracht. Dazu projizierte man zunächst Bild für Bild auf eine glatt polierte Glasoberfläche, um dann mit Pinsel oder Stempel und speziellen Schablonen bis zu maximal vier Farben aufzutragen. Mit einer der Serigraphie verwandten Technik wurden die Farben anschließend auf eine schwarz-weiße Positivkopie übertragen, um verschiedene Farbpaletten verwenden zu können. Dieser extrem arbeits- und kostenintensive Prozess dauerte drei Jahre, sodass Geninas Film erst im Herbst 1925, als die amerikanische Dominanz die sich ankündigende Krise des italienischen Kinos beschleunigte, in einer geringen Kopienzahl zur Aufführung gelangte. „Cirano di Bergerac“ wurde 1989 bei den Stummfilmtagen in Pordenone wiederentdeckt und in Kalifornien von David Shepard von der originalen Nitrat-Positivkopie mit einem Bell & Howell-Apparat aus dem Jahr 1909 Bild für Bild auf ein Eastmancolor-Negativ übertragen. Das Kopierwerk Alpha Cine in Washington nahm davon Dutzende Proben, um die Lichtbestimmung der ursprünglichen intensiven Pastellfarben wiederherzustellen. Und das Ergebnis kann sich trotz kleinerer Abweichungen sehen lassen: Die zarten Blau-, Grün-, Gelb- und Rottöne wurden Gemälden des 17. Jahrhunderts nachempfunden, um das Zeitkolorit des Stoffs nachzuempfinden. Insgesamt macht der in einer gut gewählten Vorführgeschwindigkeit überspielte restaurierte Film trotz einiger unscharfer, farblich dichter Szenen einen tadellosen Eindruck.

Paris, 1640. Eine Stadt des Schattens und des Lichts, wo sich Elend und Armut, Komödie und Tragödie hautnah gegenüberstehen – so lautet verheißungsvoll der erste Zwischentitel. Durch die Straßen flanieren Bürger, Soldaten, Händler, Frömmler und Scharlatane. Unter ihnen: die schöne Maid Magdeleine, genannt Roxane, begleitet von ihrer verständnisvollen Gouvernante, sowie der junge, aber unglückliche Rekrut Baron de Neuvillette, der in die Erstere unsterblich verliebt ist. In der abendlichen Commedia-dell’arte-Aufführung im Grand Théatre de Bourgogne, dem beliebten Pariser Volkstheater, kommt es zum legendären Auftritt des baldigen Helden Cyrano de Bergerac, der sich nach einem wirkungsvollen Fechtkampf in seine Cousine Roxane verliebt. Von der Natur mit einer überlangen hässlichen Nase gesegnet, wagt der tragisch-romantische Schwärmer nicht, ihr seine Liebe zu offenbaren. Als die Angebetete ihn beim Rendezvous um den Schutz des Jünglings bittet, leiht er dem melancholisch-schüchternen Konkurrenten sogar Stimme und Worte. Abkommandiert zur von den Spaniern belagerten Stadt Arras, stirbt Baron de Neuvillette auf dem Feld der Ehre. Die untröstliche Roxane geht ins Kloster, und Cyrano verrät sich erst 15 Jahre später durch das Vorlesen des letzten, von ihm geschriebenen Liebesbriefs.

Der Dichter, Philosoph, Soldat und Abenteurer Cyrano de Bergerac war mit seinen utopischen Reiseberichten von den „Reichen des Mondes und der Sonne“ äußerst populär, trat den Repräsentanten der zeitgenössisch-konventionellen Literatur mit polemischer Ironie entgegen. Mehrere Szenen des Films mit schelmischen Trickeinlagen erinnern an diese Besonderheit. Augusto Genina inszeniert dieses saftige, burleske Stück mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln. Fast unwillkürlich muss man an die intelligente, volkstümliche Dramaturgie eines Shakespeare denken. Üppige, satte Farben leuchtender Kostüme überstrahlen das herzzerreißende Melodram. Die Schauspieler, allesamt gut ausgewählt, agieren natürlich, vermeiden nahezu jedes Outrieren, das viele Werke des so genannten deutschen expressionistischen Films auszeichnet. „Diese Arbeit stellt nicht nur eine kühne Schlacht, sondern auch einen herausragenden Sieg dar. Wir sollten jene mit Verachtung strafen – dieselbigen wissen es schon – , die das römische Publikum fünf Jahre auf die Vorführung des Werks warten ließen, da es offensichtlich in ihren Augen eine ungeheure Last darstellt, zu beweisen, dass man in Italien auch großes Kino machen kann. Glücklicherweise setzt sich der Film von Genina über diese zeitliche Verzögerung hinweg, denn er ist frisch und lebendig, als ob er gerade fertiggestellt worden wäre“, schrieb Enrico Vidali voller Enthusiasmus und Pathos in einer zeitgenössischen Besprechung vom Januar 1926.
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