A Bride of the Seventh Heaven

- | Finnland 2003 | 85 Minuten

Regie: Anastasia Lapsui

Semi-dokumentarischer Spielfilm über das Leben der Nenet auf der westsibirischen Halbinsel Jamal. Ein blindes Mädchen wächst bei einer alten Frau auf, die dem Kind von ihrem Leben erzählt. In Rückblenden enthüllt der Film ihr Schicksal als unverheiratete "Himmelsbraut" und zeichnet ein lebendiges Bild der Nenet-Kultur. Durch die Inszenierung, die ruhige Kamera und das zurückhaltende Spiel der Darsteller avanciert die Landschaft zum Hauptdarsteller. Es entsteht eine Mischung aus Fiktion und Realität, wobei das Licht und die Farben der Tundra im Wechsel der Jahreszeiten die Erzählweise gliedern. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 12.
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Filmdaten

Originaltitel
NUMD SJARDA JUMALAN MORSIAN
Produktionsland
Finnland
Produktionsjahr
2003
Produktionsfirma
Millenium Film
Regie
Anastasia Lapsui · Markku Lehmuskallio
Buch
Anastasia Lapsui
Kamera
Johannes Lehmuskallio
Musik
Anna-Kaisa Liedes · Leena Joutsenlahti
Schnitt
Juho Gartz
Darsteller
Angelina Saraleta · Wiktoria Hudi · Ljuba Filipowa · Jewgeni Hudi · Gennadi Puikko
Länge
85 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 12.
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Diskussion
Ein kleines Mädchen sitzt, eingehüllt in einen dicken Fellmantel, mit dem Rücken zur Kamera und blickt in die Weite der Tundra. Es ist Sommer. Insekten schwirren durch die Luft. Das Plätschern eines Baches, der das Grün der Landschaft silbrig schillernd zerschneidet, signalisiert Leben. Die Kamera schwenkt mit einer langsamen Bewegung über zwei Tipis in der flachen und sonst leeren Gegend. Mit klaren, leuchtend hellen 35mm-Bildern (gedreht auf Super 16) erzählt der finnische Spielfilm von magischen Brautritualen und dem Bedürfnis nach Nähe. Am nördlichen Rand des Kontinents, auf der westsibirischen Halbinsel Jamal, lebt das Volk der Nenet, in deren Kultur es noch heute Brauch ist, ausgewählte Mädchen als Vermittler zwischen den Menschen und den Göttern zu bestimmen. Mit dem Brautopfer ist die Hoffnung verbunden, drohendes Unheil abwenden zu können. Als Kleinkinder werden die Mädchen Num, dem höchsten Gott der Nenet, versprochen. Die Zahl Sieben hat dabei eine magische Bedeutung. Num bewohnt den höchsten, den siebten Himmel, und für drei, vier oder fünf mal sieben Jahre werden die Bräute mit Gott verbunden. Während dieser Zeit, deren Dauer ein Schamane bestimmt, müssen die ausgewählten Frauen unverheiratet bleiben. Basierend auf den Erfahrungen der Frauen, erzählen Anastasia Lupsui und Markku Lehmuskallio vom Leben der Nenet und von der Einsamkeit der Num- Bräute.

Die alte Nenet-Frau Syarda hat in ihrem Tipi das blinde Mädchen Ilne aufgenommen. Jeden Morgen läuft Ilne, geführt von einem Seil, das zwischen Zelt und Fluss gespannt ist, zum Wasser, um sich die Blindheit aus den Augen zu waschen. „Wird das Flusswasser meine Augen heilen?“, fragt Ilne einmal Syarda, deren Wunsch nach einem eigenen Kind nie in Erfüllung ging. Auf der Erde neben der Feuerstelle richtet Syarda aus einer Schicht dicker Felle das Nachtlager, und wenn Ilne auf Syardas Schoß sitzt, bringt sie die alte Frau zum Erzählen. Syardas Geschichte beginnt mit den Umständen ihrer schwierigen Geburt in einer Winternacht. Der Schamane wurde gerufen, und Syarda noch vor ihrer Geburt dem Gott Num versprochen. Von ihrem Besuch am heiligen Berg, ihrem Leben als alleinstehende Frau, den Jahren in einer Gastfamilie und dem kinderlosen Dasein an der Seite eines Mannes erzählen Rückblenden, in denen sich die Tundra mal in eine Wüste aus Schnee und Eis, mal in einen welligen Morast verwandelt. Wie beiläufig lernt man die Kultur der Nenet kennen, die etwa in ihren Zelten Talismane hüten, die eine schützende Wirkung auf die Feuerstellen der Tipis ausüben, und den auf einem offenen Feuer bereiteten Tee aus der Untertasse trinken. Auf einer Art Metaebene zwischen den Zeitsprüngen nehmen die Fantasien der alten Frau Gestalt an, wenn sie etwa in einer Zwiesprache mit Num mit ihrem Schicksal hadert, oder am Ende auf den Tod wartet. Die Rückblenden ragen auf der Tonspur immer wieder in die Rahmenhandlung hinein, wobei die Geschichte des blinden Mädchens eine besondere Bedeutung hat. Sie basiert auf den Erfahrungen der Regisseurin Anastasia Lapsui, die auf Jamal geboren wurde, als Kind selbst für einige Jahre erblindete und bei einer als Himmelsbraut erwählten Frau aufwuchs.

„A Bride of the Seventh Heaven“ gelingt so die Umsetzung einer archaischen Erzählkultur in moderne Filmsprache; etwas, an dem sich Zacharias Kanuk 1995 mit dem von der Jahrtausende alten Erzählkultur der Inuit inspirierten Projekt „Igloolik Isuma Productions“ orientierte. Ähnlich wie bei der Inuit-Doku-Soap entsteht eine interessante Mischung aus Realität und Fiktion, Vergangenheit und Gegenwart, die, wie die Kultur der Eingeborenen, komplexe Inhalte optimal transportiert. Wiederkehrende Einstellungen strukturieren den Film, dessen semi-dokumentarische Erzählweise im Rhythmus der Jahreszeiten die Kultur der Nenet subtil anschaulich macht. Dabei übernimmt der Soundtrack mit einer Mischung aus natürlichen Geräuschen und instrumentalen Klängen eine wichtige Rolle. Aus Tönen und Musik entsteht ein naturnahes und zugleich artifizielles Klangerlebnis, etwa bei der Geburtsszene, wenn sich das Geräusch des Atmens mit den rhythmischen Schlägen einer Bass- Gitarre mischt. Mal erklingt eine Art Mundorgel, die an die Musik der australischen Aborigines gemahnt, wenn zwei Kinder mit Rentier-Geweihen spielen, mal klingt es unheilvoll, als ließe Bernard Herrmann die Streicher à la Hitchcocks „Psycho“ kreischen. In der letzten Einstellung, wenn das Mädchen nur noch als kleiner schwarzer Punkt am Horizont zu erkennen ist und seine Rufe nach der Mutter allmählich verhallen, gewinnt wieder die Stille der Tundra die Oberhand und mit ihr das Zwitschern der Vögel.

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