Das Leben, ein Pfeifen

- | Kuba/Spanien 1998 | 106 Minuten

Regie: Fernando Pérez

Eine filmische Liebeserklärung an Kuba und seine Hauptstadt, in der sich drei miteinander verflochtene Erzählstränge um Glück und das Gefühl des Unglücklichseins symbolhaft vermischen. Erzählt werden die Geschichte einer Altenpflegerin, die unter Ohnmachtsanfällen leidet, die eines lebenslustigen Musikers, der sich von seiner Mutter verstoßen fühlt, und die einer Tänzerin, die ein Keuschheitsgelübde ablegt, um eine ersehnte Rolle zu bekommen. Ein reizvolles Märchen, erzählt als ein Fluss poetischer Metaphern, das ein Zeichen der Hoffnung setzt, ohne die politische und soziale Wirklichkeit des Landes aus den Augen zu verlieren. (O.m.d.U.) - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
LA VIDA ES SILBAR
Produktionsland
Kuba/Spanien
Produktionsjahr
1998
Produktionsfirma
Instituto Cubano del Arte e Industrias Cinematográficos/Wanda Distribución
Regie
Fernando Pérez
Buch
Fernando Pérez · Humberto Jiménez · Eduardo del Llano
Kamera
Raúl Pérez Ureta
Musik
Edesio Alejandro
Schnitt
Julia Yip
Darsteller
Luis Alberto Garcia (Elpidio Valdés) · Coralia Veloz (Julia) · Claudia Rojas (Mariana) · Bebé Pérez (Bebé) · Isabel Santos (Chrissy)
Länge
106 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.

Diskussion
Das Leben ist ein Pfeifen und Havanna die Hauptstadt des Absurden, die Hauptstadt der Sehnsucht und der unerfüllten Wünsche. Vor dem Capitol fallen die Menschen ohnmächtig zu Boden, wenn sie bestimmte Reizworte hören wie Freiheit, Sex oder Ehrlichkeit. Kuba am Ende der 90er-Jahre: eine Gesellschaft in Trance, ein Alltag voller magischer Momente. Ein Taxifahrer weiß um die Verstrickungen des Lebens und steht zur rechten Zeit am rechten Ort. Doch wie im Märchen durchwirken sich Allmacht und Ohnmacht. Im entscheidenden Moment, als sich das Schicksal am Platz der Revolution erfüllen soll, versagt das Taxi - die Transportprobleme Havannas verdichten sich zur Unmöglichkeit, an denen selbst die magischen Mittel des Märchens scheitern. „In meinem Film geht es um Absurdität, um Unmögliches und um Zufälle“, sagt Fernando Pérez. Pérez ist der ruhigste, poetischste Regisseur seiner Generation (zu der u.a. Daniel Diaz Torres und Rolando Diaz zählen). Schon in „Hello Hemingway“ (fd 32 612) oder „Madagascar“ hatte er sich mit den Sehnsüchten und Sorgen der jüngeren Generation beschäftigt - der Liebe zur Insel und der Sehnsucht, diese zu verlassen, der Unruhe zwischen Geborgenheit und Neugierde, zwischen Heim- und Fernweh. Für Fernando Pérez ist „Das Leben, ein Pfeifen“ eine Liebeserklärung an Cuba, an Havanna, an das Leben. Seine Protagonisten sind Waisen auf der Suche nach ihrer Identität - eine häufige Metapher des lateinamerikanischen Films - , und so sieht auch der Regisseur seinen Film als universale Parabel: „Natürlich handelt mein Film von den sehr komplexen, kubanischen Probleme am Ende dieses Jahrhunderts. Aber darüber hinaus geht es auch um den Menschen an sich. Heutzutage sind wir alle irgendwie Waisenkinder auf der Suche nach irgendetwas, um unsere Leere auszufüllen.“

Die Hauptfiguren leben in dieser Leere. Auf der Suche nach dem Glück in Havanna, dem brodelnden Kosmos der Unmöglichkeiten. Nur Bebé ist glücklich mit sich und der Welt, wurde sie doch bereits als Kind aus der Gemeinschaft ausgeschlossen, weil sie immer nur pfeifen und niemals sprechen wollte. Sie erzählt aus der Tiefe des Ozeans heraus, wie eine Sirene, wie die Meeresgöttin der Yoruba, drei Geschichten ihrer Freunde und die Verkettung der Umstände: Julia, eine verdiente Altenpflegerin mit zahlreichen staatlichen Auszeichnungen, leidet an unkontrollierbarem Gähnen und geheimnisvollen Ohnmachtsanfällen. Sie liebt Tiere und möchte es allen Menschen recht machen. Der lebenslustige Musiker, der Mulatte Elpidio Valdés, fühlt sich schuldig: seine Adoptivmutter Cuba hat ihn verstoßen, weil er ihren hohen moralischen Ansprüchen nicht genügte. Mariana ist eine Tänzerin mit großem Traum: Um den Part der Giselle im Staatstheater von Havanna spielen zu dürfen, hat sie sich ein Keuschheitsgelübde auferlegt. Kuba ist ein Ort magischer Gleichzeitigkeit. Den Kindern wurde das Wort „Gleichheit“ eingetrichtert - im Altersheim sitzen die Greise beim Sonnenuntergang in einer langen Reihe und werden, während sie im Schaukelstuhl wippen, mechanisch mit dem Löffel gefüttert.

Eine Metapher für verkrustete Strukturen im karibischen Sozialismus? Pérez ist mit solchen Interpretationen nicht zufrieden: „Mein Film erzählt von Glück und Unglücklichsein, in der Sprache des Absurden - es ist ein Film über meine Stadt, über Havanna, in der sich das Absurde mit dem Wunderbaren mischt. Auf eine einfache, aber sehr symbolische Weise wollte ich von der Suche nach dem Glück erzählen.“ Doch das Glück finden die Protagonisten nicht im simplen Happy End. Als sich Marianas Traum fast erfüllt hat, während der Proben zum Ballett, muss sie zwischen ihrem Gelübde und der Liebe wählen. Ein junger Psychologe findet die Ursache für Julias Ohnmachtsanfälle heraus, und auch sie muss sich entscheiden - für ein Weiterleben mit der Lüge oder für die Wahrheit. Elpidio lernt am „malecón“, der meerumspülten Uferpromenade, die junge kurzgeschorenen Meeresbiologin Crissy kennen, die mit dem Greenpeace-Heißluftballon aus dem fernen Ausland kam. Auch der Musiker wird vor die Entscheidung gestellt: zwischen Mutter Cuba und der fernen Liebe. Am Ende stehen alle drei Protagonisten vor dem großen Monument auf dem Platz der Revolution und warten auf die Erfüllung ihres Traums.

Pérez einen ganz besonderen Stil gefunden: Geschichten, die sich kreuzen, überschneiden, die Wirklichkeit zwischen den Wirklichkeiten. Et möchte Havanna so filmen, wie es Magritte malen würde: „Diese Realität, die niemals aufhört, Realität zu sein, aber doch Einblicke in ganz andere Ebenen eröffnet.“ Die meisten kubanischen Filme der letzten Jahre zeichnen sich durch ein hohes Maß an formalen Risiken aus, trotzdem oder vielleicht weil die Filmproduktion auf Kuba zum absurden finanziellen Abenteuer geworden ist. „Das Leben, ein Pfeifen“ setzt die politische und soziale Realität in einen Fluss poetischer Metaphern um, vermischt das Tragische mit dem Komischen und lebt von den kleinen Details eines verrückten Alltags: ein Märchen über die Suche nach dem Glück, das wie jedes Märchen von archaischer Symbolik geprägt ist. Dabei vermittelt der Film einen Optimismus, wie er nur aus der Überwindung tiefster Melancholie entstehen kann, besonders in der Schluss-Szene, als alle zu pfeifen beginnen - Bebés Geheimnis für das Glück in Havanna im Jahr 2002.
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