Dokumentarfilm | USA 2003 | 116 Minuten

Regie: Nathaniel Kahn

Dokumentarfilm über den Architekten Louis Kahn, der neben Mies van der Rohe und Le Corbusier zu den einflussreichsten Baumeistern der Moderne zählt. Sein unehelich geborener Sohn macht sich darin auf eine persönliche Suche nach seinem Vater, den er nie richtig kennen gelernt hat. Mit dezenter ironischer Distanz befragt er Weggefährten und Zeitzeugen, wobei er den "Mythos Kahn" so weit dekonstruiert, bis ein widersprüchlicher, aber doch liebenswerter Mensch dahinter zum Vorschein kommt, dessen Werk nachdrücklich von der kulturellen Relevanz moderner Architektur zeugt. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
MY ARCHITECT - A SON'S JOURNEY
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2003
Produktionsfirma
Louis Khan Project Inc.
Regie
Nathaniel Kahn
Buch
Nathaniel Kahn
Kamera
Robert Richman
Musik
Joseph Vitarelli
Schnitt
Sabine Krayenbühl
Länge
116 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
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Diskussion
Nach dem Tod von Louis Kahn im Jahr 1974 berichteten die amerikanischen Zeitungen von den ebenso tragischen wie mysteriösen Umständen seines Ablebens. Der weltberühmte Architekt war in verwahrloster Kleidung auf einer Bahnhofstoilette in New York gefunden worden. Und im Nachruf der „New York Times“ stand zu lesen, dass Louis Kahn Ehefrau und eine Tochter namens Sue Ann hinterlassen habe. Von einem Sohn war darin nicht die Rede. Mit diesem Artikel beginnt Nathaniel Kahn den Dokumentarfilm über seinen Vater, den er kaum gekannt hat. Denn der große Architekt und visionäre Planer, der in seinen Bauten stets nach Klarheit und Ordnung strebte, war in seinem Privatleben eher ein Chaot. Neben seiner ehelichen Tochter hatte er noch zwei Kinder mit zwei anderen Frauen, mit denen er langjährige Beziehungen unterhielt. Darunter eben auch zu Nathaniel Kahns Mutter. Ein Haus hat er zeitlebens für keine seiner drei „Familien“ gebaut.

So ist der Film über den Architektur-Star kein klassisches Künstler-Porträt, sondern die ebenso persönliche wie bewegende Suche eines Filmemachers nach seinem Vater. Einer offenbar gleichermaßen faszinierenden wie widersprüchlichen Figur. Im Rahmen seiner Suche reist Nathaniel Kahn fünf Jahre lang rund um den Globus zu den sichtbaren Spuren aus Stein, die der Mann, der ihn und seine Mutter nur gelegentlich besuchte, auf den verschiedenen Kontinenten hinterlassen hat. Zu den Annäherungsversuchen über die Architektur kommen Gespräche mit ehemaligen Weggefährten, Freunden und Mitarbeitern des Baumeisters. Darunter prominente Kollegen wie I.M. Pei und Philip Johnson, der ehemalige Jerusalemer Bürgermeister Teddy Kollek, aber auch Taxifahrer in Philadelphia, die sich an ihren Stammfahrgast erinnern. Drehen sich die Gespräche zunächst vorwiegend um die Bauten und Ideen des Architekten, werden die Interviews mit zunehmender Dauer des Films immer persönlicher, zumal sich zu den Zeitzeugen dann auch Kahns Verwandte oder seine zweite Geliebte gesellen. Fast am Ende des Films steht ein überaus bewegendes Gespräch zwischen Nathaniel Kahn und seiner Mutter, die ihrem ehemaligen Geliebten noch heute keinen Vorwurf machen mag und felsenfest überzeugt ist, dass er 1974 bei seinem Tod im Bahnhof unterwegs zu ihr war, um endlich mit ihr und dem damals elfjährigen Nathaniel zu leben. Was der Filmemacher für eine fixe Idee hält. Der macht auch den ganzen Film über keinen Hehl daraus, dass er seinen Vater, so faszinierend und liebenswert er ihn bei seinen spärlichen Besuchen auch fand, dafür gehasst hat, dass er abends immer wieder fort fuhr und an Weihnachten ohnehin nie da war. Man sieht förmlich, wie diese schmerzlichen Erinnerungen in Nathaniel Kahn wieder lebendig werden, als ein ehemaliger Mitarbeiter von einem netten Weihnachtsfest erzählt, das Louis Kahn mit ihm und seiner Familie verbracht habe.

Wenn ein Film so dezidiert als private Spurensuche daherkommt, ist es nur konsequent, dass der Filmemacher nicht nur hinter, sondern immer wieder auch vor der Kamera agiert. Wobei es Khan trotz aller Involviertheit gelingt, eine dezent ironische Distanz zum Objekt seines Interesses zu wahren. Nichts ist seinem Film fremder als der Unterton eines bemühten, selbstmitleidigen Betroffenheitsgesäusels. Am Ende der Suche scheint Nathaniel Khan seinen Frieden mit Louis Kahn gemacht zu haben, weil er es geschafft hat, den Mythos Kahn ein Stück greifbarer, lebensechter und damit liebenswerter gemacht zu haben, ohne die Widersprüche und Brüche in dessen Persönlichkeit zu nivellieren oder gar als klassisch chaotische „Künstlerseele“ zu glorifizieren.

Dabei vermittelt der Film den Eindruck, dass mehr noch als alle intensiven Gespräche ein Stück Architektur Vater und Sohn versöhnt hat. Namentlich Louis Kahns Meisterwerk, der Regierungskomplex in Dakar, der Hauptstadt von Bangladesh. Dramaturgisch geschickt an den Schluss der Weltreise gesetzt, eröffnen die Sequenzen mit den für eines der ärmsten Länder der Welt repräsentativen Bauten einen atemberaubenden Eindruck davon, dass Architektur so viel mehr sein kann, als Menschen ein Dach über dem Kopf zu geben. Die Dankbarkeit und Stolz jener Menschen, die in Bangladesh Nathaniel Kahn in Verehrung seines Vaters im Film entgegengebracht wird, lässt steinerne Gebäude wahrlich lebendig werden. So ist der „Oscar“-nominierte Dokumentarfilm „My Architect“ das überaus klug montierte, mit hinreißender Musik von Beethoven bis Jefferson Airplane und Neil Young unterlegte, im besten Sinne bewegende Porträt eines ebenso faszinierenden wie widersprüchlichen Mannes und Vaters, das beileibe nicht nur für Architektur-Liebhaber sehenswert ist.

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