Drama | Schweiz/Deutschland 2003 | 85 Minuten

Regie: Rudolph Jula

Zwei einander unbekannte Männer erfahren nach dem Tod der Mutter des Älteren, dass sie Brüder sind und ihr Leben einer leidenschaftlichen Affäre der Frau mit einem italienischen Gastarbeiter verdanken. Sie machen sich auf die Suche nach ihrem Vater und werden im tiefsten Süden Italiens fündig, wobei sie sich zusammenraufen und anfreunden. Ein reizvolles Road Movie über die Suche nach der Heimat und den eigenen Wurzeln, das seine leise Geschichte weitgehend schnörkellos und überzeugend erzählt. - Ab 14 möglich.
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Filmdaten

Originaltitel
CATTOLICA
Produktionsland
Schweiz/Deutschland
Produktionsjahr
2003
Produktionsfirma
Fama/Lichtblick/DRS/ZDF
Regie
Rudolph Jula
Buch
Rudolph Jula
Kamera
Axel Henschel
Musik
Armin Pommeranz
Schnitt
Gergana Voigt
Darsteller
Merab Ninidze (Martin) · Lucas Gregorowicz (Stefan) · Giacinto Ferro (Giuseppe) · Vanessa Compagnucci (Letizia)
Länge
85 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14 möglich.
Genre
Drama
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Diskussion
Zunächst spielt Rudolph Julas Debütfilm mit den Zuschauer-Erwartungen: Martin, ein gutaussehender Mann Anfang 30, verabschiedet sich am Telefon von seinem kleinen Sohn, weil er für einige Tage ins Ausland reisen müsse. Die nächste Sequenz zeigt ihn in einer Szene-Kneipe, wo er dem schwulen Barkeeper Stefan scheinbar schöne Augen macht. Doch in Stefans Wohnung findet das vermeintlich homosexuelle Tête-à-Tête ein jähes Ende, als Martin dessen sexuelle Avancen brüsk zurückweist und den eigentlich Grund seines Besuchs offenbart: Er ist Stefans Bruder, genau wie dieser außerehelicher Sohn einer Affäre der Mutter mit einem italienischen Gastarbeiter, der seinem deutschen Vater untergeschoben wurde, während man Stefan noch am Tag seiner Geburt zur Adoption freigab. Dies offenbart die Hinterlassenschaft der verstorbenen Mutter, deren Erinnerungen die beiden sich noch fremden und gar nicht so wohl gesonnen Männer zu einer Italienreise zusammenschweißen, in deren Verlauf sich eine Männerfreundschaft entwickelt. Zugegeben, dies ist ein rechtes Verwirrspiel als Auftakt eines Road Movie, in dem die ungleichen Brüder nach dem Vater fahnden und die Geschichte der Mutter reflektieren, diesie zunächst an den rummeligen Badeort Cattolica an der italienischen Adria-Küste führt, auf den einige Indizien aus dem mütterlichen Nachlass hindeuten. Hier aber verlaufen die Spuren nach Giuseppe im Sand; während der penible Martin schon aufgeben will, entwickelt der flippige Stefan eine ungeheure Energie, um seinen leiblichen Vater aufzuspüren. Die Spur und eine geballte Ladung Absicht führen nun in den tiefsten Süden Italiens. Ein Brief, der Name eines Hotels, ein Stein mit Muschel-Einlagerungen sowie zwei Fotos – eines zeigt eine Kirche – weisen den Weg. Die Reise führt in eine nie gekannte Heimat und ist von erheblichen Strapazen gekennzeichnet. Nachdem das Auto gestohlen wird und auch Züge nicht mehr zum vermeintlichen Ziel führen, helfen Vespa und Schusters Rappen, um in jenes gottverlassene Nest zu gelangen, aus dem der Vater stammt, der nach dem Scheitern seiner großen Liebe dort eine neue Familie gründete. Ausgerechnet Stefan, der dieser Erinnerungsarbeit zunächst nur übellaunig gefolgt ist, baut den Kontakt auf, gibt sich aber nicht als nachgeborener Sohn zu erkennen, sondern ebnet Martin den Weg zur Aussöhnung mit dem Vater. Danach trennen sich ihre Wege, doch es scheint, als wären alle an einem Ziel angelangt: Ihr Leben hat zu einer gewissen emotionalen Verankerung gefunden. Es ist ein großer Aktivposten, dass der Film nie vorgibt, mehr sein zu wollen als gefühlvolles Unterhaltungskino. Geschickt nutzt „Cattolica“ Genre-Mechanismen, um mit Hilfe einer kriminalistischen Spurensuche seine Protagonisten auf den Weg zu bringen. Hier erschließt sich denn auch eine andere Ebene dieses kleinen, faszinierenden Films, denn die Essenz seiner Geschichte scheint tief ins Wesen der Schweizer Befindlichkeit zu treffen. Es gibt kaum ein Filmland, dessen Regisseure sich so intensiv um die Suche nach Vätern und Heimat bemühen und dessen (Dokumentar-)Filme so liebevoll-kritisch die Heimat und ihre Eigenheiten unter die Lupe nehmen. Wird man im eigenen Land nicht fündig, so bieten ferne Gestade wie etwa Tibet, auch ein kleines Land mit hohen Bergen, eine treffliche Projektionsfläche; wem dies zu exotisch ist oder wer nach einer inneren Heimat sucht, der findet den „Vater“ vielleicht auch in Umbrien, um in Filmproduktionen wie „Die Vogelpredigt“ (fd 37 133) Unterschlupf zu suchen. So gesehen, ist „Cattolica“, wenn auch mit deutschen Geldern co-finanziert, eine durch und durch Schweizer Produktion, die sich – wenn auch unbewusst – in eine lange Tradition einreiht. Die Darsteller überzeugen weitgehend, während sie Buch und Regie mitunter alleine lassen, wie im Falle eines recht überflüssigen Fußballspiels. Doch wenn zum Ende hin sprachliche Unzulänglichkeiten die Kommunikation erschweren und man als Zuschauer dennoch den Eindruck gewinnt, dass sich die Protagonisten verstehen, weil das, was gesagt wird, vom Gegenüber auch ohne Kenntnis der fremden Sprache verstanden wird, dann hat der Film durchaus einen filmischen Zeitnerv getroffen, der das gesprochene Wort hinter dem gefühlten einreiht. Julas liebevoll erzählte Geschichte rückt die Bedeutung von Verwurzelung ins Zentrum und berichtet von den Abenteuern, die ein scheinbar normierter Alltag immer noch zu bieten hat.
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