- | Algerien/Frankreich 2002 | 100 Minuten

Regie: Yamina Bachir Chouikh

Eine junge Lehrerin wird Opfer eines Terroranschlags in Algier. Um dem Terror zu entgehen, zieht sie mit ihrer Mutter aufs Land, doch die dortige Idylle ist trügerisch. Auch hier werden Frauen entführt, vergewaltigt, ermordet oder von der eigenen Familie verstoßen. Ein einfacher und bewegender Film über Frauen in einer islamisch geprägten Gesellschaft, der in ruhigen Bildern vom Eindringen des Terrors in den Alltag berichtet. Die Beiläufigkeit, mit der dies erzählt wird, die Atmosphäre des Dorfes und das zurückgenommene Spiel der Hauptdarsteller machen betroffen. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
RACHIDA
Produktionsland
Algerien/Frankreich
Produktionsjahr
2002
Produktionsfirma
Ciel/Ciné-Sud/GAN/Le Studio Canal +/Titra/arte
Regie
Yamina Bachir Chouikh
Buch
Yamina Bachir Chouikh
Kamera
Mustafa Ben Mihoub
Musik
Anne-Olga De Pass
Schnitt
Yamina Bachir Chouikh
Darsteller
Ibtissem Djouadi (Rachida) · Bahia Rachedi (Aicha) · Rachida Messaoui En (Zohra) · Hamid Remas (Hassen) · Zaki Boulenafed (Khaled)
Länge
100 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
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Diskussion
Rachida hält ihr Hochzeitskleid in den Händen. Sie hält es sich vor den Körper, um ihr Aussehen zu überprüfen. Doch anstatt auf die künftige Braut lenkt die Kamera den Blick vom Stoff des Kleides auf den Stoff eines Leichentuches. Sanitäter breiten das Tuch gerade über das blutüberströmte Opfer eines Terroranschlags. Rachida ist Lehrerin, sie unterrichtet an einer Schule in der Altstadt von Algier, und sie lebt gefährlich. Nicht nur, weil die emanzipierte junge Frau Lippenstift benutzt und kein Kopftuch trägt.

Algerien in der schlimmsten Zeit des Terrors bildet den Hintergrund für Yamina Bachir Chouikhs „Rachida“. Vom schwachen Beginn des Films darf man sich nicht abschrecken lassen. Hier versucht die Drehbuchautorin, Regisseurin und Cutterin umständlich ihr Thema, den couragierten Umgang mit der alltäglichen Bedrohung und der Angst, in den Griff zu bekommen. Hinter sechsfach gesicherten Türen verbringen Rachida und deren Mutter die Nacht, während das Radio Nachrichten über Terroranschläge verbreitet. In der Kasbah griffen Terrorristen einen Mönch an, sechs Soldaten kamen bei einem Terroranschlag ums Leben. Nebenan sitzt ein junger Mann, der Bruder eines von Rachidas Schülern, und präpariert eine Bombe. Auf ihrem Schulweg wird Rachida niedergeschossen, weil sie sich weigert, die Bombe in die Schule zu tragen. Sie überlebt schwer verletzt. Aus dem Krankenhaus entlassen, zieht sie mit ihrer Mutter aufs Land, um dem Terror in der Stadt zu entfliehen. Doch der Frieden im Dorf ist trügerisch. In seinem Mikrokosmos deckt die Regisseurin, die den subtilen Beziehungen zwischen den Terroristen und ihren Opfern auf der Spur ist, die Zusammenhängen zwischen Angst und Hass auf. Etwa wenn deutlich wird, dass Rachida Kinder unterrichtet, deren Eltern Terroristen sind. Oder wenn ein Vater die zurückgekehrte Tochter verstößt, weil sie, entführt und vergewaltigt, Schande über die Familie bringt. Hier wird eine Komplizenschaft erkennbar, die offenbar zwischen den Terroristen und Teilen der Bevölkerung in Algerien besteht. Auf dem Land gelingt es Rachida, an ihrem Trauma zu arbeiten. Um im Dorf nicht aufzufallen, fordert die Mutter sie auf, das Leben wieder in ihre eigenen Hände zu nehmen. Anstatt sich den Depressionen zu ergeben, richten Mutter und Tochter das Haus und den Garten her, wo sie Frieden zu finden hoffen. Als Rachida zum ersten Mal wieder einkaufen geht, sieht sie beim Gemüsehändler einen Mann, in dessen Hosenbund eine Pistole steckt. Erschrocken läuft sie zurück ins Haus. „Ich ging aus, um mich wieder menschlich zu fühlen“, sagt sie, die am ganzen Körper zittert, doch das „Exil im eigenen Land“ ist alles andere als sicher. Trotz dunkler Vorahnung tritt sie ihre neue Stelle als Lehrerin in der Dorfschule an.

„Ich habe solche Angst“, sagt Rachida. „Mut ist das Kind der Angst“, erwidert die Mutter, die als geschiedene Frau in der algerischen Gesellschaft keinen leichten Stand hat. Durch ihr emanzipiertes Auftreten mit kurzen Röcken, ihrem Lockenkopf und dem provozierenden Walkman hebt sich Rachida deutlich von den Dorfbewohnern ab. In einer auf Tradition basierenden Gesellschaft wirkt sie wie ein Fremdkörper, der die Aufmerksamkeit der Fundamentalisten auf sich zieht. So kann Rachida im Dorf nicht ins öffentliche Bad gehen, aus Angst, die Leute könnten denken, dass ihre Operationsnarbe von einem Kaiserschnitt stammt – was für eine unverheiratete algerische Frau undenkbar ist. Nachdrücklich wirken auch Szenen, wenn nachts im Dorf Schüsse fallen und eine Hochzeitsgesellschaft in panischer Angst auseinander läuft oder wenn eine vergewaltigte junge Frau sich verstört in einem Wäldchen dem Dorf nähert. Sie klopft an verschlossene Türen, bis die Frauen schützend ihre farbigen Schleier über der Erschöpften ausbreiten. Durch den Kontrast zwischen dem Gewaltpotenzial und den beschaulichen dörflichen Nächten entsteht eine Art Verfremdungseffekt, der den Terror, der jedem begegnen kann, veranschaulicht. „Rachida“ ist allerdings nicht nur das Porträt einer jungen Frau in einer vom Terror geprägten Gesellschaft, sondern lenkt den Blick auch auf die Kinder, die im Schutz des Dorfes, aber ohne Eltern aufwachsen. Trotz der Allgegenwart des Terrors beginnt Rachida wieder zu arbeiten; am Ende steht sie mit zuversichtlichem Blick vor ihrer Klasse, obwohl oder gerade weil der Frieden ein zerbrechlicher ist.

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