Moolaadé - Bann der Hoffnung

- | Senegal/Frankreich/Burkina Faso/Kamerun/Marokko/Tunesien 2004 | 124 Minuten

Regie: Ousmane Sembene

In einem senegalesischen Dorf wollen sich vier Mädchen der rituellen Beschneidung entziehen, indem sie bei einer Frau Schutz suchen, die bereits ihre eigene Tochter vor der genitalen Verstümmelung bewahrt hat. Der neuerliche Affront gegen die Initiation ins Dasein als erwachsene Frau alarmiert die Männer, die ihre Vormachtstellung bedroht sehen. Kraftvolles Drama in aufklärerischer Absicht, das als farbenprächtige Hommage an den Mut und die Tatkraft afrikanischer Frauen vom Stand der Emanzipation südlich der Sahara erzählt. Durch die theaterhaften Elemente der Inszenierung entwirft Ousmane Sembène, Altmeister des afrikanischen Kinos, ein pralles (Dorf-)Universum, in dem der Einfluss der westlichen Moderne eine humanere Zukunft zu versprechen scheint. (Kinotipp der katholischen Filmkritik) - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
MOOLAADÉ
Produktionsland
Senegal/Frankreich/Burkina Faso/Kamerun/Marokko/Tunesien
Produktionsjahr
2004
Produktionsfirma
Ciné-Sud Promotion/Centre Cinematographique Morocain/Direction de la Cinematographie Nationale/Les Films Terre Africaine/Filmi Domireew/Cinétéléfilms
Regie
Ousmane Sembene
Buch
Ousmane Sembene
Kamera
Dominique Gentil
Musik
Boncana Naiga
Schnitt
Abdellatif Raïss
Darsteller
Fatoumata Coulibaly (Collé Gallo Ardo Sy) · Maimouna Hélène Diarra (Hadfjatou) · Salimata Traoré (Amasatou) · Dominique Seïda · Mah Compaoré
Länge
124 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.

Heimkino

Verleih DVD
Neue Visionen (16:9, 1.85:1, DD2.0 frz.)
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Diskussion
Afrikanische Filme finden viel zu selten den Weg in die deutschen Kinos; wenn doch einmal, haftet ihnen oft etwas Exotisch-Ethnografisches an. Das scheint auf den ersten Blick auch bei Ousmane Sembènes farbenprächtigem Drama „Moolaadé“ der Fall zu sein, der in einer furios montierten Eröffnungssequenz ein senegalesisches Dorf frühmorgens kurz nach dem Erwachen auf die Leinwand malt. Die Sonne streicht über Hütten und Häuser aus Lehm, in den geräumigen Innenhöfen waschen Frauen ihre Kinder, flechten Haare zu feinen Zöpfen oder schütteln Matten aus, ein fliegender Händler baut unter einem riesigen Baobab-Baum seine Ware auf. Doch für Postkarten-Idyllen hatte der 84-jährige Altmeister des afrikanischen Kinos, der nach „Guelwaar“ (1992) und „Faat Kiné“ (fd 36 312) mit „Moolaadé“ souverän seine Trilogie über „alltäglichen Heroismus“ beendet, noch nie etwas übrig. Deshalb dröhnen schon bald dunkle Trommeln durch das Dorf, die von verschwundenen Menschen sprechen, sechs jungen Mädchen, die am Vorabend ihrer Beschneidung entflohen sind. „Salindré“, Fest der Reinigung, wird die barbarische Verstümmelung euphemistisch umschrieben, bei der die Klitoris abgeschnitten wird, damit die „Beschnittenen“ später beim Sex keine Empfindungen mehr haben. Noch immer ist das atavistische Ritual in 38 von insgesamt 54 Ländern der Afrikanischen Union verbreitet. Was als markanter Ausdruck patriarchaler Herrschaft erscheint, stellt zugleich jedoch ein tiefverwurzeltes Initiationsritual dar, durch das die Mädchen zur Frau und damit heiratsfähig werden. Deshalb tauchen keine Männer, sondern blutrot gewandete Frauen vor dem Hofeingang von Collé auf, um die Herausgabe der Entflohenen zu verlangen. Doch Collé hat „Moolaadé“, einen alten Bann, ausgesprochen, als vier der verängstigten Mädchen angerannt kamen und um Hilfe flehten. Niemand darf gegen ihren Willen den Hof betreten und die Mädchen entführen. Ein buntes Seil vor der Schwelle signalisiert das Asylum, das numinose Mächte garantieren. Dass sich die Mädchen gerade Collé aussuchten, kommt nicht von ungefähr, hat diese doch selbst die Beschneidung ihrer Tochter Amasatou verweigert. Was im Dorf bislang stillschweigend toleriert wurde, gerät nun zum Politikum, zumal zwei der vermissten Mädchen tot in einem Brunnen gefunden werden. Fortan treten die Männer auf den Plan, die im Ältestenrat wortreich über die öffentliche Unruhe klagen und von Collés Mann Cisre die „Beseitigung“ der Störung verlangen: nicht nur die Mädchen, sondern auch Amasatou soll „gereinigt“ werden. Cisre ist seiner zweiten Frau zwar in Liebe zugetan, vermag sich dem kollektiven Druck jedoch nicht zu entziehen, weshalb er anderntags Collé öffentlich auf dem Ratsplatz mit der Peitsche in der Hand zwingen will, den Schutzzauber wieder aufzuheben. Doch je verzweifelter seine Schläge auch werden: Collé hält stand. Wie Sembène diese Szene einer öffentlichen Auspeitschung inszeniert, verrät viel von seiner Meisterschaft, die souverän zwischen epischem Gestus und elliptischer Verknappung wechselt. Der Machtkampf zwischen Frau und Mann, Aufklärung und Tradition, Mitgefühl und Härte wird zum wortlosen Drama zweier Gesichter, auf die die Kamera fokussiert: beide in Tränen aufgelöst, voller Schmerz, Trauer und Wut, gefangen im kollektiven Zwang der Geschlechter, die sich im Halbkreis jeweils hinter Cisre und Collé geschart haben. Es braucht die Intervention von außen, um die Gewalt zu unterbrechen: der Händler mischt sich ein, was ihm wenig bekommt, da er den Hass der Männer auf sich lenkt, die ihre öffentliche Niederlage an ihm abreagieren. Der brechtsche Gestus, den man Sembène immer wieder bescheinigt hat, durchdringt in raffinierter Ausgestaltung auch diese hintergründige Sequenz, die Cisre als Mitleidenden zeigt, dem die Verzweiflung ins Gesicht geschrieben steht, während sich Collés „Opfergang“ als Beginn eines Umdenkens der Frauen andeutet. Obgleich „Moolaadé“ eine machtvolle Parabel gegen die Beschneidung und eine glühende Hommage auf den Mut und die Tatkraft afrikanischer Frauen ist, hieße eine solche inhaltliche Engführung, den großen Reichtum des Films zu übersehen. Mit seinen theaterhaften Elementen, regelrechten Monologen, Musikeinlagen und den Auf- und Abgängen exemplarischer Charaktere, entwirft „Moolaadé“ wunderbar leichtfüßig ein pralles (Dorf-)Universum, das zwar in archaischen Traditionen wurzelt, im Alltag aber weit mehr mit den Brüchen der Moderne zu kämpfen hat. Hieraus erwächst auch ein beträchtlicher Teil des Humors, der an Figuren wie dem Händler oder dem Sohn des Dorfoberhaupts, der als erfolgreicher Geschäftsmann aus Paris in sein Dorf zurückkehrt, reichlich Aufhänger findet. Der Händler ist immer zu Scherzen aufgelegt, insbesondere wenn er seine weibliche Kundschaft umschmeichelt, argumentiert aber knallhart mit der Globalisierung, wenn es um seinen Profit geht. Dessen Gesetze sind dem im feinen weißen Anzug zurückgekehrten Sohn durchaus vertraut, doch kann er daraus künftig keinen Nutzen mehr ziehen, weil jetzt wieder das Wort des Vaters und nicht mehr argumentative oder pekuniäre Logik den Ton angibt. Der Fernseher, am Tag seiner Ankunft noch das bestaunte Symbol von Wohlstand und Reichtum, verschwindet deshalb (vorerst) im Dunkeln einer Hütte, an deren beengende Dimensionen sich der Heimkehrer wieder gewöhnen soll. Aus den vielen fein gesponnenen Erzählsträngen – kleine Miniaturen mitunter, die pointiert Details des sozialen Lebens wie den Umgang mit der Zeit, das Nebeneinander widersprechender Anschauungen oder die asymetrischen Daseinsentwürfe der Geschlechter ausleuchten –, entsteht ein bunt durchwirktes, manchmal auch ironisch schillerndes Geflecht filigraner Bezüge und Themen, deren Gesamtheit trotz der Restitution männlicher Macht durchaus optimistisch stimmt. Denn obwohl die Männer beim Nachsinnen über den Widerstand ihrer Frauen auf den Einfluss der Medien in Gestalt von Transistorradios verfallen und alle Geräte auf einem Haufen werfen und anzünden, lässt sich das Stimmengewirr aus dem Äther nicht gänzlich beseitigen. Aus dem Nirgendwo tauchen plötzlich ausrangierte Radios auf, und selbst über dem qualmenden Scheiterhaufen liegt ein surrealistischer Teppich aus Tönen, Worten und Stimmen. Wo junge afrikanische Filmemacher eher die desaströsen Folgen des westlichen Einflusses ins Zentrum rücken, beschwört Ousmane Sembène das aufklärerische Potenzial, das in dieser Öffnung steckt. Im listigen Schlussbild vereinen sich nicht nur das archaische Wissen der Ahnen in Gestalt eines Termitenhügels und die vom Islam durchdrungene Alltagswelt in Gestalt der Moschee, sondern blendet das Bild des Minarets in den letzten Sekunden auf die nun aufgerichtete Fernsehantenne über. Ein optimistisches Symbol, das das Ende der genitalen Verstümmelungsrituale mit einem Plädoyer für die Moderne verknüpft.
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