Unser America

Dokumentarfilm | Schweiz 2005 | 84 Minuten

Regie: Kristina Konrad

Eine Schweizer Filmmacherin, die 1986 einen Film über die Errungenschaften der nicaraguanischen Revolution drehte, reist mit einem Erinnerungsfoto, der zwei "Sandinistas" zeigt, erneut ins mittelamerikanische Land und spürt die beiden abgebildeten Frauen auf, um sie nach ihrer revolutionären Vergangenheit zu befragen. Bei beiden scheint jedoch der Stolz vor einst von Scham verdrängt. Der ebenso erhellende wie desillusionierende Dokumentarfilm lädt weder zum rührseligen Nostalgie-Trip noch zur moralisierenden Geschichtsstunde ein, zieht vielmehr eine ernüchternde Bilanz und erinnert an uneingelöste Träume. (O.m.d.U.) - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
UNSER AMERICA
Produktionsland
Schweiz
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
maximage/SRG SSR idée suisse/SF-DRS
Regie
Kristina Konrad
Buch
Kristina Konrad · Christian Frosch
Kamera
Filip Zumbrunn
Musik
Konrad Bauer
Schnitt
Yves Scagliola · Gudrun Steinbrück
Länge
84 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Neue Visionen (16:9, 1.78:1, DD2.0 span./dt.)
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Diskussion
Was tut sich eigentlich in Nicaragua? Darauf dürften die wenigsten eine plausbile Antwort wissen. Selbst die Vertreter einer (wie diffus auch immer gefassten) linken Intelligenz, die sich vor 25 Jahren für die Revolution begeisterten, mit der die Bewohner des mittelamerikanischen Landes den Diktator Anastasio Somoza Debayle davon jagten, scheinen längst das Interesse verloren zu haben. Und in den Medien ist Nicaragua allenfalls dann ein Thema, wenn ein Wirbelsturm über die Region hinweg gefegt ist. Auch die Schweizer Filmemacherin Kristina Konrad ließ sich seinerzeit vom revolutionären Geist der Sandinisten anstecken, die auf Rache an den einstigen Peinigern verzichteten, Intellektuelle und Poeten in die Regierung beriefen und mit Agrarreformen und einer Alphabethisierungskampagne weltweit Sympathien gewannen. Zwei Jahre lebte Konrad in Managua und drehte 1986 den Dokumentarfilm „Jeder Tag Geschichte“. Darin stellte sie unter anderem zwei Soldatinnen vor, die gegen die von den USA finanzierten, antirevolutionären Contras kämpften. Ein Szenenfoto aus dieser Sequenz im Gepäck, reiste die Regisseurin knapp 20 Jahre später wieder nach Nicaragua, mit – wie sie zu Beginn im Off-Kommentar bekennt, „Erinnerungen an ein Land, das es nicht mehr gibt“. Doch ihr neuer Film ist weder der rührselige Nostalgie-Tripp einer ehemaligen Revolutionstouristin, noch eine moralisierende Geschichtsstunde, die erklären wollte, warum von den ehemals hochfliegenden Visionen kaum etwas übrig geblieben ist. Vielmehr kommen die Erkundungen im heutigen Nicaragua, das von einer frei gewählten neoliberalen Partei regiert wird, als sehr persönliche, aber überaus reflektierte und differenzierte Bestandsaufnahme daher. Dabei fungiert das Foto mit den zwei „Sandinistas“ dramaturgisch als eine Art roter Faden, indem sich Konrad in Detektivmanier auf die Suche nach den beiden Protagonistinnen macht. Ein erfolgreiches, aber auch desillusionierendes Unterfangen. Denn die erste Frau, heute Anwältin, kann sich kaum noch an ihre ehemalige Kampfgefährtin erinnern. Überhaupt scheinen die Erfahrungen der revolutionären Jahre seltsam verschwunden zu sein. Wo man Stolz erwarten könnte, scheint eher Scham vorzuherrschen. Ihren Kindern, so stellt sich heraus, hat sie so gut wie nichts von jener Zeit erzählt. Und auch bei der anderen Gefährtin, mit der sie die Filmemacherin schließlich zusammenbringt, sieht es kaum anders aus. Zu den beiden Hauptakteurinnen gesellt sich hier eine Vielzahl von Zeitzeugen unterschiedlichster Couleur. Darunter etwa der betagte Hotelkellner, der einst die Potentaten der Diktatur, später aber die Funktionäre der Sandinisten bediente und keinen Hehl daraus macht, dass ihm bereits die legere Kleidung der Revolutionäre gegen den Strich ging. Oder der Bürgermeister von Managua. Mitglied der sandinistischen Partei und gleichzeitig Betreiber eines Vergnügungsareals, das er den bewunderten Disney-Parks nachempfunden hat. Zu den Statements dieser Menschen kommen klug montierte Archivbilder der revolutionären Euphorie und Sequenzen aus dem eigenen Film von 1986, die, mit avantgardistisch virtuosen Posaunenklängen unterlegt, nie in den Verdacht nostalgischer Verklärungen geraten. Am Ende des Films besucht Kristina Konrad eine deutsche Freundin, mit der sie einst in Managua lebte. Die mag nach eigenem Bekunden überhaupt keine Zeitung mehr aufschlagen, erzählt aber mit Verve, wie sie mit ihrer Machete jeden Einbrecher in die Flucht schlagen würde, der nach ihrer (bescheidenen) Habe trachten könnte. So ist „Unser America“, der Titel ist einem Poem des vielfach zitierten Dichters Rubén Dario entlehnt, eine ehrliche, ebenso wehmütige wie ernüchternde Bestandsaufnahme der jüngsten Geschichte eines Landes, die fernab einer Reportageform nicht zuletzt durch ihre dezidiert filmischen Qualitäten überzeugt.
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