Trembling before G-D

- | USA/Israel 2001 | 94 Minuten

Regie: Sandi Simcha DuBowski

Langzeitbeobachtung über Homosexualität im orthodoxen Judentum. Der Film lässt eine Vielzahl Betroffener zu Wort kommen, schildert ihre (Überlebens-)Strategien und die psychologischen Schäden, die durch die öffentlichen Sanktionen der Glaubensgemeinschaft hervorgerufen werden. Ein formal "klassischer" Dokumentarfilm, der beide Seiten zu Wort kommen lässt und so eine scheinbar unüberbrückbare Kluft aufzeigt, die einerseits einen großen Leidensdruck erfahrbar macht, andererseits die Bestrebungen gemäßigter Juden dokumentiert, Reformen anzustreben und das im Talmud begründete Verbot homosexueller Beziehungen nicht zu verabsolutieren. (O.m.d.U.) - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
TREMBLING BEFORE G-D
Produktionsland
USA/Israel
Produktionsjahr
2001
Produktionsfirma
Simcha Leib Prod.
Regie
Sandi Simcha DuBowski · Susan Korda
Kamera
David Leitner
Musik
John Zorn
Schnitt
Susan Korda
Länge
94 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
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Diskussion
Mit seinem ersten abendfüllenden Dokumentarfilm „Trembling before G-D“ („Zitternd vor Gott“) packte der Amerikaner Sandi Simcha DuBowski ein heißes Eisen an – Homosexualität im orthodoxen Judentum. Der Film beschreibt die verzweifelten Versuche Einzelner, ihre Sexualität mit ihrem Glauben in Einklang zu bringen, ohne den inneren Konflikt offen austragen zu können. Das Dilemma, homosexuell und zugleich orthodoxer Jude zu sein, scheint unlösbar: Einerseits ist die Homosexualität im Alten Testament und im Talmud mit drastischen Verboten belegt; andererseits bedeutet für die meisten Betroffenen das Bekenntnis zu ihrer sexuellen Orientierung, dass sie von ihrer Gemeinschaft, den Religionsschulen und der eigenen, tief religiösen Familie verstoßen werden. Den Weg in die größtenteils atheistische Subkultur wollen sie aber nicht gehen, wohl wissend, dass dies mit dem Verlust der eigenen kulturellen Identität verbunden wäre. Religiöser Fanatismus und moralischer Rigorismus, gleich welcher Provenienz, bildeten schon immer eine Folie für die Ausgrenzung und Stigmatisierung abweichenden Begehrens. Während im Zuge der 68er-Kulturrevolte die Enttabuisierung der Homosexualität in den USA und Ländern Westeuropas juristisch und in der öffentlichen Wahrnehmung eine Liberalisierung mit sich brachte, stehen ihr orthodoxe und chassidische Kreise immer noch feindlich gegenüber. Was dem assimilatorischen Druck von Außen standzuhalten half, erzeugte nach Innen einen Konformitätsdruck, der zumeist Frauen zu Geiseln religiöser Ge- und Verbote machte, wie es gerade Amos Gitai in „Kadosh“ (fd 34 965) für das orthodoxe Judentum in Israel thematisiert hat: die identitätsstiftende Rolle der Religion und starke Familienbande, die jahrtausendelang das kulturelle Überleben in der Diaspora sicherten. Über fünf Jahre dauerten die Dreharbeiten in Brooklyn, Jerusalem, Los Angeles, London, Miami und San Francisco, wo der Filmemacher zahlreiche orthodoxe und chassidische homosexuelle Frauen und Männer befragt und begleitet hat. Die Initialzündung zu dem Langzeitprojekt gab die Begegnung mit dem Sohn eines ultra-orthodoxen Rabbiners aus London, der wegen seiner Homosexualität aus sieben Religionsschulen verwiesen wurde – in England wie in Israel. Zusammen unternahmen sie eine Reise nach Jerusalem und besuchten seine geliebte Yeshiva-Welt, die Welt der Talmudschulen, wie sie Barbra Streisand in ihrem Regiedebüt „Yentl“ (fd 24 513) für das Ostjudentum der Jahrhundertwende rekonstruiert hatte. Die Recherchen erfolgten durch Flugblätter, Zeitungsinserate, Pressemitteilungen, Mund-zu-Mund-Propaganda und persönliche sowie über das Internet geknüpfte Kontakte. Dementsprechend vielen Menschen begegnet man im Laufe des Films: dem orthodoxen Rabbiner, der sich offen zu seiner Sexualität bekennt; lesbischen und schwulen Chassidim, die verheiratet sind und ihre sexuelle Ausrichtung verheimlichen; einem orthodox-lesbischen Paar auf einer Highschool, dessen Kontakt zur Familie sich auf kurze Telefonate an den religiösen Feiertagen beschränkt. Ein amerikanischer Jude erinnert sich, als Teenager auf Weisung eines Rabbis Buch darüber führen zu müssen, wann er onanierte, da die Onanie noch verwerflicher als der Geschlechtsakt sei. Eine lesbische Frau, die unerkannt bleiben möchte, erzählt, wie ihr die orthodoxen Reinheitsvorschriften, wonach Frauen nur die Hälfte ihrer Zeit „rein“ sind und somit Sex haben dürfen, ihr Lesbischsein im Verborgenen auszuleben halfen. Auch diverse jüdische Psychotherapeuten kommen zu Wort, um von den Schäden, die die Betroffenen in ihrer Entwicklung nehmen, zu berichten. Zumal die Sanktionen bei der familiären Ächtung und Ablehnung durch die Glaubensgemeinschaft nicht Halt machen. Erzwungene psychologische Behandlung, die der „Bekehrung“ zur Heterosexualität dient, arrangierte Zwangsehen, Verweigerung der Beerdigung von AIDS-Kranken sowie öffentliche Verurteilung durch Rabbiner gehören ebenso dazu wie die Tabuisierung der daraus erwachsenden Konsequenzen, die totgeschwiegen werden: Alkoholismus, Selbstmord und selbstzerstörerisches Sexualverhalten gehen mit dieser Ausweglosigkeit einher. „Trembling befor G-D“ offenbart aber auch, wie der Umgang mit diesem Thema die theologische Debatte beeinflusst. Ein Rabbi unterscheidet zwischen der persönlichen Anklage, zu der er sich nicht berechtigt fühlt, und Gottes Verbot, von dessen Übertretung er einen der Protagonisten nicht freisprechen kann; andere, liberale Stimmen stellen die Auslegung der Bibel in Frage. Möglicherweise sei sie nicht Gottes letztes Wort, da er ja, wie man es an der Geschichte des Moses sehe, auch von den Menschen lernen würde. Obwohl DuBowski auf die gewohnte dokumentarische Mixtur aus sprechenden Köpfen, Bildimpressionen und privaten Momentaufnahmen zurückgreift, entwickelt sein Film nicht nur inhaltlich eine subversive Sprengkraft, da er aus der Not eine Tugend macht. Welches Risiko die Befragten auf sich nahmen, wieviel Überwindung und Mut es sie kostete, vor der Kamera über ihre Homosexualität zu sprechen, wird deutlich, wenn sie unerkannt bleiben wollen oder als Schattenriss mit veränderter Stimme auftreten. DuBowski entwickelt daraus im Finale einen Kunstgriff, indem er Familienszenen aus chassidischem und orthodoxem Leben von Schwulen, Lesben und ihren Kindern als Schattentheater nachstellen lässt – Sinnbild und poetische Metapher für das Verborgene und Unsichtbare ihrer eigenen Existenz. Die große Bandbreite der Interviewten mag zwar dafür sorgen, dass der Film überladen wirkt, manche Szene auch indiskret erscheinen – wenn man etwa Zeuge eines Telefongesprächs wird, das ein schwuler Sohn mit seinem Vater, einem Rabbi, nach 20 Jahren führt. Auf diese Weise entsteht aber auch ein komplexes Bild des Verbots und der möglichen Strategien, die scheinbar unvereinbaren Identitäten aufrechtzuerhalten: von Zweckehen lesbischer und schwuler Chassidim, Liebespaaren, die ihre religiöse Tradition weiter zu leben versuchen über halbwegs geduldete Sexpraktiken bis hin zu theologischen Reformbestrebungen, das biblische Verbot nicht zu verabsolutieren. „Trembling before G-d“ zielt auf die Bedeutung von religiöser Identität und Tradition in der modernen Welt und wirft viele Fragen auf, die nicht nur Juden angehen.
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