Sehnsucht (1992)

- | Japan 1992 | 120 Minuten

Regie: Tamasaburo Bando

In seiner zweiten Regiearbeit erzählt Kabuki-Darsteller Tamasaburo Bando die Geschichte einer jungen Frau Anfang des 20. Jahrhunderts, die sich nach der Geburt eines Kindes gezwungen sieht, ihren Unterhalt durch Prostitution zu bestreiten. Das sentimentale Potenzial der Geschichte wird durch eine indirekte, elliptische Erzählweise sowie stilisierte Bilder und lange Einstellungen gebrochen. Die Kamera bevorzugt halbtotale und halbnahe Aufnahmen und entrückt das Geschehen in eine gewisse kühle Ferne. Thematisch ist der Film mit klassischen Frauenporträts von Mizoguchi und Ophüls verwandt, in denen "entgleiste" Schicksale rehabilitiert und geadelt werden. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
YUME NO ONNA
Produktionsland
Japan
Produktionsjahr
1992
Produktionsfirma
Shockiku Co.
Regie
Tamasaburo Bando
Buch
Genki Yoshimura · Taeko Sakurai · Masafumi Saito
Kamera
Mutsuo Naganuma
Musik
Meisho Tosha · Etsugoro Kineya
Schnitt
Akira Suzuki
Darsteller
Sayuri Yoshinaga (Onami/Kaede) · Toshiyuki Nagashima (Otabe) · Kyoko Kataoka (Kaede II) · Katsuhiko Watabiki (Bordellbesitzer) · Mutsuhiro Toura (Angestellter)
Länge
120 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.

Diskussion
Als Tamasaburo Bandos Debüt „Das Operationszimmer“ (1992) ins Kino kam, war der Regisseur in Japan längst berühmt. Das Publikum liebte ihn als Darsteller von Frauenrollen nicht nur im Kabuki-Theater, sondern auch in Inszenierungen von Shakespeare-Stücken. Er war als Desdemona in „Othello“ und als Lady Macbeth aufgetreten; Andrzej Wajda hatte ihn in einer Bühnenadaption von Dostojewskis „Idiot“ besetzt, Maurice Béjart in einer seiner Choreographien. Tamasaburo Bando verkörperte gleichsam die Verschmelzung von Tradition und Moderne ­ was sich auch in seinen Arbeiten fürs Kino niederschlug. „Das Operationszimmer“, nach einem Roman von Kyoka Izumi, tauchte in das literarische Universum der Spätromantik ein: Der flüchtige Augenblick einer nur Sekunden dauernden Begegnung beeinflusst in diesem Film das Leben zweier Menschen so stark, dass die Erinnerungen daran existentielle Bedeutung erlangen. Mit langsamen, lyrischen Kamerafahrten wurde eine Bilderwelt wie auf Fotos aus einer fernen Vergangenheit kreiert; der Film schuf eine Atmosphäre zwischen Tag und Traum. Auch die zweite Regiearbeit Bandos, „Sehnsucht“, die jetzt, neun Jahre nach ihrer Deutschlandpremiere im Wettbewerb der Berliner Filmfestspiele, endlich ins reguläre Kinoprogramm kommt, führt in die Zeit um 1900. Wieder basiert sie auf einer literarischen Vorlage aus jener Epoche: Die Geschichte der Geisha Onami, genannt Kaede, war in einem Roman von Kafu Nagai aufgezeichnet und später dramatisiert worden; Bando selbst hatte auf der Bühne die weibliche Hauptrolle gespielt. Thema ist die moralische Rehabilitation einer „Verlorenen“: Die Heldin Onami sieht keinen anderen Weg, den Unterhalt für ihre verarmten Eltern zu verdienen, als sich als Prostituierte im Tokioter Hafenviertel zu verdingen. Entgegen dem äußeren Schein und der öffentlichen Meinung, die sie nach dem Tod eines Liebhabers sogar zur männermordenden Vampirin stilisiert, erweist sie sich als treue Tochter und Mutter, die ihren Lebenssinn darin sieht, ihr Kind, das sie als 18-Jährige zur Adoption freigeben musste, zu sich zurück zu holen. Diese Sehnsucht bestimmt letztlich alles, macht Schmerzen, Erniedrigung und Angst ertragbar. Onami zählt zu jenen unheiligen Heiligen, die aus klassischen Frauenporträts von Kenji Miziguchi bis Max Ophüls bekannt sind. Der in Schwarzweiß gedrehte Film beginnt und endet mit der Totale eines hell beleuchteten Bordells am Ufer eines Flusses. Im ersten Bild steigt ein Mann aus einem Boot an Land: einer von Onamis Freiern, der sie bald in tiefes Unglück stürzen wird. In der letzten Szene ist es Onami selbst, die ins Boot klettert und davonfährt: Der Kreis hat sich geschlossen ­ oder geöffnet, denn die junge Frau arbeitet nicht mehr hier, sondern ist, unterstützt von einem anderen Freier, ins »bürgerliche« Leben zurückgekehrt. Zwischen diesen beiden Bildern erzählt Tamasaburo Bando seine Geschichte in langen, kaum bewegten Einstellungen. Die Kamera gleitet fast unmerklich durch die Räume, erfasst die oft knieenden Figuren vor den Rahmen von Türen und Fenstern oder zwischen den Mustern von Läufern und Teppichen. Die Linien des Interieurs wirken wie Gitter oder Mauern; die Figuren sind darin wie gefangen; Onami, die das spürt, bevorzugt Orte unter freiem Himmel, am Ufer des Flusses, direkt unter Sonne und Mond. Die herausragende Rolle des streng stilisierten Szenenbildes korrespondiert mit der Entscheidung von Regie und Kamera, fast keine Großaufnahmen zu verwenden. Dominierend sind statt dessen Totalen, Halbtotalen und halbnahe Szenen; nur einmal, ganz am Schluss, beim Ablegen des Bootes, füllt Onamis Gesicht die Leinwand: Es ist auch der einzige Moment, in dem sie lächelt. Diese Distanz, das Entrücktsein der Kamera trägt dazu bei, das sentimentale Potential der Geschichte zu zäumen, dem Melodrama Fesseln anzulegen. Aber auch die Dramaturgie trägt wesentlich dazu bei, dass Gefühle kaum in den Bildern ausbrechen, wohl aber durch sie, im Kopf des Zuschauers, freigesetzt werden. Tamasaburo Bando breitet seinen Film nicht flächig aus, sondern strukturiert ihn elliptisch: Er zeigt nur selten, dass etwas passiert, sondern knüpft ein Dutzend Gespräche aneinander, in denen das Geschehene reflektiert wird, wobei zwischen den einzelnen Dialogen zum Teil lange Zeiträume vergehen. Spannend zu beobachten sind Anteil und Wirkung weiblicher und männlicher Parts. Die Männer erweisen sich weitgehend als schwach: Onamis verheirateter Liebhaber, der Vater ihres Kindes, stirbt; der Zuschauer bekommt ihn nicht einmal zu Gesicht. Onamis Vater, ein früherer Samurai, huscht als schwerkranker Mann kurz durchs Bild; der verarmte Arzneimittelhändler Otabe, der sie heiraten will (gespielt von Toshiyuki Nagashima, dem Hauptdarsteller aus Paul Schraders „Mishima“, fd 25 309), erhängt sich nach ihrer Absage. Dagegen erweist sich Onamis Kollegin Omatsu als treue Freundin auch in schwierigen Zeiten, und eine alte Amme, die mit einem Baby im Arm plötzlich an Onamis Lieblingsplatz auftaucht, wird zur Mutspenderin par excellence: „Das Glück wird kommen, sie sind noch jung.“ Zu den Höhepunkten des ebenso zärtlichen wie traurigen Films gehört schließlich der nächtliche Dialog zwischen Onami und ihrer jungen Nachfolgerin Kaede II: Auch diese berichtet, wie sie aus Armut den Weg zur Prostitution einschlug, und dass sie keinen ihrer Kunden jemals lieben könne. Die Blicke der Frauen sind dabei, wie oft im Film, in eine imaginäre Ferne gerichtet. Vielleicht gehen diese Blicke aber auch nur nach innen, ins Herz, das trotz allem äußeren Anschein merkwürdig rein ist.
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