- | Deutschland/Österreich 2004 | 83 Minuten

Regie: Jessica Hausner

Eine junge Frau tritt eine Stelle als Empfangsdame in einem einsamen Grandhotel an. Schon bald merkt sie, dass in dem in einem düsteren Wald gelegenen Ort nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Als sie erfährt, dass ihre Vorgängerin auf mysteriöse Weise verschwand, wächst das Gefühl der Bedrohung. Der atmosphärisch dichte, vielschichtige Horrorfilm nutzt Konventionen des Genres und reflektiert sie, wobei er nicht auf Schock, sondern auf Verunsicherung und Verstörung setzt. Stilistisch präzise komponiert, verschmelzen Alltagsbilder einer repressiven Gesellschaft anspielungsreich mit der geheimnisvollen Atmosphäre eines Grimmschen Märchens. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
HOTEL
Produktionsland
Deutschland/Österreich
Produktionsjahr
2004
Produktionsfirma
Essential Filmprod./coop 99
Regie
Jessica Hausner
Buch
Jessica Hausner
Kamera
Martin Gschlacht
Schnitt
Karina Ressler
Darsteller
Franziska Weisz (Irene) · Birgit Minichmayr (Petra) · Marlene Streeruwitz (Frau Maschek) · Rosa Waissnix (Frau Liebig) · Christopher Schärf (Erik)
Länge
83 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.

Heimkino

Verleih DVD
Neue Visionen (16:9, 1.85:1, DD5.1 dt.)
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Diskussion
"Diese Tür muss immer verschlossen bleiben. Der Teufel schläft nicht.“ Zeichen des Zweideutigen und Unheimlichen werden sehr früh gesetzt im zweiten Spielfilm von Jessica Hausner. Nach ihrem Debüt „Lovely Rita“ (fd 35377) wendet sich die österreichische Regisseurin nun dem Horror-Sujet zu; und wie nicht anders zu erwarten, bricht ihr Film konsequent mit den Klischees des Genres, während er sich ihrer zugleich bedient. So funktioniert „Hotel“ als Horror-Movie, bietet zugleich aber eine höchst intelligente Selbstreflexion und filmische Dekonstruktion des Genres. Zu Beginn wird eine junge Frau durch ein großes Gebäude geleitet; eine Führung, die sich als Vorgriff auf Zukünftiges erweist: Nun sind die Lokalitäten und ihre Funktionen vertraut genug, um später leichter Veränderungen zu bemerken, Störungen im reibungslosen Betriebsablauf, Irritationen im Gang der Dinge. Bei dem Gebäude handelt es sich um das noble, einsam in einem gebirgigen Wald gelegene „Hotel Waldhaus“, wo die junge Irène (glänzend gespielt von Franziska Weisz) soeben ihre Arbeit als neue Empfangsdame beginnt. Schon in den ersten Bildern wird etwas Ungewöhnliches spürbar, werden die Grenze zwischen dem Realen und dem Illusorischen nicht eindeutig gezogen. Hausner bedient sich aus dem gängigen Fundus der Märchen und Gespenster-Geschichten (etwa der Motivik des „beseelten Hauses“), aber auch aus der Filmgeschichte. So scheinen die schweren roten Samtvorhänge im Aufzug und in den Hotelzimmern, die so gefilmt sind, dass sie kein Oben und Unten erkennen lassen, den Filmen David Lynchs entnommen, während die langen, in diffuses Licht gehüllten Hotelgänge an Kubricks „Shining“ (fd 22670) erinnern (aber auch an den stilistisch verwandten Film Ulrich Köhlers, „Montag kommen die Fenster“, in dem ebenfalls ein abgelegenes Hotel zum symbolischen Ort des Übergangs, der Lebenspassage wird). Auch bedient sich Hausner bekannter Horror-Konventionen, wobei sie auf die gröberen, manipulativen Effekte wie anschwellende Musik und aufdringliche Symbolik konsequent verzichtet. Bald häufen sich die Merkwürdigkeiten, und mit der Zeit erfährt Irène, dass ihre Vorgängerin Eva unter mysteriösen Umständen verschwunden ist. Die Polizei ermittelte ergebnislos, manche erinnern sich indes einer alten Legende: 1591 wurde hier die „Waldfrau“ als Hexe verbrannt. So dringt allmählich das Fantastische in die Realität einer alltäglichen Welt ein, und auch der Betrachter beginnt, den Anschein in Frage zu stellen und hinter allem einen doppelten Boden zu vermuten. Der Irritation der Hauptfigur entspricht die des Zuschauers. Dazu passend, beginnen die Identitäten von Irène und Eva miteinander zu verschwimmen: Als ihre Brille kaputt geht, setzt Irène Evas Brille auf, beginnt, „mit den Augen der anderen zu sehen“. Als sie Näheres zum Schicksal der Vorgängerin herauszufinden sucht, stößt sie bei den übrigen Hotelangestellten zunehmend auf Feindseligkeit und spürt, dass sie etwas Ungreifbares bedroht. Wo aber beginnt ihr die Einbildungskraft einen Streich zu spielen? Stilistisch ist dies sehr genau komponiert. Während der ersten Viertelstunde spielt der Film nur Innen. Als Irène nach 17 Minuten erstmals vor der Tür steht und raucht, ist es genau das, was sie auch im vorletzten Bild des Films tut. Wie der Vorhang im Innern erscheint auch der Wald irreal. Das Schwarz der säulenartigen Bäume, die das Bild strukturieren und nach oben ins Nichts führen, sieht aus wie in Fritz Langs „Die Nibelungen“ (fd 24703); ein Mythenwald, wie man ihn aus Matthias Claudius’ Zeilen kennt, die in dem Film auftauchen: „Der Wald steht schwarz und schweiget.“ So wie Claudius vom „kranken“ Nachbarn“ schreibt und sein „Abendlied“ als metaphorische Kritik an den restaurativen Verhältnissen des Spätabsolutismus verstanden werden muss, ist auch „Hotel“ über die Darstellung bloßer Spießigkeit hinaus das Porträt einer repressiven Gesellschaft, eines unheilvollen autoritären, hierarchischen und hermetischen Systems, das Widerspruch nicht duldet und Outsider wie Eindringlinge mit dem Tod bestraft. Zwei ungehorsame Hunde erscheinen fast noch als humanste Element unter lauter gedrillten, verängstigten Menschen. Der Film errichtet einen offenen (Zeichen-)Raum, der mehrere, sich nicht ausschließende Deutungen zulässt. So kann man das Ganze auch als unbewusste Selbstmord-Fantasie verstehen, bei der das Übernatürliche die Selbstzerstörungslust vollzieht. Auch die Besetzung der autoritären Hotelchefin mit der Schriftstellerin Marlene Streeruwitz ist ein Zeichen, denn Streeruwitz’ Romane handeln meist von ähnlichen Konflikten zwischen alltäglichen Unterdrückungsmechanismen und dem Befreiungsstreben; außerdem zeigen sie Österreich als unheilvolle „nationalsozialistisch-katholische“ Melange. Eine überraschende Pointe ist, dass Hausner dieses Zwangssystem als eiskaltes Matriarchat beschreibt – wie Elfriede Jelinek in „Die Klavierspielerin“. Hausner arbeitet mit präziser Farbdramaturgie: Irènes Haar ist hellblond und das Kostüm rot-weiß, das dem Grün-Braun des Hotels komplementär entgegen steht; ansonsten sind die Bilder von sich im Übergang befindlichen Weiß-Schwarz- und Hell-Dunkel-Oppositionen geprägt. Die Kamera zeigt oft klassische Halbtotalen, die, oben eine Spur zu knapp abgeschnitten, das Gefühl des Unheimlichen verstärken. Wichtig auch die Tonspur, die das Hotel und den kalten Wald durch eigene Geräusche belebt. Der Horror ist hier ein Horror des Unheimlichen. Statt auf den Schock und das Erschrecken zu setzen, entfaltet Hausner eine Sprache der Andeutungen, die sich nicht auf die Furcht, sondern auf das Unbekannte richtet. Irènes Sehnsucht verwandelt sich in einen Horror vacui. „Hotel“ ist ein rätselhafter, stiller Horrorfilm, der ans Unterbewusstsein des Zuschauers rührt, dabei einen sehr eigenen inneren Sog entfaltet und besonders dadurch besticht, dass er Leerstellen hinterlässt, die im Betrachter nachwirken. Mag manches auch vertraut sein, wirkt es doch ungebrochen. Dabei bleibt der Film stets in der Mitte der europäischen Wirklichkeit und verbindet diese Alltäglichkeit mit der geheimnisvollen Atmosphäre eines Grimmschen Märchens.
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