Mysterious Object at Noon

Drama | Thailand/Niederlande 2000 | 85 Minuten

Regie: Apichatpong Weerasethakul

Ein magisch-mäandernder Dokumentar-Hybrid in grobkörnigem Schwarz-weiß, der quer durchs ländliche Thailand führt. An den unterschiedlichsten Orten bittet der Regisseur die Bewohner, die Geschichte eines kleinen Jungen zu erzählen, die als mündliche Überlieferung an den einzelnen Stationen der Reise fortgesponnen, abgeändert und um andere Erzählstränge erweitert wird. Ein erzählerisch in vielfältigsten Tönen schillernder Film, dessen kluge Machart tiefe Einblicke in die Mentalität und die Denkweise der thailändischen Bevölkerung vermittelt. In der Durchdringung von Fiktion und Dokumentarischem hinterfragt der Film überdies herkömmliche Erzählkonventionen. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
DOKFA NAI MEUMAN
Produktionsland
Thailand/Niederlande
Produktionsjahr
2000
Produktionsfirma
Hubert Bals Fund
Regie
Apichatpong Weerasethakul
Kamera
Prasong Klimborron · Sayombhu Mukdeeprom
Schnitt
Tony Morias · Apichatpong Weerasethakul
Länge
85 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama | Mystery
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Heimkino

Die DVD enthält zusätzlich die drei mittellangen Filme des Regisseurs: "thirdworld" (1997, 17 Min.), »Worldly Desires (2005, 43 Min.) und "Monsoon" (2011, 3 Min.) sowie in einem via Computer erreichbaren DVD-ROM-Bereich das zwischenzeitlich vergriffene, englischsprachige Buch »Apichatpong Weerasethakul«, hrsg. von James Quandt (Filmmuseum/Synema, Wien 2009, 256 S., 245 Abb.), mit Beiträgen u.a. von Alexander Horwarth, Karen Newman und Tilda Swinton. Des Weiteren enthalten ist ein 20-seitiges Booklet zu den Filmen. Die Edition ist mit dem Silberling 2016 ausgezeichnet.

Verleih DVD
edition filmmuseum (FF, DD2.0 Thai)
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Von »Joe«, wie der thailändische Filmregisseur Apichatpong ­Weerasethakul von seinen Verehrern genannt wird, ist man seit »Blissfully Yours« (2002) und »Tropical Malady« (2004) einiges gewohnt. Mal taucht der Vorspann erst nach einem Drittel des Films auf, mal bleibt die Leinwand mitten im Film eine kleine Ewigkeit schwarz und startet dann mit einer zweiten, komplett anderen Geschichte, mal verwickeln wie in »Cemetery of Splendour« (2015) zwei leibhaftige Göttinnen den Protagonisten in ein Gespräch, ohne dass man an den stilistischen oder narrativen Sprüngen Anstoß nehmen würde.

Diskussion
Von »Joe«, wie der thailändische Filmregisseur Apichatpong ­Weerasethakul von seinen Verehrern genannt wird, ist man seit »Blissfully Yours« (2002) und »Tropical Malady« (2004) einiges gewohnt. Mal taucht der Vorspann erst nach einem Drittel des Films auf, mal bleibt die Leinwand mitten im Film eine kleine Ewigkeit schwarz und startet dann mit einer zweiten, komplett anderen Geschichte, mal verwickeln wie in »Cemetery of Splendour« (2015) zwei leibhaftige Göttinnen den Protagonisten in ein Gespräch, ohne dass man an den stilistischen oder narrativen Sprüngen Anstoß nehmen würde. Ganz im Gegenteil: Brüche, »Fehler«, rätselhafte Wendungen und surreale Perspektiven definieren das Werk des 1970 geborenen »auteur«. Dies unterstreicht eindrucksvoll auch sein Langfilmdebüt »Mysterious Object at Noon« (2000), das vom Österreichischen Filmmuseum Wien aufwändig restauriert wurde und nun in einer vorbildlichen DVD-Edition zugänglich gemacht wird. Eine gewisse Kenntnis von »Joes« eigenwilligem Filmschaffen ist als Vorgriff auf dieses kleine, in grobkörnigem Schwarz-Weiß funkelnde Juwel nützlich: Es exponiert die weerasethakulsche Ästhetik geradezu pur und in nuce verdichtet – in Gestalt eines magisch-mäandernden Road Movie, das am Leitfaden eine vielfach variierten Binnenerzählung quer durchs ländliche Thailand führt. Nach einer Weile kristallisiert sich als eine Art Nukleus die (fiktive) Geschichte um die Lehrerin Dogfahr heraus, die ein behindertes Kind unterrichtet, die dann von Szene zu Szene an andere Menschen weitergereicht und weiterfabuliert wird. Während der dreijährigen Produktionszeit forderte Weerasethakul unterschiedlichste Personen auf, sich Dogfahrs Schicksal auszumalen, wobei sich die Erzähler teilweise auf die Ausgangsgeschichte, teilweise aber auch auf den bis dahin erreichten Stand der Ausschmückungen bezogen. Das daraus entstehende narrative Gespinst fließt mal in diese, mal in jene Richtung bis in Fantasy-Bereiche, wird durch Nachrichtensendungen, historische Einsprengsel aus der Zeit des Pazifikkriegs oder filmsprachliche Eigenwilligkeiten wie Bild-Ton-Verzerrungen, »unlogische« Anschlüsse oder loopartige Strukturen aber immer wieder so justiert, dass der sanfte Erzählfluss an anderer Stelle überraschend weitergeht. Wie virtuos die Inszenierung dabei mit ihren Mitteln umzugehen weiß, enthüllt bereits die zehnminütige Eingangs­sequenz, die mit einer langen, unge­schnittenen Kamerafahrt durch die Straßen von Bangkok, Tonausschnitten aus einer Soap Opera und vielen Radio-Werbejingles anhebt, um schließlich bei einer Fischverkäuferin und ihren traumatischen Lebenserinnerungen zu landen, die dann den Bogen zu Dogfahr und deren Erlebnissen schlagen. Man kann dieses »schillernde Dingsbums« (James Quandt) von Film als spielerischen Dokumentarfilm oder als dokumentarischen Spielfilm etikettieren, auf die Verbindungen von thailändischer Pop- und US-amerikanischer Experimentalfilmkultur abheben, das Spiel mit den Genres (von Märchen und Musical bis zu Horror und Science Fiction) auffächern oder der enormen Bandbreite von Tonlagen (abwechselnd traurig, ausgelassen, scherzhaft oder rau) nachspüren, ohne auch nur eine halbwegs brauchbare Anschauung davon zu gewinnen, wie sich die widerstrebende Fülle der Erzählfäden und ihrer Diskurse annähernd auf den Begriff bringen ließen. Der Hinweis auf die Einflüsse von Michael Snow ist so zutreffend wie der auf Brecht und seine Verfremdungstheorie, doch am Ende streckt man die terminologischen Waffen vor einem wundervollen Hybriden, der seinem Titel eines »Mysterious Object« alle Ehre macht.
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