Des Wahnsinns letzter Schrei

Dokumentarfilm | Deutschland 2005 | 55 Minuten

Regie: Bärbel Schönafinger

Dokumentarfilm über Vision und Wahrheit des Hartz-4-Gesetzes, das Arbeitslosen nach einem Jahr nur noch eine geringe Summe staatlicher Unterstützung zubilligt. Auf die gleiche, sympathisch unperfekte Weise zeigt der Film mit wackliger Videokamera Politiker, kritische Intellektuelle und Betroffene, deren widersprüchliche Aussagen aufeinander prallen. Zusammen mit einigen sarkastischen Animationen ein ebenso bitterer wie unterhaltsamer und erhellender Blick auf ein medial stark abgenutztes Thema. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
kanalb
Regie
Bärbel Schönafinger · Tanja von Dahlern
Buch
Bärbel Schönafinger · Tanja von Dahlern
Kamera
Britta Schneider
Länge
55 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm

Diskussion
Sie gehe nur noch im Sozialladen einkaufen, sagt die arbeitslose, allein erziehende Mutter, denn dort gebe es Lebensmittel jenseits des Haltbarkeitsdatums, die nur ein Drittel kosteten. Eine andere arbeitslose Frau, ebenfalls um die 40, verzichtet schon lange auf kulturelle Veranstaltungen. Die dritte, noch etwas älter, übt sich aus Rücksicht auf ihre behinderte Tochter in Verzicht, auch deshalb, damit sie weiter im eigenen Haus wohnen kann. Drei Fälle, ein Problem: Sie alle müssen von dem leben, was das Hartz-4-Gesetz ihnen zubilligt. Vom Sinn oder Unsinn dieses Gesetzes, seinen politischen Begründungen und seinen sozialen Folgen erzählt dieser Film, verspielt und sympathisch unperfekt, bitter und sarkastisch. Sie erhielten doch alles Notwendige, behauptet Klaus Brandner, arbeitsmarktpolitischer Sprecher der SPD, im Einklang mit dem Leiter eines Berliner Arbeitsamts: Lebensunterhalt und Wohngeld. Leistung müsse sich wieder lohnen, proklamiert Dieter Althaus, Thüringens Ministerpräsident; daher reiche das nur noch ein Jahr lang gezahlte Arbeitslosengeld. Hartz 4 sei ein Almosen, sagen dagegen sowohl Betroffene als auch kritische Intellektuelle. Diskussionen wie diese, die die politischen Medien wochenlang zu verstopfen imstande sind, bricht der Film mit Witz und Klarsicht herunter auf einige zentrale Statements – und setzt sie in Relation zu einigen etwas anderen Ansichten von inzwischen zum Teil bundesweit bekannt gewordenen Geistern. Alles Quatsch, es sei in der Gesellschaft genug Geld da für ein würdevolles Leben für alle, erklären nacheinander, aber einstimmig Elmar Altvater, Professor für politische Ökonomie, Horst Afheldt, Jurist und Autor, und Paul Nolte, Professor für Geschichte, an Hand einiger Zahlen aus jüngerer Zeit. Die Steuerpolitik sei einfach insgesamt verfehlt; ein Stichwort ist hier die Senkung des Spitzensteuersatzes. Und alles sei ohnehin eine Frage der Verteilung – ein Begriff wiederum, bei dem sich neoliberale Ideologen des konservativen Lagers, auch vor der Kamera, sofort echauffieren. Eine wackelige Handkamera zeigt sie alle auf die gleiche Weise, Politiker auf einer Pressekonferenz in Berlin, betroffene Bürger und kritische Stimmen, und so lässt sie eine filmische Gerechtigkeit walten, die die als ungerecht gebrandmarkte Gesetzgebung vermissen lässt. Immer wieder sind dazu Impressionen vom urbanen Leben in Berlin zu sehen, wie zufällig und beiläufig eingefangen. Schaut her, scheinen die Filmemacherinnen zu sagen: Dies ist das wahre Leben, das gilt es zu erhalten, anstatt es tot zu sparen. Ähnlich bitter wird die Auseinandersetzung um die Ein-Euro-Jobs geführt und dargestellt: „Besser als nichts“, sagen einige der verzweifelten Hartz-4-Empfänger, weil das Geld einfach nicht reiche. „Ausbeutung qualifizierter Arbeit“, sagt ein anderer und nennt Beispiele, bei denen es eben nicht nur um die Reinigung von Grünanlagen geht. Überhaupt, das zeigt schließlich eine einfache Grafik, sind die Einkommen aus Kapital in Deutschland inzwischen viermal höher als die aus Arbeit. Leistung wird sich nicht mehr lohnen, so scheint es. Über echte menschliche Arbeit, das illustriert dann noch eine kleine satirische Animation, kann der Anleger mit der dicken Zigarre nur noch lachen.
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