Nichts bereuen

- | Deutschland 2001 | 104 Minuten

Regie: Benjamin Quabeck

Da sich seine "große Liebe" zunächst nicht leben lässt, geht ein Abiturient ein Verhältnis mit einer Krankenschwester ein, muss allerdings einsehen, dass sein erstes Liebeserlebnis lediglich eine Station auf dem Weg ins Leben ist. Eine sensibel gestaltete, formal perfekt ausbalancierte Erzählung vom Erwachsenwerden und seinen inneren Verwirrungen. Der von großer erzählerischer Unternehmungslust geprägte Film wird von raffiniert organisierten Bildern und hervorragenden Darstellern getragen. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2001
Produktionsfirma
Arri/WDR
Regie
Benjamin Quabeck
Buch
Hendrik Hölzemann
Kamera
David Schultz
Musik
Lee Buddah
Schnitt
Tobias Haas
Darsteller
Daniel Brühl (Daniel) · Jessica Schwarz (Luca) · Marie-Lou Sellem (Anna) · Denis Moschitto (Dennis) · Josef Heynert (Axel)
Länge
104 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
McOne (16:9, 1.85:1, DD5.1 dt.)
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Diskussion
Eine Erzählung vom Erwachsenwerden und seinen inneren Verwirrungen: Abitur, die Zeit nach der Schule beginnt. Daniel liebt seit vier Jahren vergeblich die Mitschülerin Luca, da helfen auch die guten Ratschläge des angeblich erfahrenen Freundes Dennis nicht. Ein anderes Mädchen will so gern mit Daniel zusammen sein, aber er vergisst Luca nicht. Der Zivildienst in einer Kirche ödet ihn an, als Altenpfleger wird er mehr gefordert – zudem ist die Krankenschwester Anna ihm zugetan. Dann kehrt Luca unvermutet zurück aus Amerika; es wäre an der Zeit, dass sie endlich ein Paar werden, doch zu viel kommt dazwischen: Verspätungen, die dem jungen Mann oft widerfahren, Missverständnisse, wechselseitiger Zorn. Schließlich nimmt Anna, die „Ältere“, die ahnt, dass sie „Ersatz“ ist, den Mitleid erregenden Buben ins Bett – zum „ersten Mal“. Am Ende stehen alle alleine, auch Daniel, wenngleich ein wenig heiterer und lebenskundiger als zuvor, hat er doch zum Schluss noch ein wenig über die Stränge geschlagen: ein eher harmloses Zappeln im Netz. Das bereut er nicht. Sein Freund wechselt nach Berlin – ob er selbst in seiner engen Heimat zurückbleiben wird, ist fraglich. Asymmetrische Liebesverhältnisse, nicht in gleichem Maß erwiderte Leidenschaft, typische Rituale im Badezimmer und in der Disco – hinter aller Unsicherheit als gemeinsamer Nenner: die Normalität der Jugend, in diesem Film in vielen präzise umrissenen Details aufgefächert, frei von trivialen „coolen“ Attitüden. Benjamin Quabeck hat den Film vor seinem Roman konzipiert, der früher veröffentlicht worden ist. Es handelt sich um eine Abschlussproduktion der Filmakademie Baden-Württemberg, also um ein erstes großes Projekt. Dennoch weist der Film keinerlei „Unschärfen“ auf, im Gegenteil. Quabeck erzählt elegant und zügig, ohne zu überhasten, wählt ironische Distanz, wann immer sie möglich ist (der Jubel des Helden darüber, dass mit seiner Krankenpflegerin und Chefin vielleicht endlich eine Liebesnacht zu verwirklichen wäre, wird in einer Totalen aufgenommen, als abrupte Gestikulation auf leerer Straße). Auffällig die Montage: Quabeck verschränkt Bilder von Gegenwart und vorweggenommener naher Zukunft wie in einer Agitato-Fuge, spielt mit dem naiven Vertrauen der Zuschauer, wenn er subjektive Vorstellungen so darstellt, als sei es Realhandlung (der Wunschtraum des Helden, wie Luca sich ihm endlich hingibt), dann wiederum kennzeichnet er Erinnerungen durch ruckhafte Bilderfolgen als Koexistenz von Außenwahrnehmung und „Innenweltrauschen“. Die oft raffinierte und motivierte Verfugung der Bilder – die elektronischen Schnitttechniken eröffnen einen Spielraum, den Quabeck nicht selbstzweckhaft ausbeutet – wird durch subtile Tonmontage kontrapunktiert: Songs umklammern verschiedene Einstellungen und verwandeln sie zu lyrischen Passagen, an Schwerpunkten starken Gefühlsausbruchs kann der Ton, selbst die „Atmo“ völlig ausgespart werden. Nie jedoch lässt die emotionale Spannung nach, weder dann, wenn die lineare Erzählung in flickernde Bildfragmente und kontrastive Parallelhandlung zerstückt wird, noch, wenn intime Gesprächssituationen sich ohne technischen Aufwand still und ungestört entwickeln. Quabeck kann noch mehr: Es ist ihm auf vorzügliche Weise gelungen, mit seinen Schauspielern umzugehen, die ihre realistisch gezeichneten Figuren in unterschiedlichem Ausmaß zu nuancieren wissen: Daniel Brühl ist ein sensibler Anfänger im Irrgarten des Begehrens, Dennis Moschitto ein herzlich sympathischer Freund von eher spielerischer Natur, Jessica Schwarz als angebetete Luca verharrt oft (nicht immer) in einer verschwebenden, undeutlichen Ferne. Besonders einprägsam: Marie-Lou Sellem als Krankenpflegerin, die dem Tal nicht mehr entkommen wird, leicht traurig bereits, weil Erwachsensein für sie auch Gefangensein in ihrer Umwelt, an diesem Ort bedeutet – ihre Neigung zu dem Jungen ist so ernsthaft wie ihre Verletztheit. Äußerst konzentriert ihr minutiöses Spiel, Körperspannung, Gesichtsausdruck, Augensprache zumal bei den vielen Reaction-Shots auf sie, als sie merkt, dass sie eigentlich schon „verloren“ hat. Schauplatz ist Wuppertal, offenbar nicht nur für Tom Tykwer passendes Gelände für deutsche Geschichten, gesehen aus Perspektiven, die Nähe und Vertrautheit beweisen und zugleich den Charakter der Erinnerung eines, der Abschied genommen hat: die Wolken über den Häusern, der Fluss, die ins Tal abfallenden Straßen, die Schwebebahn, alles Teile einer Kindheits- und Jugendwelt, die noch einmal im Bild festgehalten werden, bevor sie sich im weiteren Lebensfluss der Hauptfigur auflösen. Quabeck hat mehr als einen sympathischen, einen einfühlsamen Film zustande gebracht, den humane Wärme auszeichnet. Die erzählerische Unternehmungslust wird auch durch formale Perfektion ausbalanciert, selbst bei der Inszenierung von Standardsituationen wie der vorläufigen Trennung von Anna und Daniel. Daniel dreht sich um, geht rückwärts die Straße hinab, Anna sieht ihm nach und lehnt sich an eine Wand: Diskreter ist die Bitternis des Auseinandergehens, nur leicht aufgeglichen durch einen Schimmer von Versöhnlichkeit, in letzter Zeit im deutschen Kino nicht dargestellt worden.
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