Tragikomödie | Argentinien 2001 | 102 Minuten

Regie: Ariel Rotter

Eine Woche im Leben junger Menschen in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires, die zwar ihre individuellen Träume und Hoffnungen hegen, ihr wahres Leben jedoch an die Vorgaben des Alltags angleichen müssen. Die lakonische Tragikomödie würzt ihren Fatalismus mit schwarzem Humor und entwirft das Bild einer Gesellschaft, die unmittelbar vor ihrem wirtschaftlichen und politischen Zusammenbruch steht. (O.m.d.U.) - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
SOLO POR HOY
Produktionsland
Argentinien
Produktionsjahr
2001
Produktionsfirma
Universidad del Ciné
Regie
Ariel Rotter
Buch
Ariel Rotter · Lautaro Núñez de Arco
Kamera
Marcelo Lavintman
Musik
Gustavo Cerati · E. Flavius
Schnitt
Pablo Georgelli
Darsteller
Damián Dreyzik (Toro) · Mariano Martínez (Equis) · Aili Chen (Alili) · Federico Esquerro (Morón) · Sergio Boris (Fer)
Länge
102 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Tragikomödie
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Diskussion
Der Film beginnt an einem Montag. Eine junge Chinesin fährt mit dem Motorrad durch die Stadt, an Hochhäusern und Grünflächen vorbei, bis zu einem modernen Verwaltungsgebäude. Aili, auch China genannt, ist Malerin, die nicht mehr malt und sich ihr Geld als Motorradkurier verdient. Equis arbeitet in einer Pizzeria, schneidet Zwiebeln, zerkleinert Hühnerfleisch und träumt von Paris: Sehnsüchtig schaut er in seiner Freizeit den Flugzeugen nach, träumt davon, die verhasste Hauptstadt zu verlassen. Toro desinfiziert Hotelzimmer, ist aber fest von seiner Zukunft als Schauspieler überzeugt, für die er schon 40 Rollen einstudiert hat. Fernando schlägt sich als Anstreicher durch und ist mit seinem Leben unzufrieden; sein Bruder Moron hat sein Filmstudium abgeschlossen, befragt Passanten auf der Straße nach ihrer Vorstellung von Glück und reflektiert über kurze Videostatements: „Was würden Sie machen, um glücklich zu werden?“ Hier liegt das Leitmotiv des Films, denn „B. Aires“ schildert über eine knappe Woche hinweg das Leben von fünf Jugendlichen, die in einer Altbauwohnung in Buenos Aires zusammenleben und sich auf ganz unterschiedliche Weise durch den Alltag der Metropole am Rio de la Plata schlagen. Die Probleme mit Job und Arbeitssuche, der Liebe, die Sprachlosigkeit innerhalb der Familie, das Zusammenleben überhaupt; all dies wird existenzialistisch in Frage gestellt, aber inszenatorisch leichthändig präsentiert.

Wie häufig im neuen argentinischen Film werden die kleinen Träume und Lebensentwürfe der Protagonisten mit einer absurd erscheinenden, undurchschaubaren Welt konfrontiert, die keine Lösungen anbietet und eine ganz eigene Tragikomik des Alltags besitzt. Die Visionen kehren sich ins Absurde um, wenn Toro endlich sein heiß ersehntes Casting bekommt und am Ende den „dritten Mann“, genauer gesagt das Hinterteil einer Kuh, bei einer Werbeveranstaltung für Kondensmilch spielen darf, und wenn sich Equis endlich wieder verliebt, wenn auch nicht in Paris, sondern in der „Bar Paris“ am Rande des Flughafenzauns. Fernando verliert auch seinen letzten Job, in der Wohnung eines ebenso pingeligen wie cholerischen Deutschen; und Federico und Aili verlieben sich ineinander. Der dritte Spielfilm, den die Universidad de Cine, die Filmuniversität von Buenos Aires, produzierte, ist ein fröhlicher, zugleich auch bitterer Film: das Porträt der Generation des jungen Regisseurs, deren fatale Maxime ist, dass es im Leben nichts gibt, was wirklich Sinn macht. Mit einer Ausnahme: „Wir werden geboren, und wir sterben – nur die Liebe, das wäre schrecklich, wenn es sie nicht gäbe. Vielleicht ist die Liebe der einzige Sinn, den das Leben überhaupt hat.“

Aus diesem lakonischen Fatalismus, einer Mischung aus schwarzem Humor mit der Absurdität persönlicher Lebensentwürfe in einer Gesellschaft, die nach ganz anderen, funktionaleren Gesetzmäßigkeiten leben muss, entwickelt sich eine Komik der menschlichen Alltäglichkeit. Die Faszination der Geschichte liegt darin, dass sie nie in zynische Plattitüden abgleitet; dies beinhaltet aber auch ihre Schwäche, da keiner der Protagonisten in seiner inszenierten Leichtigkeit wirklich über den Erfahrungshorizont eines Filmstudenten hinausgeht. So ist „B. Aires“ ein Film über eine faszinierende Stadt, die immer wieder mit überraschenden, unbekannten Facetten aufwartet, wie das Leben der großen chinesischen Gemeinschaft, aber in erster Linie ein Film über den (erzwungenen) Müßiggang und die mit ihm verbundenen Illusionen. Bilder von Jugendlichen, die sich mit schlecht bezahlten Jobs über Wasser halten und ihre Träume von Selbstverwirklichung in der alltäglichen Routine verlieren: ein Schauspieler, der nicht auftritt, eine Malerin, die nicht ausstellt, ein Anstreicher, der gerne auf dem Land leben möchte. Letztlich ist Ariel Rotters Film auch ein interessantes Zeitdokument: ein Film aus einer Zeit, in der sich der Zusammenbruch des wirtschaftlichen und politischen Systems in Argentinien zwar schon ankündigte, aber noch nicht begonnen hatte. So wirken die existenziellen Probleme der fünf Protagonisten heute fast heiter, die Leiden um künstlerische Selbstfindung, um Liebe und alternative Lebensentwürfe sind sicher gleich geblieben, aber die Situation Argentiniens hat sich seit der Entstehung des Films radikal verändert.

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