Los Angeles Plays Itself

Dokumentarfilm | USA 2003 | 169 Minuten

Regie: Thom Andersen

Die Filmindustrie habe die Stadt Los Angeles zu ihrem Nachteil verändert: Auf der Grundlage dieser These entfaltet der fast dreistündige Essayfilm eine politisch-philosophische Vorlesung in Bildern. Darin eingebettet sind Ausschnitte aus über 200 Kinofilmen von der Stummfilmzeit bis in die Gegenwart, die in Los Angeles gedreht wurden oder dort spielen; sie untermauern zwar nicht immer die subjektiven Anschauungen, doch eröffnet die thematische Gliederung der Ausschnitte neue Zusammenhänge zwischen Hollywood-Bildern, realen Bildern aus der Stadt und den Theorien übers Kino. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
LOS ANGELES PLAYS ITSELF
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2003
Produktionsfirma
Thom Andersen Prod.
Regie
Thom Andersen
Buch
Thom Andersen
Kamera
Deborah Stratman
Schnitt
Yoo Seung-Hyun
Länge
169 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion
Zuerst zeigt die Kamera die Stadt bei Nacht aus der Vogelperspektive, dann die Straßen und Clubs. Eine verwundete Stripperin im Bikini flieht vor ihrem bewaffneten Verfolger, wird von einem Auto angefahren und bleibt tot liegen. Die Szene stammt aus Sam Fullers Schwarz-weiß-Film „The Crimson Kimono“ (1959) und spielt in Los Angeles. Mit dieser Darstellung einer heruntergekommenen Großstadt voller Gewalt eröffnet Thom Andersen seine dreistündige filmische Essay-Vorlesung über Los Angeles. Andersen (Jahrgang 1943) ist Dokumentarfilmer und Filmdozent, der schon lange in Los Angeles lebt. Er ist der Meinung, dass sich die Stadt durch die Filmindustrie zu ihrem Nachteil verändert habe. Diese These zieht sich wie ein roter Faden durch den Film, der abgesehen von ein paar aktuellen Straßenszenen mit Wegweisern, Gebäuden, Straßen und den Sternen auf dem „Walk of Fame“ nur aus Filmausschnitten und einem sehr persönlichen Off-Kommentar besteht. Zwar sieht Andersen durchaus, dass die Filmwelt eine andere ist als die reale, wenn er sagt: „Filme können durch die Luft fliegen, sie existieren im Raum, wir dagegen leben und sterben in der Zeit“, aber er vergleicht die beiden Ebenen dennoch. Seine Thesen, mit einlullend sonorer Stimme von Encke King gesprochen, sind in einen Prolog und drei Kapitel gegliedert: die Stadt als Hintergrund, die Stadt als Darsteller, die Stadt als Thema. Los Angeles mag wirklich die meistfotografierte Stadt der Welt sein, doch schon die nächste Behauptung, dass jeder in L.A. mit der Filmindustrie zu tun hat, zeigt, dass Andersen stark fokussiert. In einem Fall ist das auch wunderschön und lehrreich: wenn er anhand von Filmausschnitten demonstriert, wie eines der bekanntesten Gebäude, das Bradbury Building, fürs Kino genutzt wurde. Ein hohes altes Gebäude mit vielen Gängen, Treppen, einem altmodischen eisernen Fahrstuhl und einem großen überdachten Innenhof stellt ein asiatisches Luxushotel dar in „China Girl“ (1943), ein Militärkrankenhaus in „White Cliffs of Dover“ (1944), ein Geschäftshaus in „D.O.A.“ (1949), Philip Marlowes Büro in „Marlowe“ (1969) und ein Wohnhaus in „Blade Runner“ (1982). Obwohl es architektonisch sehr charakteristisch ist, wirkt es durch Kameraperspektiven, Licht und die Bewegung der Menschen jedes Mal anders, vertraut und geheimnisvoll zugleich. Mit Frank Lloyd Wrights Ennis House, der Union Station (die in „The Replacement Killers“ als Flughafen diente), dem Coliseum und anderen Gebäuden, die zu den markantesten Beispielen moderner Architektur zählen, verfährt Andersen ähnlich. Es sind die eindringlichsten Szenen des Films, weil sie einem die Augen öffnen für ein Thema, dem man sonst nur wenig Beachtung schenkt, weil man eher auf die Geschichte achtet und der Suspence dafür sorgt, dass andere Elemente stärker im Gedächtnis bleiben. Die Stadt als Darsteller habe Billy Wilder mit „Frau ohne Gewissen“ (1944) eingeführt, beginnt das zweite Kapitel – mit zahllosen Ausschnitten aus „Double Indemnity“, die L.A. jedes Mal aus einer anderen Perspektive zeigen, was die These belegt, ohne sie wirklich zu begründen. Das ist die Crux mit vielen Aussagen Andersens: Für alles lassen sich geeignete Ausschnitte finden, für das Gegenteil allerdings auch. Wer wie der Filmemacher in Los Angeles lebt, wird die Dinge anders sehen als jemand, der das nicht tut. Das gibt dem Essay eine stark subjektive Note. Noch deutlicher wird das im dritten Kapitel, wenn nicht mehr Ausschnitte aus vielen Filmen, sondern nur noch viele Ausschnitte aus einem Film zu sehen sind. Anhand von „Chinatown“ (1974) will Andersen aufzeigen, wie das Bild von L.A. als einer nostalgischen Stadt entstand, wie Hollywood mit der Geschichte der Stadt umgeht und wie es dazu kam, dass die Stadt so gerne als Ansammlung gewalttätiger Verrückter porträtiert wird. Doch dann überrascht Andersen doch noch mit einer interessanten These: Die besten Filme über L.A. handeln von den Transportmitteln, den Autos, Lastern, der Straßenbahn, im Idealfall tut das sogar ein ganzer Film wie „Who Framed Roger Rabbit“ (1988). Wer Andersens Thesen nicht folgen will, kann einfach den Ton abschalten und sich aus den Ausschnitten von mehr als 200 Filmen sein eigenes Los-Angeles-Bild basteln. Wer seine Thesen zerpflücken will, sollte seine Vorlesung, den Off-Kommentar, zusammen mit Beschreibungen der Filmszenen im Internet nachlesen (http://filmkritik.antville.org/stories/1071484). Auf jeden Fall ist „Los Angeles Plays Itself“ ein Film, der trotz seiner fast drei Stunden sehr kurzweilig ist, viel über Filmgeschichte erzählt – und vor allen Dingen Lust macht, sich die zitierten Filme anzusehen.
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