Heirate mich - Casate Conmigo

- | Deutschland 2002 | 110 Minuten

Regie: Uli Gaulke

Eine junge Kubanerin, die bereits in dem Dokumentarfilm "Havanna, mi amor" (2000) derselben Regisseure eine der Hauptfiguren war, heiratet nach Hamburg. Auf Einladung ihres Ehemanns begleiten die Regisseure das ungleiche Paar in den ersten Monaten der Ehe. Aus den realen Vorgängen filtern sie eine spielfilmähnliche Handlung, die den konkreten "Fall" zur Verallgemeinerung nutzt und Rückschlüsse auf die Verschiedenheit geografischer und mentaler Welten ermöglicht. Der klug strukturierte Film verknüpft souverän intime, dramatische und realsatirische Momente, wobei er mitunter die Perspektive der Frau einnimmt, die mit "fremden" Augen deutsche Realität zu entdecken hilft. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2002
Produktionsfirma
Flying Moon/ZDF (Das kleine Fernsehspiel)/arte
Regie
Uli Gaulke · Jeannette Eggert
Buch
Uli Gaulke · Jeannette Eggert
Kamera
Axel Schneppat · Uli Gaulke
Musik
Orishas · Seeed
Schnitt
Markus Schmidt
Länge
110 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
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Diskussion
Am Anfang war ein Brief. Erik aus Hamburg schrieb an Uli Gaulke und Jeannette Eggert, dass er in Havanna eine Frau namens Gladis kennengelernt habe und sie unter allen Umständen heiraten wolle. Es war genau jene temperamentvolle Kubanerin, die schon in „Havanna, mi amor“ (fd 34 322), Gaulkes und Eggerts vorherigem Film, vor der Kamera gestanden hatte. Nun ergab sich die Chance, ihren Lebensweg noch ein Stück weiter zu begleiten, in einer Langzeitbeobachtung, die von der Hochzeit über die Fast-Scheidung bis zur Geburt des gemeinsamen Kindes führen sollte. Ein Kaleidoskop aus Fremd- und Nahsein, Lust und Frust, Streit und Versöhnung. Eine Achterbahnfahrt der Gefühle. „Heirate mich“ changiert zwischen Dokument und Fiktion, wobei die Bewegungen der Protagonisten und die Strukturierung des Materials eher in Richtung Spielfilm weisen. Klassische Interviews bleiben weitgehend ausgespart, Fragen nach dem Woher, nach dem „Vorleben“ von Gladis und Erik werden nicht gestellt. Dagegen beförderte die häufige Anwesenheit der Kamera eine spielerische Präsentation von Gefühlen, Haltungen und Hoffnungen. Aus dem „realen“ Stoff, dem unbehauenen Fels Wirklichkeit, gestalteten die Regisseure eine Story, die sie im Vorspann ausdrücklich als „nach einer wahren Begebenheit“ ausweisen: „Das wirkliche Leben interessiert uns als Materialgeber, aus denen wir die Dinge formen können, die etwas Universelles erzählen. Es ist nicht wirklich die ganze und wahrheitsgetreue Geschichte von Gladis, Erik und Omarito und kann es auch nicht sein.“ Eine solche Haltung mag Puristen des Dokumentarfilms befremden und verstören; doch ist sie nicht legitim, wenn sie spannende Entdeckungen ermöglicht und zum Weiterdenken gerade darum anregt, weil nicht alles erläutert und erklärt wird? Zum Beispiel bringt „Heirate mich“ die Gründe, die Erik und Gladis bewegen, wagemutige Schritte aus ihrer jeweiligen Umgebung hinaus auf Neuland zu tun, keineswegs auf den schnellen Nenner, das sei eben die Konsequenz einer großen Liebe. Könnte es nicht auch sein, dass Gladis’ Übersiedlung nach Deutschland dem noch größeren Wunsch entspringt, dem realsozialistischen Kuba endlich den Rücken kehren zu können? Dass ein solcher Gedanke aufkommen mag, liegt wohl auch daran, dass Erik in den Anfangsszenen eher einem verklemmten Sextouristen als einem prickelnden Liebhaber ähnelt. Auch später bleibt es, zumindest partiell, ein Geheimnis, was die beiden wirklich aneinander bindet. Die Balance von Gesagtem und Verschwiegenem, Gezeigtem und Verborgenem, von Leidenschaft und Gewöhnung, Ausnahme und Alltag bedingt die innere Spannung des Films und hält sie aufrecht. Bemerkenswert ist, wie es gelingt, sowohl eruptive Streitszenen als auch realsatirische Momente ohne jeden voyeuristischen Anflug, aber auch ohne besserwisserische Häme zu erfassen. In den Krächen des so unterschiedlichen Paares, die von einer Sekunde zur anderen ausbrechen und selbst den Heiligen Abend zu einer Tortur werden lassen können, erweist sich die Kamera als psychotherapeutischer Helfer: Ohne ihre Anwesenheit würden die Debatten vermutlich ganz anders ausgehen. In anderen Szenen, in denen deutsche Kleinbürgerlichkeit und Bürokratismus ausgebreitet werden, nähert sich der Blickwinkel des Films der Perspektive von Gladis an: der Besuch bei Eriks Eltern auf dem Land, das Zelebrieren des nachmittäglichen Kaffees nebst selbstgebackenem Pflaumenkuchen, der Papagei, der „Hänschen klein“ intoniert. Dann die Versuche in der Sprachschule, Deutsch zu lernen; die Gänge zur Einwanderungsbehörde; die anderen Kinder des Viertels, die Gladis’ Sohn Omarito als „Neger“ beschimpfen. Gladis Antwort auf die Frage, warum es hier, in einem Stadtbezirk, wo so viele Ausländer leben, Rassismus gebe, bleibt unkommentiert: „Rassismus ist überall. Das ist Deutschland.“ Schön beobachtet sind nicht zuletzt die Momente des Glücks, die durchaus nicht mit Erik zu tun haben müssen: Als Gladis einen Hamburger Zigarrenmacher besucht, darf sie zum ersten und einzigen Mal beweisen, was sie wirklich kann – nämlich mehr als jener Deutsche, der die Tabakblätter unbeholfen zusammenstümpert. Auch ein anderes Glücksmoment der jungen Frau leuchtet aus dem Film: die Wiederbegegnung mit einem verknitterten, Schnaps trinkenden Engländer, einem alten Freund, mit dem sie offensichtlich, und sei es nur eine Zeitlang, das Leben sehr genoss – und das auf andere Weise als mit dem doch recht trockenen, kreuzbraven Erik. Schließlich wird der Film durch einige Szenen strukturiert, die zu Fotos erstarren. Auf diesen Standbildern gefriert die permanente Aktion, und auf den Gesichtern spiegelt sich deutlich, was auch sonst leise mitschwingt: Skepsis darüber, ob zwischen den Figuren nicht eben doch Welten liegen, und eine Ahnung davon, wie schwer es ist, glücklich zu sein.
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