Drama | Frankreich/Italien/Schweiz/Armenien 2003 | 88 Minuten

Regie: Hiner Saleem

Ein einsamer Witwer aus Armenien, der ein kärgliches Dasein fristet, findet eine neue Partnerin und kämpft mit ihr gemeinsam um ein bisschen Glück. Der Film gewährt Einblicke in eine fremde Welt, in der die Uhren etwas anders ablaufen als im westlichen Europa. Dabei versucht Regisseur Hiner Saleem auf bisweilen allzu übertriebene und bemühte Weise, den skurril-lakonischen Tonfall der Filme Aki Kaurismäkis oder Kusturicas nachzuahmen. Nichts desto trotz überzeugt der Film dank seiner hervorragenden Hauptdarsteller sowie durch viele präzise Alltagsbeobachtungen, gefühlvolle romantische Momente und durch seine träumerisch-schöne Bildsprache. (O.m.d.U.) - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
VODKA LEMON
Produktionsland
Frankreich/Italien/Schweiz/Armenien
Produktionsjahr
2003
Produktionsfirma
Dulciné Films/Amka Films Prod./Cinefacto/Paradise Films/Sintra
Regie
Hiner Saleem
Buch
Hiner Saleem · Lei Dinety · Pauline Gouzenne
Kamera
Christophe Pollock
Musik
Michel Korb · Roustam Sadoyan
Schnitt
Dora Mantzoros
Darsteller
Romen Avinian (Hamo) · Lala Sarkissian (Nina) · Ivan Franek (Dilovan) · Ruzan Mesropyan (Zine) · Zahal Karielachvili (Giano)
Länge
88 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama
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Diskussion
Ein alter, klappriger Lastwagen dröhnt durch eine weite, unbewohnte Schneelandschaft. Das, was er hinter sich her zieht, erinnert nur von fern an einen Schlitten, in Wirklichkeit ist es jedoch ein Bett, in dem ein älterer Herr sitzt; mit Mantel und Mütze, die Beine eingewickelt in eine zitronengelbe Bettdecke. Die abenteuerliche Fahrt des merkwürdigen Gespanns endet am Friedhof, wo sich eine Gruppe von Musikern um ein Grab versammelt, zu der sich auch der Mann im Bett gesellt. Gemächlich nimmt er sein künstliches Gebiss aus dem Mund, das Blasinstrument in die Hände, und los geht es: Willkommen in Armenien! Mit dieser Szene eröffnet Regisseur Hiner Saleem seinen Film: So muss man sich also armenische Krankentransporte und Begräbnisfeiern vorstellen. Uhren und Menschen ticken hier anders, Not macht erfinderisch. Der Exil-Kurde Hiner Saleem schildert den improvisierten Alltag der notleidenden armenischen Landbevölkerung in einem heiter-melancholischen Tonfall, dem man Nähe und Distanz zum Ort des Geschehens gleichermaßen anmerkt. Mit 17 floh Saleem aus dem kurdischen Norden des Irak nach Italien, heute lebt er als politischer Flüchtling, Regisseur und Autor in Paris. Der westliche Zuschauerblick, der sich bei den Produktionen aus fernen Filmländern gerne am Exotischen, Folklorehaften weidet, dürfte Saleem also vertraut sein. Und fast scheint es, als versuche er, diesen mit „Wodka Lemon“ gezielt zu bedienen. Die Einflüsse von erfolgreichen Nischenregisseuren wie Aki Kaurismäki oder Emir Kusturica jedenfalls sind unverkennbar. Reichlich skurril und lakonisch erzählt der Film die tragikomische Geschichte eines verlorenen, vergessenen Landes und seiner liebenswerten, kauzigen Bewohner, die allen Widrigkeiten zum Trotz zäh um ein wenig Glück ringen. Das Lebensgefühl, verlassen und allein zurückgelassen worden zu sein, kulminiert im Bild der weiten, weißen kaukasischen Einöde, über die sich gewaltige Überlandstrom­lei­tun­gen spannen. Allein zurückgelassen wurde auch der 60-jährige Witwer Hamo; nicht nur von seiner Frau, deren Grab er liebevoll pflegt, sondern auch von seinem Sohn, der nach Frankreich ausgewandert ist, doch statt Geld zu schicken selbst um welches bittet. Obwohl Hamo bald nichts anderes mehr übrig bleibt, als seinen Hausrat nach und nach zu verscherbeln, verliert er weder seinen Stolz noch seinen trotzigen Optimismus. Eines Tages begegnet er auf dem Friedhof Nina, die beim Busfahrer anschreiben lässt und sich dadurch über Wasser hält, dass sie an einem kleinen Kiosk an einer Fernstraße Wodka Lemon verkauft. Außerdem wird sie von ihrer hübschen Tochter finanziell unterstützt, ohne zu ahnen, dass diese sich dafür prostituieren muss. Vorsichtig nähern sich Hamo und Nina einander an, stillschweigend verlieben sie sich. Einfühlsam schildert „Wodka Lemon“ ihr behutsames, ungelenkes Kennenlernen und hält ihre Liebe, die dem schneetoten Umfeld Leben, Wärme und Hoffnung abtrotzt, in fast magischen, zärtlich-poetischen Momenten fest. Dort, wo sich der Film erlaubt, romantisch zu werden, ist er ergreifend und wunderschön. Die absurden, grotesk-surrealen Passagen hingegen überspannen bisweilen den Bogen und wirken mitunter allzu bemüht. Auch die lakonische Erzählweise verliert mit der Zeit ihre Frische und gerät ein ums andere Mal plakativ emblematisch: „Warum heißt das eigentlich Wodka Lemon, obwohl es doch nach Mandeln schmeckt?“, fragt Nina und erhält nichts weiter zur Antwort als ein achselzuckendes „Das ist Armenien.“ Diese drei Worte geben den Takt vor: Kurz und knapp, mit wenigen Kamerabewegungen und in schlichten Totalen führt Saleem sein Armenien vor, ein wenig verrückt und ein wenig jenseits der Zeit, die er mit seinem quälend langsamen Erzählrhythmus beinahe still legt, was – obwohl ästhetisch nachvollziehbar – auf Dauer doch etwas langweilt. Aber die malerische Szenerie, eine oft träumerisch-schöne Bildsprache, herrlich komische Einfälle – wie etwa der Busfahrer, der während der Fahrt zu ohrenbetäubend lauter französischer Schlagermusik den Playbacksänger gibt –, die vielen kleinen Alltagsbeobachtungen und vor allem das bezaubernde Spiel der beiden Hauptak­teure entschädigen für den manchmal manierierten, kalkulierten Erzählstil und machen „Wodka Lemon“ zu einem Film, dem es nicht nur gelingt, den (westlichen) Zuschauer in eine fremde Welt zu entführen, sondern ihm diese auf seine tragikomische Weise auch ein wenig näher zu bringen.
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