Breakfast on Pluto

- | Irland/Großbritannien 2005 | 129 Minuten

Regie: Neil Jordan

Ein junger Transvestit kommt in den 1970er-Jahren auf der Suche nach seiner Mutter aus seinem kleinen irischen Heimatort in die Metropole London und muss sich mit Liebeswirren ebenso wie mit Verstrickungen in den Nordirland-Konflikt und IRA-Terror herumschlagen, kommt aber dank seiner Unschuld immer wieder heil aus jedem Schlamassel. Mit leichter Hand, der gebotenen Dramatik und unter Aufbietung einer großartigen Besetzung verschränkt der Film in 36 Kapiteln die Irrfahrt eines irischen "Candide" mit der jüngeren britischen Geschichte. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
BREAKFAST ON PLUTO
Produktionsland
Irland/Großbritannien
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
Number 9 Films/Parallel Film Prod./BSE-IFB/Pathé Pic./Northern Ireland Film & TV Commission
Regie
Neil Jordan
Buch
Neil Jordan
Kamera
Declan Quinn
Musik
Anna Jordan
Schnitt
Tony Lawson
Darsteller
Cillian Murphy (Patrick (Patricia) 'Kitten' Braden) · Liam Neeson (Father Bernard) · Ruth Negga (Charlie) · Laurence Kinlan (Irwin) · Stephen Rea (Bertie)
Länge
129 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Externe Links
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Heimkino

Die Extras umfassen u.a. einen Audiokommentar des Regisseurs und des Hauptdarstellers Cillian Murphy.

Verleih DVD
Sony (16:9, 1.85:1, DD5.1 engl./dt.)
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Diskussion
Die Vorstellung, dass wir in der besten aller möglichen Welten leben, fand mancher schon vor zweieinhalb Jahrhunderten zum Lachen. Damals schuf der französische Dichter Voltaire seinen naiven Helden Candide, dessen Optimismus weder durch menschliche Verkommenheit noch himmlische Katastrophen zu erschüttern war. Nach jedem Schicksalsschlag kam ihm ein von keinem Zweifel getrübtes Lob der Schöpfung über die Lippen, da er es in einer anderen Wirklichkeit nur schlechter hätte treffen können. Die Vorsehung hat dem irischen Protagonisten aus Neil Jordans „Breakfast on Pluto“ kaum weniger Steine und Schiffbrüche in den Weg gelegt, und wie sein Vorbild bewahrt sich auch Patrick „Kitten“ Braden gegen alle Wahrscheinlichkeit seinen Glauben an das Gute in der Welt. Dabei steht schon Patricks Geburt unter einem schlechten Stern: Zwei tricktechnisch animierte Rotkehlchen zwitschern es von den Dächern des irischen Örtchens Tyreelin, dass jener vor der Tür des Pfarramts abgestellte Neugeborene zum Heim seines Erzeugers zurückgekommen sei. Als Spross eines priesterlichen Fehltritts wächst das Findelkind bei einer Pflegemutter auf, die für seine zarte Neigung zu Schminke und Frauenkleidern wenig Verständnis zeigt und den Schuljungen zumindest teilweise über seine Herkunft aufklärt. Die Suche nach der verlorenen Mutter bestimmt fortan Patricks Leben, zumal ihm ein barmherziger Nachbar verrät, diese wäre eine wahre Schönheit und nach ihrer aufgekündigten Anstellung im Pfarrhaus in die Glitzermetropole London abgereist. Rührt Patricks Liebe zu Mascara, Lippenstift und Federboa aus den Genen? Darf man die Überkompensation eines verlassenen Waisenkindes darin erkennen, oder liegt es Anfang der 1970er-Jahre einfach in der Luft? Jedenfalls zieht es den jugendlichen Transvestiten bald in die weite Welt hinaus, wo ihm zunächst die Liebe in Gestalt eines tingelnden Glam-Rockers begegnet – und nach einer verqueren Episode mit der IRA auch wieder verlässt. Doch nicht nur in amourösen Angelegenheiten hinterlässt der Bürgerkrieg seine unheilvolle Spur: Einen von Patricks Kindheitsfreunden zerreißt eine Autobombe, ein anderer schließt sich der Untergrundbewegung an. Schon deshalb geht Patrick schließlich nach London, wo er sich auf der Suche nach seiner wahren Mutter abwechselnd in den Stürmen der Liebe und in den mitgereisten Wirren des Nordirlandkonflikts verliert. Mal entkommt er mit knapper Not der Schlinge eines homophoben Mörders (ein boshafter Kurzauftritt von Ex-Roxy Music Sänger Bryan Ferry), dann heuert er als zersägte Jungfrau bei einem melancholischen Zauberer an, um schließlich fälschlicherweise als Bombenattentäter der IRA verdächtigt zu werden. Neil Jordan hat seine Vorliebe für irische Außenseiter in Filmen wie „Mona Lisa“ (fd 25 882) und „The Crying Game“ (fd 29 948) schon häufiger bewiesen und mit „Butcher Boy“ (fd 33 015) auch schon einmal eine Patrick McCabe-Verfilmung in die Kinos gebracht. Nach der eintönigen Schlachtplatte von damals erscheint seine Adaption von „Breakfast on Pluto“ nun umso beschwingter. In 36 Kapiteln und beinahe ebenso vielen Songs erzählt Jordan die Geschichte eines irischen Candide auf dem Weg in seinen anti-bürgerlichen Schrebergarten, wobei Patrick „Kitten“ Braden unter allen Jordan-Helden vielleicht der charismatischste ist: ein Paradiesvogel mit versengtem Gefieder, der aus seiner Schwäche eine Stärke macht. Das ebenso intelligente wie arglose Kätzchen scheint über neun Leben zu verfügen oder zumindest über eine derart blühende Fantasie, dass die garstige Realität ihm nur wie ein flüchtiger Spuk erscheint. Der Absturz ist stets nahe, wenn sich Patrick vor den Schrecken und Enttäuschungen der Wirklichkeit in seine Geschichten flüchtet, sein Leben im Licht von Comic-Strips verklärt und die verlorene Mutter als schöne Heilsbringerin über allem Irdischen thronen lässt. Er fällt jedoch nie – auch weil ihm in seiner Unschuld stets jemand zu Hilfe kommt. Mit leichter Hand, der gebotenen Dramatik und unter Aufbietung einer großartigen Besetzung (hervorzuheben sind neben dem Hauptdarsteller Cillian Murphy vor allem Liam Neeson und Stephen Rea in Nebenrollen) verschränkt Jordan die Irrfahrt seines Helden mit der jüngeren britischen Geschichte und bringt zwischenzeitlich auch noch die schönste Familienzusammenführung in einer Peep-Show seit „Paris, Texas“ (fd 24 765) unter. An seine großen Hollywoodtriumphe „Interview mit einem Vampir“ (fd 31 089) und der grandiosen Graham Greene-Verfilmung „Das Ende einer Affäre“ (fd 34 111) reicht Neil Jordan neuester Film zwar nicht heran. Aber immerhin ist seine Einladung zum Frühstück verlockend genug, dass man sie schwerlich ausschlagen kann.
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