Maria Bethânia: Música é Perfume

Dokumentarfilm | Schweiz/Frankreich 2005 | 85 Minuten

Regie: Georges Gachot

Dokumentarisches Porträt über Maria Bethânia, die bekannteste brasilianische Sängerin. Der Film konzentriert sich auf ihre Arbeit am aktuellen Album, wobei Wegbegleiter wie ihr Bruder Caetano Veloso oder Gilberto Gil zu Wort kommen. Neben viel Musik bietet der Film Einblicke in die musikalischen Wurzeln der Sängerin wie auch generell der aktuellen brasilianischen Musik, versäumt es aber, die Bedeutung der Sängerin als Stimme der Opposition gegen die Militärdiktatur (1964-85) zu beleuchten. (O.m.d.U.) - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
MARIA BETHANIA: MÚSICA É PERFUME
Produktionsland
Schweiz/Frankreich
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
Georges Gachot/Idéale Audience
Regie
Georges Gachot
Buch
Georges Gachot
Kamera
Matthias Kälin
Schnitt
Anja Bombelli · Ruth Schläpfer
Länge
85 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Diskussion
Auf der Bühne zu stehen, das sei ja gar nicht das wahre Leben, sagt Maria Bethânia, die größte lebende Sängerin Südamerikas, sondern eine Illusion. Das wahre Leben sei der schnöde Alltag zu Hause oder das, was man erlebt, wenn man unter die Leute gehe. Wenn man Maria Bethânia aber beim Singen zusieht und dabei, wie sie im Tonstudio Stücke erarbeitet, wie viel von sich selbst und vom Leben da draußen in die Musik einfließt, dann zeigt sich, dass ihre Einschätzung weniger bittere Lebensbilanz oder Koketterie bedeuten mag als eine schlichte Relativierung: So ernst solle man das Ganze nicht nehmen. Dies wiederum klarzustellen scheint angezeigt, denn Maria Bethânia gilt als die Stimme mindestens zweier Generationen in Brasilien und darüber hinaus als Galionsfigur der Gegenkultur, ihre Musik als Destillat aus allem, was die Region in den vergangenen Jahrhunderten hervorgebracht hat. Wenn sie vor einer gewaltigen Menschenmenge singt, die sämtliche Textzeilen ihrer Lieder voller Inbrunst mitsingt, dann deutet sich diese Position recht gut an. Der schweizerisch-französische Dokumentarfilmer Georges Gachot, der bisher diverse Porträts vor allem klassischer Musiker gedreht hat, konzentriert sich auf die Arbeit am aktuellen Album von Maria Bethânia und lässt im Zuge dessen ihre Musiker und Arrangeure zu Wort kommen. Die meisten begleiten sie seit Jahrzehnten, allen voran Caetano Veloso, ihr älterer Bruder, mit dem sie seit der Kindheit musiziert und der abgesehen von seiner Solo-Weltkarriere auch viele Lieder für seine Schwester geschrieben hat. Oder Gilberto Gil, ebenfalls selbst ein großer Star, oder Jaime Alem, ihr Produzent. Sie alle beschreiben die Sängerin als konzentrierte Arbeiterin, der es gelingt, Wesenszüge des Brasilianischen wie kaum jemand sonst aufzugreifen und wiederzugeben. Da ist vor allem jene Schwermut, die sie mit den einstigen Kolonisatoren aus Portugal verbindet und die dort Saudade heißt: eine Traurigkeit, die sich sogar im Samba wiederfindet, der entgegen des Klischees keineswegs bloß ein Gute-Laune-Tanz ist. Genau das interessiert Maria Bethânia am Samba. Gar kein Interesse weckt bei ihr hingegen der Bossa Nova, der auch von ihrem Mitmusiker Chico Buarque, vor allem aber von Antonio Carlos Jobim, Joao Gilberto oder Sergio Mendes sowie deren nordamerikanischen Adepten seit den 1950er-Jahren weltweit bekannt gemacht wurde. „Bossa Nova ist nicht dramatisch“, sagt Veloso, und Maria sei es eben doch. Dabei zeigt ihre Performance keine Anflüge von Pathos oder gespielter Tristesse, sondern vor allem eine tiefe Hingabe an die Musik wie an die Texte, an denen sie ebenfalls immer mit feilt. Diese Hingabe führt offenbar zu intensiven Glücksgefühlen. Maria Bethânia ist eine sympathische Frau von 61 Jahren mit einem fast permanenten Lächeln auf dem jugendlich wirkenden Gesicht, das zeigt, dass sie ihre Berufung gefunden hat. Um darüber hinaus ein wenig den Hintergrund ihrer Musik zu beleuchten, reisen Filmteam und Sängerin in den Bundesstaat Bahia, aus dem die Sängerin stammt. Gachot filmt schwarzbrasilianische, von Musik begleitete Umzüge, und Bethânia erklärt diese Kultur als wichtigste Wurzel für ihre eigene wie überhaupt alle heutige brasilianische Musik. Auch ihre fast 100 Jahre alte Mutter kommt jetzt zu Wort. Auch sie redet ohne Pathos, etwa davon, dass Marias sehr tiefe Stimme damals, als sie noch ein Mädchen war, gar nicht als schön galt und sie deshalb nicht einmal im Schulchor mitsingen durfte. Was der Film nicht leistet, ist ein historischer Rückblick. Weder sieht man ein Foto oder einen Filmausschnitt aus Marias früheren Jahren, noch erhält man Hintergrundwissen über das, was sie und ihre Mitmusiker einst im Tropicalismo als Gegenkultur formten. Was musikalisch als Brückenschlag zwischen afrikanisch-brasilianischer und europäischer Kultur begann, wurde nach dem Militärputsch 1964 zu einer politisch aufgeladenen Subkultur, die etwa Gil und Veloso mit Haft und Exil bezahlten. Offenbar setzt der Film dieses Wissen voraus – für Nichtkenner bleibt die gesellschaftlich-politische Bedeutung der Sängerin im Dunkeln. Davon abgesehen aber formt sich ein intensives und unterhaltsames Porträt mit viel Musik und in den Untertiteln übersetzten Lyrics.
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