Jugendfilm | USA 2004 | 87 Minuten

Regie: Jacob Aaron Estes

Um einem aggressiven dicken Schüler eine Lehre zu erteilen, locken ihn vier andere Jungen auf eine Bootsfahrt, auf der er gedemütigt werden soll. Durch das Eingreifen eines Mädchens wird der Plan ad acta gelegt, allerdings ertrinkt der Junge nach einer Auseinandersetzung im Fluss. Ein subtiler Jugendfilm, der darstellerisch brillant gruppendynamische Prozesse beschreibt. Ohne jeden moralischen Zeigefinger weist der Film auf die Unverwechselbarkeit eines jeden Individuums hin und fordert dazu auf, der Verantwortung für sein Handeln nachzukommen. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
MEAN CREEK
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2004
Produktionsfirma
Whitewater Films
Regie
Jacob Aaron Estes
Buch
Jacob Aaron Estes
Kamera
Sharon Meir · Josh Peck
Musik
tomandandy · Ethan Gold · Gretchen Lieberum
Schnitt
Madeleine Gavin
Darsteller
Rory Culkin (Sam) · Ryan Kelley (Clyde) · Scott Mechlowicz (Marty "Martini" Blank) · Trevor Morgan (Rocky) · Josh Peck (George)
Länge
87 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Jugendfilm
Externe Links
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Heimkino

Die Extras umfassen u.a. einen Audiokommentar des Regisseurs, des Kameramanns, der Cutterin und der Darsteller Josh Peck, Trevor Morgan, Ryan Kelley und Carl Schroeder.

Verleih DVD
Universum (16:9, 1.85:1, DD5.1 engl./dt.)
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Diskussion
George ist ein Ekel. Nicht nur, dass er viel dicker ist als die anderen Teenager, er rastet auch schneller aus. Weil Sam, ein Schüler aus einer unteren Klasse, seine Videokamera aus der Nähe betrachtet, verprügelt George ihn so sehr, dass der Kleine nichts dagegen hat, wenn ihn sein größerer Bruder Rocky rächt. Rocky vertraut sich seinem Freund Marty an, und gemeinsam tüftelt man einen Plan aus: George soll unter einem Vorwand zu einer Bootsfahrt eingeladen werden; unterwegs will man ihn zwingen, sich auszuziehen. Vor aller Augen gedemütigt, soll er dann nackt in die Stadt zurück. Das ist der Ausgangspunkt von „Mean Creek“, der an Rob Reiners erfolgreiche Stephen-King-Verfilmung „Stand by me“ (fd 26 001). Hier wie dort geht es um das Abenteuer einer Jungengruppe (zu der in „Mean Creek“ noch ein Mädchen, Sams blonde Freundin Millie, kommt); und hier wie dort läuft eine Initiationsgeschichte ab: Aus den Spielen der Kinder wird plötzlich blutiger Ernst; die Zeit der Reife verkürzt sich gleichsam auf einen Tag und eine Nacht. Regisseur Jacob Aaron Estes erzählt das schnörkellos und psychologisch subtil: „Mean Creek“ gehört zweifellos zu den besten Independents, die derzeit aus den USA zu sehen sind. Die Genauigkeit beginnt schon mit den Motivierungen der Personen: Sam steht der Gewalt, die George ihm angetan hat, hilflos gegenüber und vertraut den Erfahrungen seines älteren Bruders. Der möchte gern dem konsequenten und sehr erwachsen wirkenden Marty nacheifern. Marty wiederum braucht ein Ventil, um mit der Aggressivität fertig zu werden, die ihm sein großer Bruder entgegen bringt. Weil er gegen den nichts ausrichten kann – die Szene, in der er in den Schwitzkasten genommen wird, spricht Bände –, benötigt er ein anderes Ziel: Da kommt Fettsack George sehr gelegen. Aus solchen Motiven und Verschränkungen entsteht eine Gruppendynamik, der sich anfangs niemand entzieht. Dass das Mädchen Millie sie aufhalten kann, verweist auf eine mögliche Balance der Geschlechter. Als Millie von der geplanten Entwürdigung des Dicken erfährt und Sam bittet, die Notbremse zu ziehen, hat im Film schon eine andere Differenzierung eingesetzt: Während der Autofahrt zum Fluss lernten die Freunde den Bösewicht besser kennen – und zumindest Sam und sein Bruder beginnen nun auch den Menschen, nicht nur die Kampfmaschine George zu entdecken. Jeder Mensch ist einzigartig, und nahezu jedes Verhalten hat seine Ursachen, auch wenn man sie zunächst nicht zu deuten weiß. Auf diese Erkenntnis, vornehmlich für ein jüngeres Publikum gedacht, läuft „Mean Creek“ hinaus. Dabei entschuldigt der Film nichts. Vor allem in Bezug auf George wird der Zuschauer einem Wechselbad der Gefühle ausgesetzt: Auf Zorn folgt Mitleid, auf Mitleid gleich wieder Abscheu. George, der freimütig über sich und seine Macken plaudert, kann im nächsten Moment, wenn er sich in die Enge getrieben fühlt, erneut zum Fiesling par excellence werden. Er hält Millie, die ihn verteidigt, seine Schweißfüße unter die Nase und nennt einen Jungen, dessen Vater mit einem Mann zusammenlebt, eine „Schwuchtel“. In seinen Verbalinjurien schießt George über jedes Ziel hinaus; dass daraus bei den Betroffenen ebenfalls Aggressionen entstehen, liegt auf der Hand. Jacob Aaron Estes wählt, um seinem Film so viel Gewicht wie möglich zu geben, schließlich die Schlimmstmöglichste aller Varianten. George stirbt nach einem Handgemenge; die anderen müssen mit diesem Tod – einem Unfall; einem Mord? – umzugehen lernen, wobei der Erkenntnisprozess, dass sie Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen haben, keineswegs eine leichte Aufgabe darstellt. „Mean Creek“ rettet sich dabei nie in vordergründige Aktionen, sondern bleibt nahe an den Figuren und ihren Gesichtern, auf denen sich Angst, Hilflosigkeit und Wut spiegeln. Gerade im letzten Drittel des Films zeigt der Regisseur, wie gut er mit den jungen Darstellern umzugehen weiß: dem schüchtern und immer ein wenig traurig wirkenden Rory Culkin als Sam oder der etwas frühreif geschminkten, aber auch moralisch reiferen Carly Schroeder als Millie. Herausragend spielt Scott Mechlowicz den Marty, den einzigen, der sich nach dem Tod Georges nicht der Polizei zu stellen bereit ist. Estes gewährt ihm eine große letzte Szene: Um fliehen zu können, raubt er mit der Pistole des Bruders die Kasse eines Supermarkts aus; dabei gelingt es ihm kaum, die Waffe auf den Mann an der Kasse zu richten; während dieser das Geld auf den Tresen packt, weint Marty bittere Tränen. Josh Peck als George versteht sowohl die romantischen als auch die krankhaften Züge seiner Figur vorzuführen: insgesamt ein beeindruckendes Ensemble in einem leisen, packenden Jugendfilm.
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