Flying Scotsman - Allein zum Ziel

Sportfilm | Großbritannien/Deutschland 2006 | 103 Minuten

Regie: Douglas Mackinnon

Ein dickköpfiger Fahrradbote kämpft sich in Schottland mit unorthodoxen Trainingsmethoden, selbstgebastelten Rennmaschinen und einer extremen Lenkerhaltung gegen den Widerstand der Funktionäre an die Spitze des internationalen Radrennsports durch. Doch seine manisch depressive Veranlagung macht aus dem besessenen Gewinnertyp trotz sorgender Freunde und Familie eine höchst fragile Persönlichkeit. Nach der wahren Geschichte des Radweltmeisters Graeme Obree sympathisch gestalteter Sportfilm, der auf die üblichen Klischees des Genres verzichtet und sich zur spannenden Tragödie verdichtet. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
THE FLYING SCOTSMAN
Produktionsland
Großbritannien/Deutschland
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
ContentFilm Int./Scion Films/Scottish Screen/Zero West Filmproduktion/Filmstiftung NRW/Zero Film
Regie
Douglas Mackinnon
Buch
John Brown · Declan Hughes · Simon Rose
Kamera
Gavin Finney
Musik
Martin Phipps
Schnitt
Colin Monie
Darsteller
Jonny Lee Miller (Graeme Obree) · Laura Fraser (Anne Obree) · Billy Boyd (Malky) · Brian Cox (Douglas Baxter) · Sean Brown (junger Graeme)
Länge
103 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Sportfilm | Drama
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
MGM (1:1,85/16:9/Deutsch DD 5.1/Engl./Span.)
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Diskussion
Es gab eine Zeit, in der man noch Talent, Dickköpfigkeit und Mut zu Neuem brauchte, um im Sport ganz nach oben zu kommen – und die richtige Waschmaschine. Graeme Obree wäre ohne all dies sicherlich nie in den Olymp des Radsports eingefahren, zumindest, wenn man seiner im Jahr 2003 veröffentlichten Autobiografie Glauben schenkt. Tatsache ist, dass Obree in den Jahren 1993 bis 1995 in seinen Disziplinen kaum zu schlagen war; er stellte Stundenweltrekorde im Bahnradfahren auf, wurde Weltmeister und Weltrekordhalter in der Einer-Verfolgung und sprintete auch auf freier Strecke an die Weltspitze. Während die Deutschen Max Schmeling oder Boris Becker hatten, hatten die Schotten „ihren“ Graeme Obree. Das allein wäre der Stoff für einen schmissigen Sportfilm um den Mythos vom „Underdog“, der es vom Kurierradler in die Höhen der Weltbesten schafft und den Zuschauer motiviert, ihm nachzueifern. Sogar eine kuriose, dramaturgisch ausgesprochen filmische Wendung nimmt diese „wahre Erfolgsgeschichte“, wenn Obree mit einer selbstgebastelten Rennmaschine, einem Lager aus der Waschmaschine seiner Freundin und späteren Frau Anna sowie seiner revolutionär vorgebeugten Sitzhaltung die Funktionäre des Radsportverbands gegen sich aufbringt. Wobei selbst die daraus resultierenden Regeländerungen Obrees Siegeszug nicht stoppen können. Doch in die von Walt Disney dominierten „Role Model“-Sportgeschichten will „Flying Scotsman – Allein zum Ziel“ dann doch nicht so ganz passen, wie bereits der ungewöhnliche Prolog signalisiert: In dieser Vorspannphase sieht man einen Rennradfahrer über einen holprigen Waldweg fahren, wobei Montur und Maschine deutlich einem Trekking-Ausflug widersprechen. Irgend etwas scheint der seltsam beunruhigt wirkende Mann gefunden zu haben, als er sein Rad achtlos liegen lässt und einen Strick über einen kräftigen Ast wirft. Wer ist dieser Mann, dessen Kindheit voller Repressalien man gleich nach dem Vorspann präsentiert bekommt? Was treibt Graeme Obree zu seinen übermenschlichen Kraftakten auf dem Fahrradsattel? Dank solcher Fragestellungen bekommt der Film eine psychologische Komponente, die dieses Biopic auch für Nichtradsportbegeisterte interessant macht: Graeme Obree ist besessen. Nicht von der Faszination eines Randgruppensports oder von der Geschwindigkeit, die ihn durch die engen Kurven der Rennbahn peitscht, sondern von einem „inneren Dämon“. Obree ist von einer Depression gepeinigt, die ihn immer dann in den Keller seines Gefühlshaushalts zieht, wenn er zuvor wie manisch aufgeputscht allen und allem anderen entflohen ist. Die Synergien zwischen dieser Krankheit und seinem sportlichen Erfolg sind es, die den Film vom Beliebigen ins Persönliche ziehen und besonders machen. „Flying Scotsman – Allein zum Ziel“ erzählt von einem Menschen, der sein Doping im Kopf hat und an seinen Nebenwirkungen ebenso zu Grunde zu gehen droht wie jene, die sich Mitte der 1990er-Jahre mit leistungssteigernden Medikamenten für den Erfolg in Gefahr brachten. Von daher glaubt man dem Film, dass im Leben des Protagonisten solche Mittel nie ein Thema waren – Obree hatte wahrlich andere Sorgen. Noch ein Kriterium nimmt für den relativ bescheiden produzierten Film ein: Er besitzt eine spezifische Art von Erdung, wie sie bereits viele Filme aus Großbritannien so sympathisch gemacht hat: Hier wird kein perfekt gestylter Traum verkauft, hier agieren Schauspieler aus Fleisch und Blut in einem „septisch“ glaubhaften Setting und infizieren den Zuschauer mit ihrem Leben. Gerne lässt man sich auf die brillant spielenden und dramaturgisch nicht minder brillant „gebauten“ Sidekicks ein; etwa den von Brian Cox dargestellten Pater Baxter, der als guter Geist das eine oder andere Unmögliche möglich macht. Oder den von Billy Boyd verkörperten Malky, der als Obrees Kumpel seine „Herr der Ringe“-Last bereits nach wenigen Szenen vergessen macht. Zudem geben die Kauzigkeit des Landstrichs und seiner Bewohner dem Film eine Glaubwürdigkeit, die einige Holprigkeiten sowie manch übertriebenes Sentiment übersehen lässt. „Flying Scotsman – Allein zum Ziel“ wird mit seinen Dämonen fertig; man kann Gleiches nur Graeme Obree wünschen, der auch heute noch mit seiner Krankheit kämpft.
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