Heinrich der Säger

- | Deutschland 2001 | 101 Minuten

Regie: Klaus Gietinger

Ein von Entlassung bedrohter Bahnwärter schwingt sich zum "Rächer" einer von Streckenstilllegungen bedrohten Region auf und zersägt Gleise, ohne Personenschaden anzurichten. Erst als er in dem Verehrer seiner Tochter einen Verbündeten findet, weitet sich das Unternehmen zu einer "professionellen" Erpressung aus, die nach einigen kriminalistischen Kapriolen in ein unvorhersehbares Happy End mündet. Eine von boshaftem (Dialog-)Charme getragene Polit- und Provinzposse, stringent inszeniert und bis in die Nebenrollen hervorragend besetzt. Vergnügliches "Railroad Movie", das zu den Kostbarkeiten der deutschen Filmkomödien gehört. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2001
Produktionsfirma
RS Media/Balance Film
Regie
Klaus Gietinger
Buch
Klaus Gietinger
Kamera
Hans Hager
Musik
Klaus Roggors
Schnitt
Katrin Suhren
Darsteller
Rolf Becker (Kurt Grantke) · Meret Becker (Teresa Grantke) · Alexander Beyer (Heiko) · Karina Krawczyk (Kriminalassistentin Braun) · Heinz Werner Kraehkamp (Kommissar Stahl)
Länge
101 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
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Diskussion
Neidvoll blicken viele in den produktionsverzögernden Regularien der Filmförderanstalten gefangenen Filmemacher immer wieder nach Hollywood, wo man viel schneller auf aktuelle Probleme und Trends reagiert. Es ist deshalb fast ein Wunder, dass Klaus Gietingers „Heinrich der Säger“ wie der filmische Kommentar zu einem gerade durch die Medien geisternden Thema wirkt: die seit der Privatisierung der Bahn drohenden Stilllegungen angeblich unrentabler Strecken. Das zweite Wunder ist, dass Gietinger diesen gesellschaftspolitischen Stoff nicht als bierernstes Thesenstück inszeniert, sondern eine bissige Groteske über die bundesrepublikanische Wirklichkeit daraus gemacht hat, die in ihrem Untertitel „Das ultimative Railroad Movie“ zugleich auf eine alte kinematografische Tradition verweist: Immerhin waren es die Bilder eines in den Bahnhof einfahrenden Zuges, die die ersten Zuschauer 1895 im wahrsten Sinne des Wortes von den Stühlen rissen. Hundert Jahre später hat die Eisenbahn ausgedient. Zumindest in Storchenroda, einem kleinen Ort in der ostdeutschen Provinz. Der Bahnhof soll geschlossen, die Strecke nach Kleinhöllental stillgelegt werden. Der Überbringer der schlechten Nachricht, Kommerzbahn Ost-Chef Block, spürt schmerzhaft den Unwillen der Betroffenen, und auch ansonsten regt sich Widerstand: Ein Unbekannter sägt nachts kleine, noch nicht zu Entgleisungen führende Stücke aus den Schienen und fordert das Ende der Entlassungen sowie die Rücknahme der Privatisierung. Da Lösegeldforderungen ausbleiben, steht die Polizei vor einem Rätsel. Kommissar Stahl vermutet einen „Bahner“ hinter den Anschlägen, seine Assistentin Braun einen Alt-Kommunisten. Obwohl Stahl der Wahrheit nahe kommt, kann sich keiner den Bahnwärter Kurt Grantke als den gesuchten „Säger“ vorstellen. Der findet eines Tages in dem jungen Briefträger Heiko einen zuerst unwillkommenen Verbündeten, der das „Unternehmen“ mit seinen Elektronik-Basteleien professionalisiert und eigenmächtig Lösegeldforderungen stellt. Da Heiko auch in Kurts fromme Tochter Teresa verknallt ist, bilden die Drei bald ein erfolgreiches Trio, das mit dem erpressten Geld schließlich den Bahnhof inklusive Kurts Dienstwohnung kauft. Die Ermittler tappten noch länger im Dunkeln, würde sich nach einer Reihe weiterer Wendungen der Dorfpfarrer nicht weigern, dem Trio Kirchenasyl zu gewähren. Doch die Vorständler geben sich generös: wer könnte einem eingefleischten Bahner schon seinen „letzten Willen“, noch einmal mit dem Zug zu fahren, abschlagen? Und so erwecken die „Railway“-Robin Hoods schlussendlich in Südamerika deutsche Bahnhofsvorsteher-Tugenden zu neuem Leben. „Die tun nicht weh“, sagt Heiko zu Teresa, als er ihr ein paar Gänseblümchen überreicht - hatte er seine stockkatholische Angebetene doch dabei beobachtet, wie sie sich ihr Verlangen nach ihm mit dornigen Rosen aus dem Leib geprügelt hatte. Und von diesem boshaften Charme ist diese Polit- und Provinzposse voller skurriler Typen geprägt, die ihre Protagonisten jedoch nicht der Lächerlichkeit preisgibt, sondern selbst ihre noch ihre „Dummheiten“ liebevoll darstellt. Sei es bei Kurt, der sich am Grab seiner Frau „Ratschläge“ für seine Aktivitäten geben lässt, sei es der hemdsärmelige Kommissar, dem der Gummiknüppel allzu lose sitzt oder seine schusselige Assistentin, die mal im Dirndl, mal im Lara-Croft-Outfit zum Dienst erscheint. Wie in seinen beiden Kultfilmen „Daheim sterben die Leut’“ (fd 25 343) und „Schön war die Zeit“ (fd 28 195) inszeniert Gietinger auch hier das deutsche Heimatfilm-Genre gegen den Strich, setzt dem großstädtischen Road Movie ein kleinstädtisches Railroad Movie entgegen, das vor allem durch seine einfallsreiche Inszenierung, die auf den Punkt gebrachten Dialoge und nicht zuletzt durch die Spielfreude seines Ensembles - das zum erstenmal Vater Rolf Becker und Tochter Meret in einem Spielfilm vereint und die außergewöhnliche Wandlungsfähigkeit von Karina Krawczyk bestätigt - besticht. Unterstützt durch die schnörkellosen Stimmungen bei Landschaften und Menschen, klaren Bildern und dem gerade durch seine „Sparsamkeit“ überzeugenden Soundtrack ist ein filmisches Kleinod entstanden, wie man es unter deutschen Komödien schon lange nicht mehr gefunden hat. Man kann nur hoffen, dass Gietingers Filme häufiger den Weg ins Kino finden.
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