Zwischen den Welten (2006)

Dokumentarfilm | Schweiz 2006 | 54 Minuten

Regie: Yusuf Yesilöz

Der Dokumentarfilm porträtiert eine 35-jährige Schweizerin, die aus einem kurdischen Dorf in der Türkei stammt und nun im Ausländeramt arbeitet. Zwar kann sie als Beispiel für eine gelungene Integration gelten, doch diese hat sie sich gegen viele Widerstände vor allem in der Familie erkämpft. Das einfühlsame Porträt ist spannend gestaltet, greift auf Archivaufnahmen verschiedener Quellen zurück und macht dank einer sympathischen, offenen Hauptfigur die Schwierigkeiten, aber auch den potenziellen Erfolg des Bemühens um Integration greifbar. - Ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
ZWISCHEN DEN WELTEN
Produktionsland
Schweiz
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
Reck Filmprod./SF/3sat
Regie
Yusuf Yesilöz
Buch
Yusuf Yesilöz
Kamera
Hansueli Schenkel
Musik
Sebahat Erdem · Osman Aktas
Schnitt
Dieter Gränicher
Länge
54 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Viel ist zurzeit von gescheiterter Integration die Rede und von Parallelgesellschaften, die die Idee des Multikulti verdrängen. Der Film porträtiert eine Frau, die es geschafft hat, „zwischen den Welten“ zu leben, ohne von ihnen zerrieben zu werden. Güli Dogan ist eine 35-jährige Schweizerin, die aus einem kurdischen Dorf in Anatolien stammt. Bereits als Neunjährige musste sie ihre Heimat verlassen, als der Vater seine Familie nach Winterthur holte, wo er einen Job als Hilfsarbeiter gefunden hatte. Inzwischen ist aus Güli eine selbstbewusste Frau geworden, die sich dem Kampf mit den schwierigen Lebensumständen gestellt hat. Nun sitzt sie selbst, als Beraterin im Ausländeramt, integrationswilligen Migranten gegenüber. Das Einzige, was ihr immer wieder Tränen in die Augen treibt, ist die Erinnerung an das Dorf, die Heimat, aus der sie viel zu früh herausgerissen worden ist. Aber es zeigt sich, dass sie schon als Mädchen den Ehrgeiz entwickelte, sich in der Schweiz zu integrieren, das Abitur zu machen und eine Stelle zu finden. Alles ging gut – bis ihr die Heirat mit einem Cousin verordnet wurde. Dagegen konnte sie sich zunächst nicht wehren, aber nach einem Jahr ließ sie sich scheiden; auch dies ein schwerer Schritt gegen harte Widerstände. Yusuf Yesilöz ist selbst kurdischstämmig und lebt als politischer Flüchtling in der Schweiz. Sein Debütfilm „Hunger gegen Wände“ handelte von einem Freund, der Folter und Hungerstreik erlebt hatte. In „Zwischen den Welten“ nun stellt Yesilöz eine ganz und gar integrierte Landsfrau in den Mittelpunkt, die nicht nur sehr charismatisch und offenherzig wirkt, sondern deren Leben zudem gut dokumentiert ist: durch private Videoaufnahmen sowie durch gleich zwei ältere Filme. Der eine, von Schweizer Gymnasiastinnen realisiert, zeigt Familie Dogan Anfang der 1980er-Jahre als Beispiel für türkische Zuwanderer, der andere, vom Schweizer Fernsehen, hatte bereits 1977 den Arbeitsplatz des Vaters im Blick. Um seine vielen Kinder und zusätzlich den daheim gebliebenen Teil der Familie zu ernähren, hatte er sich noch einen Zweitjob für den Abend gesucht. Geschickt behält der Regisseur jederzeit die Dramaturgie seines kurzen Films im Auge, sodass er trotz dieser eigentlich durchschnittlichen, aber eben auch exemplarischen und optimistischen Lebensgeschichte fesselt. Nach und nach führt er die für Gülis Leben wichtigsten Figuren ein, eine Freundin etwa, die sie ihre Schweizermacherin nennt, die Mutter, die nicht lesen und schreiben kann, und dann auch den Ehemann, mit dem sie sich wieder zusammengetan hat. Nur die Geschwister kommen kaum zu Wort, die Brüder zumal, die gegen den Wunsch des Vaters keinerlei Ausbildung gemacht haben. Zwischendurch zeigt der Film immer auch den Ort, dem Gülis Sehnsucht gilt: das inzwischen halb zerfallene Dorf in Anatolien, wo Güli nur wegen ihrer kleinen Kinder lange nicht mehr hingefahren ist. Wie zum Ausgleich nimmt sie in Winterthur an den Feiern der anatolisch-alewitischen Gemeinde teil. Im Kleinen illustriert der Film einige der großen Themen, die im Zusammenhang mit den Zuwanderern gerade aus islamischen Ländern immer eine Rolle spielen. So musste Güli als Mädchen in die Koran-Schule, weil der eigentlich unreligiöse Vater nicht als ungläubig dastehen wollte unter seinen Landsleuten, die sich in der Fremde dem Islam zuwandten. Nach einigen Stunden weigerte sich Güli aber, wieder hinzugehen, auch weil sie das Ganze für Schwindel hielt: Wären die Kinder nicht mit „Schoggi“ und Coca-Cola gelockt worden, sagt sie heute, wären sie gar nicht gekommen. Oder das Thema Ausgehen, was türkische Frauen und Mädchen eigentlich nicht dürfen: Güli hat es dennoch getan – und sich durchgesetzt. „Wir haben sie schon unterdrückt“, sagt die Mutter und schmunzelt. Über das Durchsetzungsvermögen ihrer Tochter hätte sie vermutlich selbst gerne verfügt.
Kommentar verfassen

Kommentieren