Das Reich und die Herrlichkeit

- | Großbritannien/Kanada/Frankreich 2000 | 121 Minuten

Regie: Michael Winterbottom

Ein Goldgräber irischer Abstammung verkauft Mitte des 19. Jahrhunderts Frau und Baby für die Schürfrechte an einem Claim und steigt zum unumschränkten Herrscher einer Siedlung in der Sierra Nevada auf. Nach 20 Jahren kehrt seine mittlerweile todkranke Frau zurück, und er heiratet sie erneut, um das Erbe der Tochter zu sichern. Als eine geplante Eisenbahnroute sein "Reich" links liegen lässt, verliert er seine Machtstellung. Eindrucksvoll fotografierte, hervorragend gespielte Tragödie um Schuld und Sühne, Liebe und Vergebung. Inszeniert als Hommage an die Schnee- und Spätwestern der 70er-Jahre, stellt der Film auf vielschichtige Weise der Sicht des amerikanischen Pioniergeistes die Realität der multikulturellen Immigranten-Gesellschaft entgegen. (Kinotipp der katholischen Filmkritik) - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
THE CLAIM
Produktionsland
Großbritannien/Kanada/Frankreich
Produktionsjahr
2000
Produktionsfirma
Revolution Films/Arets Council of England/BBC/Grosvenor Park/Pathé/DB Entertainment/Alliance Atlantis/Le Studio Canal +
Regie
Michael Winterbottom
Buch
Frank Cottrell Boyce
Kamera
Alwin Kuchler
Musik
Michael Nyman
Schnitt
Trevor Waite
Darsteller
Peter Mullan (Daniel Dillon) · Milla Jovovich (Lucia) · Wes Bentley (Dalglish) · Nastassja Kinski (Elena Burn) · Sarah Polley (Hope Burn)
Länge
121 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Verleih DVD
EuroVideo/Concorde ab 6.11.02
DVD kaufen

Diskussion
Nach „Herzen in Aufruhr“ (fd 32 374) hat Michael Winterbottom mit „Das Reich und die Herrlichkeit“ zum zweiten Mal einen Roman von Thomas Hardy verfilmt. Frank Cottrell Boyce, der für Winterbottom schon die Drehbücher zu „Butterfly Kiss“ (fd 31 424) und „Welcome to Sarajevo“ (fd 33 177) schrieb, verlegte die Handlung allerdings in den kalifornischen Winter des Jahres 1867. Es ist die Zeit nach dem Goldrausch, der hunderttausende Immigranten nach Nordkalifornien gelockt hatte. Die Meisten sind am Traum vom Reichtum zerbrochen. Wenige, wie Daniel Dillon, haben ihn sich erfüllen können: Mitten in der Sierra Nevada hat er „Kingdom Come“ aus dem Boden gestampft, herrscht über Bank und Bordell, duldet weder Waffen noch Widerspruch in seinem Reich und übt die „Gerechtigkeit“ persönlich aus. Als eines Tages gleichzeitig der Landvermesser Dalglish mit seinen Leuten und Elena mit ihrer 20-jährigen Tochter Hope in dem Bergnest eintreffen, wendet sich das Schicksal jedoch unwiderruflich gegen ihn. Elena entpuppt sich als die Frau, die er einst samt gemeinsamem Baby für die Schürfrechte an einem Claim verkauft hatte. Nun ist sie, todkrank und verarmt, zurückgekommen, um wenigstens die Zukunft ihrer Tochter zu sichern, die die Identität ihres Vaters nicht kennt. Dalglish, der sich in Hope verliebt, wird „Kingdome Come“ am Ende gar in den Ruin stürzen, weil die Eisenbahn, für die er die Route plant, den Ort links liegen lassen wird. Konfrontiert mit den Sünden der Vergangenheit und den Herausforderungen der Zukunft, versucht Dillon, Ordnung in sein Leben bzw. sein Lebenswerk zu bringen; er verlässt seine Geliebte Lucia und überschreibt ihr das Bordell, heiratet Elena erneut, um Hopes Erbe sicherzustellen, und ist entschlossen den „abtrünnigen“ Dalglish und seine Mitarbeiter zu erschießen. In letzter Sekunde aber kommt er zur Besinnung. Nach Elenas Tod bleibt er allein zurück, während die Bewohner unter Lucias Führung an der geplanten Eisenbahnstrecke eine neue Stadt gründen und Hope Dalglish in eine gemeinsame Zukunft folgt. Als über „Kingdom Come“ Rauchschwaden aufsteigen, kehrt Hope noch einmal zurück, um nun die ganze Wahrheit zu erfahren und den gerade gefundenen Vater endgültig zu verlieren. Es ist eine nahezu antike Tragödie um Schuld und Sühne, die Winterbottom hier als stimmungsvolle Hommage an den Schnee- und Spätwestern der 70er-Jahre à la Robert Altmans „Mrs. Cabe und Mr. Miller“ (fd.17 614) und Sam Peckinpahs „Sacramento“ (fd 11 400) inszeniert hat. Ein Western-Drama aus europäischer Sicht allerdings, was sich auch in der Herkunft der Protagonisten wiederspiegelt: Dillon stammt aus Irland, Elena aus Polen, Lucia aus Portugal. Eine zusammengewürfelte Migranten-Gesellschaft, die die sozialen Probleme, derentwegen sie ihre Heimat verlassen hatten, hier nun reproduzieren. Wieder werden sie von einem Patriarchen beherrscht, ertränken ihre Armut im Alkohol, versuchen, ihrer Einsamkeit in den Armen von Prostituierten zu entfliehen. Und doch weht durch dieses dem Untergang geweihte „Kingdom Come“ jener Hauch von Pioniergeist, der sich auch in dem Namen „Hope“ manifestiert. Die eine grenzenlose Sehnsucht atmenden Landschaftspanoramen kontrastiert Winterbottom immer wieder mit kammerspielartigen Szenen, in denen er sich den Figuren mit der Handkamera nähert und ihre Gefühle verdeutlicht. Geschickt verbindet er Schauplätze mit Charaktere, baut durch eine vielperspektivische Montage und das dramaturgische Spiel zwischen Schärfe und Unschärfe einen faszinierenden visuellen Spannungsbogen auf. Die fast „entfärbt“, in schmutzigem Blau-Grau gehaltenen Aufnahmen, die nur selten durch gelb-braune Töne wie in den Saloon- und Bordell-Szenen aufgehellt werden, liefern dazu den atmosphärischen Rahmen, was vor allem ein Verdienst von Kameramann Alwin Küchler ist, der schon für das Sozialdrama „Ratcatcher“ (fd.34 651) wunderbare melancholisch-düstere Bild-Kompositionen schuf. Von ungeheurer äußerer wie innerer Wucht, Dillons Liebe und Wunsch nach Vergebung optisch umsetzend, ist jene Sequenz, in der er (wie einst Herzogs „Fitzcarraldo“, fd 23 356, ein Schiff) ein Haus über den Berg ziehen lässt, um es Elena „zu Füssen zu legen“. Es ist aber nicht nur Winterbottoms ungewohnter Blick auf ein scheinbar ausgereiztes Genre, sondern auch das wahrhaftige Spiel des bis in die Nebenrollen hinein überzeugend besetzten Ensembles. War das ehemalige Fotomodell Milla Jovovich bisher trotz einiger Hauptrollen (u.a. „Johanna von Orleans“, fd34 049) den Nachweis ihrer Schauspielkunst schuldig geblieben, brilliert sie hier dank Winterbottoms präziser Führung, die auch Nastassja Kinski zu einem berührenden Auftritt verhilft. Peter Mullan gerät der reuige Patriarch Dillon vielleicht eine Spur zu sanft, als dass man ihm den allmächtigen „Dorf-König“ wirklich abnehmen könnte. Wes Bentley verkörpert dagegen genau jene Cowboy-Mentalität, die Stolz, Aufrichtigkeit, Familie und Gewalt unter einen Hut bringt. Sarah Polley schließlich setzt dieser Entschiedenheit eine verletzliche Persönlichkeit entgegen, die ihre Liebe plötzlich auf drei Menschen aufteilen muss. Es sind vor allem solche Schauspielkünste, diese (Western-)Geschichte letztlich auf jene moral-philosophische Ebene heben, die dem Film seine innere Spannung geben und ihn über den Unterhaltungswert hinaus zu einem zeitlosen Kunstwerk machen.
Kommentar verfassen

Kommentieren