Dokumentarfilm | USA/Spanien 2003 | 99 Minuten

Regie: Oliver Stone

Regisseur Oliver Stone führte ein langes Interview mit dem kubanischen Staatschef Fidel Castro, dessen dokumentarische Aufbereitung durch ihre formale Kraft besticht. Die souveräne Montage verdichtet historische Aufnahmen mit Bildern des dreitägigen Gesprächs zu einem schillernden Porträt des Diktators, wobei die hautnahen Bilder des alternden Castro von der Endlichkeit seiner Person wie seiner politischen Visionen erzählen. (O.m.d.U.) - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
COMANDANTE
Produktionsland
USA/Spanien
Produktionsjahr
2003
Produktionsfirma
Media Producción/Pentagrama Films/Morena Films/HBO Documentary
Regie
Oliver Stone
Buch
Oliver Stone
Kamera
Carlos Marcovich · Rodrigo Prieto
Musik
Alberto Iglesias · Paul Kelly
Schnitt
Elisa Bonora · Alex Marquez
Länge
99 Minuten
Kinostart
13.01.2005
Fsk
ab 12
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
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Heimkino

Verleih DVD
Universum (1.66:1, DD2.0 engl./span./dt.)
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Diskussion
Oliver Stones Film ist eine Auftragsarbeit für den Sender HBO, die bereits im Februar 2002 entstanden ist. Wenn „Comandante“ jetzt ins Kino kommt, dürfte das weniger mit seiner Qualität als vielmehr mit dem Film „Die Reise des jungen Che – Motorcycle Diaries“ (fd 36 724) und vielleicht noch mit Stones „Alexander“ (fd 36 837) zu tun haben. Jedenfalls fügt sich die Dokumentation bestens in Stones Lebensprojekt filmischer Re- und Dekonstruktionen des amerikanischen Traums und amerikanischer Traumata ein. 30 Stunden lang dauerte die Begegnung des Filmemachers mit dem Massimo Lider, der, wie der Film stolz mitteilt, kein einziges Mal verlangte, die Kamera auszuschalten. Dass es dafür auch (fast) keinen Grund gab, wird im Verlauf des Films deutlich; zwar stellt Stone die eine oder andere flapsige Frage, etwa ob der Diktator denn schon einmal an eine Psychotherapie gedacht habe – hat er nicht, dazu fehlte ebenso die Zeit wie zur forcierten Körperpflege. Wie hält sich Fidel körperlich fit? Geht er noch häufig ins Kino? Nein, selbst „Titanic“ hat er nur auf Video gesehen, aber Sophia Loren, die hat er damals wirklich vergöttert. Doch Moment – Fidel ein Diktator? Ist das nicht etwas unbotmäßig gefragt? Nicht, wenn man sich mit der routinierten Antwort abspeisen lässt: „Ich bin mein eigener Diktator, Sklave meines Volkes. Ist das etwa schlecht?“ So wird man tatsächlich Zeuge einer entstehenden Männerfreundschaft. Zwar lässt sich Castro nicht auf humoristisches Parkett locken, das dem Interviewer Stone im Lauf der Begegnung vorzuschweben schien, ansonsten aber gibt er den weisen, etwas älter gewordenen Diener seines Volkes, führt seinen US-amerikanischen Gast durch Krankenhäuser und Kunstausstellungen und parliert konzentriert, freilich auch routiniert durch den Film. An Schicksal glaubt er nicht, bezüglich der Ermordung von Kennedy auch nicht an einen Einzeltäter, das Engagement der kubanischen Truppen in Angola lässt sich historisch begründen; es gab keine kubanischen Folterexperten auf Seiten des Vietcong, die Situation der Menschenrechte auf Kuba ist in Ordnung, es darf gewählt werden (allerdings nur eine Partei, was wiederum nicht gesagt wird) – sonderlich tiefschürfend ist das alles nicht. Viel interessanter ist in diesem Zusammenhang die akustische Textur des Films, denn während der gesamten Gespräche wird simultan übersetzt, was gerade dann besonders amüsant wird, wenn Castros Übersetzerin erzählt, dass sie schon so lange mit ihrem Chef zusammenarbeite, dass sie dessen Antworten auf bestimmte Fragen buchstäblich antizipieren kann – was gewiss weniger mit ihren möglichen telepathischen Fähigkeiten als mit Castros stereotypen Antworten zu tun hat. Was „Comandante“ zu einem interessanten Film macht, ist seine formale Kraft. Es gibt die bei Stone gewohnt souveräne und dichte Montage von Material unterschiedlichster Provenienz, sei es dokumentarisches Wochenschaumaterial, seien es Impressionen aus dem heutigen Havanna, seien es Bilder der Interviews selbst, in denen auch Oliver Stone immer wieder zu sehen ist. Man erlebt im Schnelldurchlauf die Geschichte Kubas im 20. Jahrhundert vom Ende der Batista-Diktatur über die Intervention in der Schweinebucht und die Kuba-Krise 1962 bis, eher marginal, in die Gegenwart. Dabei wird die Geschichte Kubas aufs Engste mit der US-Geschichte verknüpft und durch „Erinnerungen“ an vergleichbare sozialistische Experimente in Lateinamerika kontextualisiert. Hier ist von Hemingway ebenso die Rede wie von Salvatore Allendes, von ITT und Pinochet gewaltsam gestoppter chilenischer Revolution oder Che Guevaras unglücklicher Bolivien-Expedition. Immer deutlicher tritt das Castro-Bild Stones zu Tage, der den zähen Comandante als „Last Man Standing“ verehrt. So fällt weniger ins Gewicht, dass Castro auf bestimmte Fragen nach Folter und Unterdrückung mit routinierten Lügen oder Halbwahrheiten antwortet und dass Stone mitunter schlecht vorbereitet ist, auch dass er bestimmte Antworten Castros schlicht ignoriert; weit spannender ist die schiere Existenz Castros in physischer wie politischer Hinsicht. Die Kamera präsentiert in Nahaufnahmen den Körper, die Hände, das Gesicht des Comandante, dessen Hinfälligkeit auch davon erzählt, gerade keine zum Pop-Mythos gewordene Polit-Ikone wie Che Guevara geworden zu sein. Castro hat standgehalten und dafür mit seinem Privatleben bezahlt. Ob „sein“ Kuba seinen Tod überleben wird, ist ungewiss; letztlich könnte die Ära Castro eine Episode bleiben, denn Kuba selbst ist stärker denn je Fluchtpunkt für westliche Touristen. Auch davon erzählt „Comandante“, wenn Stone nicht nur Postkartenansichten von Kuba sammelt, an die Zeit der Batista-Casinos erinnert und das Ganze mit einschlägigen „Buena Vista Social Club“-Tönen unterlegt. Schließlich wurden in den vergangenen Jahren wiederholt kubanische Musiker mit dem „Grammy“ ausgezeichnet, denen dann zur Preisverleihung die Einreise in die USA verwehrt blieb. Auch „Comandante“ wurde die Ausstrahlung im US-Fernsehen verweigert – wegen Einseitigkeit.
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