Ersatzteile (Spare Parts)

- | Slowenien 2003 | 87 Minuten

Regie: Damjan Kozole

Drama über den Alltag zweier Schleuser, die mit ihrem Lastwagen Flüchtlinge von der kroatischen zur italienischen Grenze transportieren. Der unprätentiöse, sozial und psychologisch gleichermaßen präzise Film kulminiert in der Erkenntnis, dass nicht nur die "Illegalen", sondern auch die Schleuser funktionierende Rädchen in einer menschenverachtenden Maschinerie sind. Der Film lässt keinen Hoffnungsschimmer zu, führt aber gerade durch seinen stringenten Pessimismus beim Zuschauer zur Katharsis. - Sehenswert.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
REZERVNI DELI
Produktionsland
Slowenien
Produktionsjahr
2003
Produktionsfirma
E-motion Film/TV Slovenija
Regie
Damjan Kozole
Buch
Damjan Kozole
Kamera
Radoslav Jovanov
Musik
Igor Leonardi
Schnitt
Andrija Zafranovic
Darsteller
Peter Musevski (Ludvik) · Aljosa Kovacic (Rudi) · Primoz Petkovsek (Rajc) · Valter Dragan (Drago) · Aleksandra Balmazovic (Angela)
Länge
87 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
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Diskussion
Der Titel des Films weist auf einen technischen Vorgang hin: Ersatzteile sind Materialien, die gebraucht werden, um eine Maschine nach einem Defekt wieder zum Laufen zu bringen. Die Maschinen, um die es in Damjan Kozoles Film geht, sind freilich aus Fleisch und Blut: Menschen, die im wahrsten Sinne des Wortes ausgeschlachtet werden, um andere Menschen weiter funktionieren zu lassen. Insofern ist „Ersatzteile“ ein Horrorfilm der besonderen Art: Er benötigt keine Außerirdischen, keine Zombies und keine Mutanten; er beschreibt den alltäglichen Horror, der von globalen Glücksverheißungen, von Hoffnungen auf ein besseres Leben ausgeht und mit der faktischen Unerfüllbarkeit aller Träume endet. Handlungsort ist Slowenien vor der Aufnahme des Landes in die Europäische Union. Als Hauptfiguren agieren zwei Schleuser, die mit ihrem Lastwagen Nacht für Nacht Flüchtlinge von der kroatischen zur italienischen Grenze transportieren, um sie dort ihrem ungewissen Schicksal zu überlassen. Das kostet jene Kurden, Albaner oder Pakistani, die in schäbigen Unterkünften bis zur Abfahrt zusammengepfercht werden, tausend Euro pro Person. Drüben, in Italien, also in „Europa“, wie es im Film immer wieder heißt, werden sich viele der Flüchtlinge nicht anders behelfen können, als sich als Prostituierte zu verdingen oder Organe ihres Körpers zu verkaufen: Eine Niere bringt 15 000 Euro, ein menschliches Ersatzteil. Ludvik, der ältere und erfahrenere der beiden Transporteure, erzählt davon seinem Beifahrer Rudi, um ihm das schlechte Gewissen zu nehmen, nachdem er ihn aufgefordert hat, eine junge Mazedonierin zur Hure zu machen. Der zynische Ludvik, ein ehemaliger Motorrad-Champion, der von sich selbst nur in der dritten Person spricht, und der weiche, scheinbar sensible Rudi, werden im Lauf des Films von ihren äußeren Hüllen entblößt. Am Ende von „Ersatzteile“ überträgt sich der Titel auch auf dieses Paar: Rudi steht in der großen Maschinerie der Schleuser als nunmehr skrupelloser, eiskalter Ersatz für den an Krebs verstorbenen Ludvik bereit. Und heuert seinerseits wieder einen jungen Gehilfen an, genau in jenem Moment, in dem der Stadionsprecher einen slowenischen Sieg im Speedway-Rennen verkündet. Sein mehrdeutiger Satz „Die Erfolgsgeschichte geht weiter“ beschließt den Film. Mit der Konzentration auf Ludvik und Rudi bringt Damjan Kozole eine neue Perspektive in die Phalanx der modernen Flüchtlingsfilme ein. Die sogenannten „Illegalen“, die von Xavier Kollers „Reise der Hoffnung“ (fd 28 840) bis Michael Winterbottoms „In this world“ (fd 36 128) sonst oft im Mittelpunkt stehen, sind hier namenlos und nur mit knappen Strichen gezeichnet: eine Mutter, die sich weigert, ihr totes Kind zu begraben; eine schwarze Familie, die im Kofferraum eines Pkw erstickt und so weiter. Die Schleuser dagegen, vor allem Ludvik, besitzen ein psychologisch genau umrissenes Profil, wobei die von Machismo und Kaltschnäuzigkeit geprägten gruppendynamischen Prozesse innerhalb der Männerclique eine wesentliche Rolle spielen. Am eindrucksvollsten agiert Peter Musevski als Ludvik: Nach und nach gibt der unprätentiöse, schnörkellose Film die Geschichte seines Lebens preis, macht sozialen Abstieg und Todeserfahrungen als Wurzeln für sein zynisches Gehabe transparent. Einer der schönsten Momente ist sein knappes Gespräch mit der Kellnerin Sonja, die ihm, dem Gescheiterten, einen Heiratsantrag macht. Der Zukunftslose schlägt ihn aus – so wie er der bevorstehenden Aufnahme seines Landes in die EU und der dadurch drohenden erneuten „Arbeitslosigkeit“ nur noch die Bemerkung entgegenzusetzen vermag: „Das vereinte Europa war schon ein Projekt von Hitler. Seine Methoden waren zwar ein wenig grob, doch das Ziel war dasselbe.“ So ist „Ersatzteile“ ein zutiefst pessimistischer Film; auch die gelegentlich in die Handlung eingeschnittenen giftiggelben Totalen einer von Rauch geschwängerten Industrielandschaft tragen dazu bei. Hatten die Dokumentaraufnahmen des Filmbeginns, in denen der einstige jugoslawische Präsident Tito bei der Grundsteinlegung eines Atomkraftwerks zu sehen ist, noch einen gewissen Aufbauwillen verkündet, bleibt am Ende nur ein Universum körperlicher und seelischer Verkrüpplungen zurück.
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