Taxi - Eine Nacht in Buenos Aires

- | Argentinien 2001 | 93 Minuten

Regie: Gabriela David

Ein junger Mann, der mit gestohlenen Taxis durchs nächtliche Buenos Aires fährt, versucht, einer jungen Frau mit einer Schussverletzung zu helfen, lädt sie dann aber auf der Straße ab und ruft einen Rettungswagen. Daran schließt sich die Geschichte der Frau an, die zwar aus guten Verhältnissen kommt, aber ein desolates Leben vor dem Hintergrund des familiären Zusammenbruchs führt. Lakonisch erzählter Film über Kommunikationslosigkeit, die Anonymität der Großstadt und ein Leben am Rande des (wirtschaftlichen) Abgrunds, der ein Schlaglicht auf die Situation des modernen Argentinien wirft. Zugleich spiegelt er die Bemühungen einer Generation, Trauerarbeit zu leisten und die Vergangenheit aufzuarbeiten. (O.m.d.U.) - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
TAXI - UN ENCUENTRO
Produktionsland
Argentinien
Produktionsjahr
2001
Produktionsfirma
La Cofradía Nocturna
Regie
Gabriela David
Buch
Gabriela David
Kamera
Miguel Abal
Musik
Mariano Núñez West
Schnitt
Enrique C. Angeleri
Darsteller
Diego Peretti (Estaban) · Miguel Guerberof (Vater) · Josefina Viton (Laura) · Pablo Brichta · Pochi Ducasse (Großmutter)
Länge
93 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
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Diskussion
Alltag und Nacht in der Großstadt. Lange beobachtet die Kamera eine Straßenkreuzung in Buenos Aires. Tagsüber belebt von Menschen und Fahrzeugen, sind nachts kaum noch Passanten zu sehen. Dann sind im Hintergrund Schüsse zu hören, ein junges Mädchen läuft mit schmerzverzerrtem Gesicht zum Straßenrand und winkt ein Taxi heran. Der Chauffeur ahnt noch nicht, welche Tragödie sein Fahrgast ihm offenbaren wird, und sie kann nicht wissen, auf was für einen ungewöhnlichen Fahrer sie gestoßen ist. Laura und Esteban, die Geschichte einer kurzen Begegnung in der Anonymität der Großstadt – zwei Lebenswege, die sich kurz in einem tragisch-dramatischen Moment kreuzen und in eine neue Richtung entwickeln. „Taxi – Eines Nachts in Buenos Aires“, der Erstlingsfilm der Argentinierin Gabriela David, ist einer jener faszinierend dunklen, sachlich-nüchternen Filme des jungen argentinischen Kinos, die sich durch einen neuen Blick auf die Realität auszeichnen. Laura und Esteban stehen für zwei unterschiedliche soziale Schichten – Laura, Kind aus gutem Hause, merkt nicht, wie sich durch Schulden und andere Spannungen der Zusammenbruch ihrer Familie ankündigt. Esteban, „El Gato“ (der Kater) genannt, lebt mit seinem gelähmten Vater in einem verfallenen Häuschen an der panamerikanischen Autobahn. Nachts stiehlt er Taxis und bringt sie zu den „3 hermanos“ , drei Brüdern, die in einer schmuddeligen Werkstatt gestohlene Fahrzeuge aufarbeiten. Mit einem Hauch Ganovencharme à la Jean Paul Belmondo gehören Esteban und sein Vater zu jenem Teil der argentinischen Mittelschicht, der durch die Wirtschaftkrise am Rande der Verelendung lebt. „El gato“ will überleben und rechtfertigt seine Raubzüge mit einer zynisch-abgebrühten Lebensphilosophie. Aus einer sentimentale Sehnsucht nach einem geregelten Leben heraus gönnt er sich ein besonderes Vergnügen: Nachdem er das Taxi gestohlen hat, schlüpft er selbst für einige Stunden in die Rolle des Fahrers und plaudert mit seinen Fahrgästen. Der Wagen wird dabei zum Raum für eine fast magische Rückverwandlung des Kleinkriminellen zum Kleinbürger, aber auch zum Symbol für die Flüchtigkeit menschlicher Kontakte. Estebans Leben ändert sich, als die schwerverletzte Laura einsteigt; er ahnt nichts vom blutigen Familiendrama und versucht der 17-Jährigen eine Kugel aus ihrer Schulter zu schneiden. Bis er seiner Angst nicht mehr Herr wird und das Mädchen unter eine Brücke legt. Der zweite Teil der Films ist Lauras Geschichte; sie vermittelt sich über die Erzählung der Protagonistin ohne Rückblenden, getragen von der beeindruckenden Leistung der Nachwuchsschauspielerin Josefina Viton. Die Großmutter hat die 17-Jährige vom Krankenhaus aus direkt in die Provinz genommen. Laura versucht zu sich selbst zu finden, ihre Traumata zu verarbeiten – in einer wunderschönen Szene versenkt sie den Schmuck der Mutter und die Eheringe der Eltern im Wasser. Mit der Großmutter kann sie nicht reden – die verdrängt die Trauer in der allgegewärtigen Fürsorge und Haushaltsroutine. Sie kehrt deshalb in die Stadt zurück, um auf der Suche nach ihrem Lebensretter ein umfassenderes Bild der Ereignisse zu bekommen, die ihr Leben zerstörten. „Wenn ich kein Dieb gewesen wäre, wäre alles anders gekommen, wir hätten sogar Freunde werden können“, sagt Esteban. Am Ende liegt die Essenz des Films in einer letzten Umarmung am Busbahnhof, ein Abschied ohne Wiederkehr. „Taxi – Eines Nachts in Buenos Aires“ ist eine einfache, aber bewegende Geschichte in der Anonymität einer Großsstadt, eine durchaus allgemeingültige Momentaufnahme einer Gesellschaft am Rande des Zusammenbruchs. In seiner lakonischen und doch direkten Erzählung und in seiner interessanten Struktur mit Rückblenden und Zeitsprüngen ist der Film aber auch eine beeindruckende Darstellung des modernen Argentiniens, geprägt vom Zerfall der Mittelschicht und einer Kriminalität, die sich ebenso aus dem Überlebenswillen wie sinnloser Selbstzerstörung speist. Der Film thematisiert dabei auch die Bestrebungen der jungen Generation, sich in diesem Chaos Klarheit zu verschaffen und jene Trauerarbeit zu leisten, mit der allein die schrecklichen Ereignisse der Vergangenheit aufgearbeitet werden können.
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