Bombón - Eine Geschichte aus Patagonien

Drama | Spanien/Argentinien 2004 | 98 Minuten

Regie: Carlos Sorin

Das Schicksal eines 50-jährigen arbeitslosen Argentiniers scheint sich zu wenden, als ihm eine Frau einen ebenso riesigen wie edlen Zuchthund schenkt. Die Träume des Mannes vom sozialen Aufstieg aber rücken in weite Ferne, als das Tier keine Anstalten macht, seiner vermeintlichen Bestimmung nachzukommen. Der von Menschlichkeit und großer Herzlichkeit getragene Film beschreibt das soziale Elend in Argentinien mit aufrichtiger Anteilnahme, ohne die Liebe zum Leben aus den Augen zu verlieren. Der überzeugende Hauptdarsteller vermittelt den melancholischen Grundton des Films, aber auch eine grenzenlose Duldsamkeit, die sein Geheimnis ausmacht. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
EL PERRO
Produktionsland
Spanien/Argentinien
Produktionsjahr
2004
Produktionsfirma
Guacamole Films/OK Films/Wanda Visión/Chemo Romikin
Regie
Carlos Sorin
Buch
Santiago Calori · Salvador Roselli · Carlos Sorin
Kamera
Hugo Colace
Musik
Nicolas Sorin
Schnitt
Mohamed Rajid
Darsteller
Juan Villegas (Juan "Coco" Villegas) · Walter Donado (Walter Donado) · Micol Estévez (Graciela ("Gracielita")) · Claudia Fazzini (Claudia) · Mariela Diaz (Tochter)
Länge
98 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Ein Auto fährt über die einsamen Landstraßen Patagoniens. Am Steuer sitzt ein Mann über 50, sein Gesichtsausdruck vermittelt eine seltsame Mischung aus Melancholie und tiefer Zufriedenheit, Unruhe und unendlicher Gelassenheit. Neben ihm auf dem Beifahrersitz sitzt, genauso groß wie er, eine schwere weiße Dogge, die ebenfalls mit einem Blick zwischen Zufriedenheit und Sehnsucht in die gleiche Richtung schaut – in den weiten Horizont dieser einsamen Landschaft am südlichen Ende der Welt. Herr und Hund werfen sich einen Blick zu – ein beinahe glückliches Paar in einer beinahe unglücklichen Zeit. Juan ist arbeitslos; mehr als 30 Jahre hatte er an einer Tankstelle gearbeitet, kleinere Reparaturen gemacht und einen festen Platz am Ende der Welt inne. Doch kann kaufte ein multinationaler Konzern seine Tankstelle, legte sie still und entließ Juan – Globalisierung auch in Patagonien. Seitdem fährt Juan unentwegt über die weiten Landstraßen und versucht, sich durch den Handel selbstgefertigter Messer über Wasser zu halten, die sich mehr schlecht als recht verkaufen lassen, weil in Patagonien keiner mehr Geld für solche Dinge übrig hat. Aber Juan steckt die Schläge, die ihm das Leben austeilt, geduldig ein und bleibt immer hilfsbereit. Bald aber nimmt der Film eine Entwicklung wie im Märchen der Gebrüder Grimm, wenn die gute Fee dem Leben des Helden eine unerklärliche und auf den ersten Blick unsinnige Wendung gibt: Als er eines Tages eine Frau abschleppt, die mit ihrem Auto auf einer der einsamen Landstraßen liegen geblieben ist, schenkt sie ihm als Belohnung einen wunderschönen argentinischen Dogo, einen edlen Zuchthund, der auf den Namen „Bombón“ hört. Aber was macht ein Arbeitsloser mit einem Hund? Ein beschäftigungsloser Hundetrainer weist ihm voller Euphorie den Weg: Bombón nimmt an einer Hundeschau teil und belegt auf Anhieb den dritten Platz. Der erste Schritt in ein vielversprechendes neues Leben und der Beginn einer wunderbaren Freundschaft? Juans Träume vom sozialen Aufstieg als Hundezüchter werden fragwürdig, als er feststellt, dass sich Bombón in keiner Weise für das weibliche Hundegeschlecht interessiert. „Bombón – Eine Geschichte aus Patagonien“ ist ein leiser Film über einen unscheinbaren, aber beeindruckenden Menschen in einer seltsam unendlichen Landschaft. Juan Villegas fesselt mit einem Gesichtsausdruck, der von Melancholie und Liebe zum Leben beherrscht wird, eine Figur, die immer hilfsbereit bleibt, immer freundlich, nie verbittert. In dieser warmen Menschlichkeit, die einfach vom Bild her überzeugt, auch wenn die grenzenlose Duldsamkeit vom Verstand her eigentlich nicht überzeugen kann, liegt das Geheimnis des Films. Wie die früheren Filme Carlos Sorins (u.a. „Historias Minimas“, fd 36 045) lebt auch seine vierte Arbeit in erster Linie vom Schweigen, von Gesten und Zwischentönen. Sorin ist ein Meister des Atmosphärischen, der mit der eigenwilligen Landschaft Patagoniens und mit der Landschaft der menschlichen Physiognomie arbeitet. Er lässt Laien aus der Region spielen, die sich selbst in ihrem eigenen Umfeld darstellen, wobei er seine Geschichte an die ganz spezifischen Fähigkeiten seiner Protagonisten anpasst. Juan Villegas spiegelt in seinem wunderbaren Gesicht unterschiedlichste Emotionen – doch Villegas ist ein Laiendarsteller, der seit 20 Jahren Autos einparkt und auch nach den zahlreichen Reisen mit dem Film, etwa zum Festival in San Sebastián, wieder zu seiner Arbeit zurückkehrte. Im Film ergänzen sich Herr und Hund auf eindringliche Weise. Er habe Angst gehabt, sagte Sorin mit jenem feinen Lächeln, das ihn seinen Protagonisten ähnlich werden lässt, dass Villegas den Hund an die Wand spielen würde, denn der Hund sei der einzige professionelle Darsteller in dem Film gewesen. „Bombón“ ist eine zutiefst menschliche Geschichte aus unscheinbaren Dörfern am Ende der Welt, von Landstraßen, die durch einsame, karge Landschaften führen, von einfachen Leuten erzählt. Es gibt zahlreiche Filme über die soziale und ökonomische Krise in Argentinien. „Bombón“ zeigt, wie die Arbeitslosigkeit auch zu einer tiefen Sinnkrise führen kann, denn Juan hat mit dem Verlust seiner Arbeit auch seinen Platz im Leben verloren und irrt seither auf der Suche nach einem neuen Lebenssinn durch Patagonien. Sorin sucht die Absurdität des Daseins, aber nicht aus zynischer Distanz, sondern als teilnehmender Gestalter. Zugleich ist „Bombón“ aber auch eine politische Bestandsaufnahme jener Krise, die in Argentinien längst die sozialen Wurzeln angreift.
Kommentar verfassen

Kommentieren