Melodram | Peru/Spanien 2006 | 105 Minuten

Regie: Claudia Llosa

In einem Dorf in den Bergen Perus wird die Karwoche mit der Tradition des "Tiempo santo" verbunden, in der alle moralischen Zwänge aufgehoben sind. Die junge Madeinusa muss sich gegen Zudringlichkeiten ihres Vaters zur Wehr setzen und nutzt die Freiheiten ihrerseits, um sich einem Fremden anzunähern, der sie aus den beklemmenden Dorfstrukturen befreien und mit in die Hauptstadt nehmen soll. Der zwischen Melodram und dokumentarischer Inszenierung des dörflichen Mikrokosmos angesiedelte Film lebt von seinem besonderen Humor sowie vom ironischen Spiel mit den Stereotypen der Ethnizität, ohne dabei in sentimentale Dritt-Welt-Romantik zu verfallen. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
MADEINUSA
Produktionsland
Peru/Spanien
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
Wanda Visión
Regie
Claudia Llosa
Buch
Claudia Llosa
Kamera
Raúl Pérez Rueta
Schnitt
Ernst Blasi
Darsteller
Magaly Solier (Madeinusa) · Yiliana Chong (Chale) · Carlos Juan De La Torre (Salvador) · Juan Hubaldo Huamán (Cayo)
Länge
105 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Melodram
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Diskussion
In den abgelegenen Tälern der Anden scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Die alten Lehmhäuser, die bunten Trachten – alles scheint seit ewigen Zeiten unverändert, auch die alten Bräuche. „Tiempo santo, tiempo santo“, schreien die jungen Frauen und Männer aufgeregt, fast ekstatisch, wenn Christus nach der Karfreitagsprozession vom Kreuz genommen wird. Der Film beginnt fast wie eine Dokumentation: In der „Cordillera blanca“, den weißen Bergen Perus, liegt das kleine Dorf Manayaycuna, und wie in vielen katholisch geprägten Orten wird die Karwoche auch hier mit religiösem Eifer begangen. Mit einem Unterschied: Die indigenen Dorfbewohner haben den christlichen Ritus mit Elementen der eigenen, uralten Religion verbunden. Zwischen der Sterbestunde am Karfreitag um drei Uhr nachmittags und der Auferstehung am Ostersonntag feiern sie die „Tiempo Santo“, die heilige Zeit, die Zeit, in der alles, aber auch wirklich alles erlaubt ist. In diesen Stunden verwandelt sich die Karwoche in ein dörfliches Delirium, eine Orgie mit Alkohol, Ehebruch und allen anderen möglichen Tabubrüchen. Die theologische Konstruktion ist dabei durchaus einleuchtend, denn wenn Gott tot ist, dann kann er doch nichts mehr sehen, und wenn er nicht mehr sehen kann, dann gelten auch keine Verbote und moralischen Einschränkungen mehr. Trotz Armut tobt und feiert das Dorf, wirft knappes Geld mit vollen Händen zum Fenster hinaus. Madeinusa ist die Tochter von Cayo, dem Bürgermeister und mächtigsten Mann im Dorf. Die Karfreitagsprozession darf sie noch als „Heilige Jungfrau“ anführen, aber dann kommt die „Heilige Zeit“. Der Bürgermeister möchte die sündenfreien Stunden ausnutzen, um seine 14-jährige Tochter endlich ins Bett zu kriegen. Aber mitten im „tiempo santo“ taucht ein Fremder auf. Der Geologe Santiago kommt aus der Hauptstadt Lima, wohin die Frau des Bürgermeisters vor Jahren geflohen ist. Für das Mädchen bietet die „heilige Zeit“ Gelegenheit, den Fremden zu verführen, damit er sie in die Hauptstadt mitnehmen kann. Santiago weiß zunächst nicht, wie ihm geschieht, denn das Mädchen ist verträumt und entschlossen zugleich, will um jeden Preis dem autoritären Vater und der pragmatischen Schwester entrinnen, will weg aus den sexistischen und inzestuösen Dorfstrukturen, weiß aber nichts von der Welt außerhalb seines Dorfes. Als es Santiago zum ersten Mal umarmt, will sie den Pullover des Fremden haben. „Wieso?“, fragt der verblüfft. „Mein Name ist doch schon eingestickt: Made in USA.“ Aber dann scheint auch Santiago dem Abenteuer nicht mehr abgeneigt, die Ereignisse eskalieren mit dem Rhythmus der orgiastischen Prozessionen, die seltsame Liebesgeschichte wird zunehmend dramatischer, und Madeinusa muss eine Entscheidung treffen. Der ungewöhnliche und überraschende Erstlingsfilm von Claudia Llosa, der Nichte des peruanischen Schriftstellers Mario Vargas Llosa, ist eine ebenso komische und schillernd exotische wie tragische Episode vom Zusammentreffen zweier Welten. Zwischen Melodram und fast dokumentarischer Inszenierung des dörflichen Mikrokosmos spielt die Regisseurin mit bekannten Klischees, überwindet aber die Ebene anthropologischer Allgemeinplätze. Ihr Film lebt von seinem besonderen Humor, vom ironischen Spiel mit den Stereotypen der Ethnizität, ohne in opulent-sentimentale Drittweltromantik zu verfallen. Dabei balanciert die Regisseurin virtuos zwischen Fiktion und authentischen Beobachtungen. Sie arbeitet mit Laienschauspielern und erdichtet eine eigene ethnische Identität, einen wunderbaren Reigen religiöser und pseudoreligiöser Rituale: eine ethnische Fiktion ohne falsche Folklore.
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