Drama | Deutschland 2007 | 96 Minuten

Regie: Jan Bonny

Das Drama eines Ehepaares, das sich nach 20-jähriger Ehe in Isolation, Trauer und Sprachlosigkeit verloren hat, was die Frau durch gewalttätige Ausbrüche gegen ihren Mann zu kompensieren versucht. Die Beziehung von Opfer und "Täterin" entpuppt sich dabei als ein Netzwerk gegenseitiger Abhängigkeiten. Ein sich langsam entwickelnder, aufmerksam beobachtender Film über die Lebensuntauglichkeit zweier Menschen, der keine dramaturgische Zuspitzung sucht, sondern die innere Not seiner Protagonisten durch eine Fülle von Detailbeobachtungen auszudrücken versteht. - Sehenswert ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2007
Produktionsfirma
Heimatfilm/WDR
Regie
Jan Bonny
Buch
Jan Bonny · Christina Ebelt
Kamera
Bernhard Keller
Schnitt
Stefan Stabenow
Darsteller
Matthias Brandt (Georg Hoffmann) · Victoria Trauttmansdorff (Anne Hoffmann) · Wotan Wilke Möhring (Michael Gleiwitz) · Susanne Bormann (Denise) · Anna Brass (Marie Hoffmann)
Länge
96 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Verleih DVD
absolut Medien (16:9/Deutsch DD 5.1)
DVD kaufen

Diskussion
Georg hat geträumt. Dass er mit Anne, seiner Frau, gekuschelt habe. Eben erst von der Arbeit als Streifenpolizist ins traute Heim, eine schmucklose Mietwohnung in der Essener Vorstadt, zurückgekehrt, hat er auf Anne gewartet. Die Grundschullehrerin kommt immer etwas später als er, sie raucht noch eine Zigarette, bevor sie die Wohnung betritt. Jetzt erzählt Georg ihr von seinem Traum; er küsst sie – nicht leidenschaftlich, nicht begehrend, eher vorsichtig, behutsam, als wolle er ja nichts kaputt machen. Amüsiert und scheinbar beiläufig fragt Anne: „Dauert dein Traum noch lange?“ Alltagsszenen einer Ehe, die ebenso harmlos wie normal wirken, gleichwohl in gemeinsamen 20 Jahren abgenutzt bis zur glanzlosen Routine erscheinen. Jahre in einer auf Nutzwertigkeit abgeschliffenen Beziehung. Die präzise registrierenden Bilder signalisieren unaufgeregte Normalität – und doch gelingt es dem souveränen Kameramann Bernhard Keller, der bereits Filmen wie „Mein Stern“ (fd 34 780), „Falscher Bekenner“ (fd 37 612) und „Sehnsucht“ (fd 37 773) seinen Stempel aufdrückte, dass beim Betrachter sehr früh schon etwas ins Schwingen gerät. Annes spitze Frage nach der Länge von Georgs Traum mag symbolischen Charakter haben, die Bilder selbst enthalten sich vordergründig jeder weiteren Deutungsebene – und doch ist da etwas Unausgesprochenes; man spürt es: Dieses Paar hat seine (Leidens-)Geschichte, auch wenn es sie nicht preisgeben will. Das Scheitern eines Bauprojekts kann es nicht gewesen sein; die daraus resultierenden wirtschaftlichen Engpässe, die erniedrigende Abhängigkeit vom Scheckheft von Annes Vater haben wohl etwas damit zu tun, aber die Sache selbst ist abgehakt – die Fotos der Bauruine hängen, säuberlich gerahmt, im Flur. Man registriert sie, noch bevor man von den Zusammenhängen erfährt, ohne dass die Kamera aufdringlich auf sie verweisen würde. Und man weiß: Harmlos ist das alles nicht. Die Wahrheit aber kommt ans Licht: Georg und Anne leben in einer Hölle. Hinter ihren verbindlichen Umgangsformen, ihrem Bemühen, das Leben zu leben, lauert zu viel Aufgestautes – Wut und Verzweiflung, tiefe Verunsicherung und Lebensangst, unverarbeiteter Frust, Aggression, das Gefühl, auf der ganzen Linie versagt zu haben. Getragen von zwei vorzüglichen Hauptdarstellern, führt Jan Bonny, Absolvent an der Kölner Hochschule für Medien, sensibel, zugleich aber unbarmherzig und unausweichlich in diese vor der Umwelt von Georg und Anne sorgsam verborgenen emotionalen Grenzbereiche – dahin, wo es richtig weh tut, auch physisch. Schon früh gibt es winzige Zeichen, doch wenn man es zum ersten Mal im Bild sieht, ist es wie ein Schock bitterer Erkenntnis: Anne prügelt auf Georg ein, rücksichtslos, ungehemmt, vielleicht auf seine Gegenwehr hoffend, ohne jedoch darauf zu stoßen. Das hat nichts, absolut nichts vom Ruch einer irgendwie sado-masochistisch gearteten Beziehung – es ist vielmehr ein tiefer, verzweifelter Ausdruck von Sprachlosigkeit, Angst, Abhängigkeit. Der Mann bleibt still, sanft, passiv, von der Gier nach Harmonie und Frieden „beseelt“, die Frau sucht intuitiv nach einem Gegenpol, an dem sie ihre verdrängte Verzweiflung „auslassen“ kann, und stößt auf nichts, das sie hält und auffängt. Das ist ein höchst filigranes Geflecht aus Intuitivem, Unausgesprochenem und Unaufgearbeitetem, für das es keine einfachen Erklärungen und damit „Entlastung“ gibt, das signalisiert Bonny in seinem bemerkenswert reifen Drama. Was er bietet, ist eine Fülle an feinen Beobachtungen, die sich aus der einfachen Spielhandlung destillieren lassen und in der Summe einen tragischen Lebensentwurf umschreiben, der einem in manchem Detail beklemmend vertraut erscheint, auch wenn die extreme dramaturgische Zuspitzung ausbleibt. Anne ringt um Anerkennung, bei ihrem Mann, ihrem dominanten Vater, bei ihren zwei sensiblen Kindern, die sich abnabeln wollen, aber lieber schweigen als für weitere Verletzungen zu sorgen; Georg ist jeder Konflikt zuwider, er will keine Beförderung im Job, keinen Konflikt mit seinen Arbeitskollegen, und doch können weder er noch Anne der Eskalation Einhalt gebieten – alles läuft darauf zu: auf Isolation, Ausgrenzung am Arbeitsplatz, den Verlust sozialer Bindungen. Nur gelegentlich beschleunigt Bonny die verhaltene Erzählung durch elliptische Auslassungen und Sprünge, mit denen er das Geschehen dynamisiert und dramatisiert; etwa wenn sich Georg in einen menschenleeren Spielsalon zurückzieht – und, nach einem harschen Filmschnitt, schluchzend in der embryonalen „Höhle“ einer Spielkonsole sitzt. Da tun sich urplötzlich Abgründe auf, in die man hineinblickt, manchmal peinlich berührt ob dieser unerwarteten „Intimität“. Angesichts der tiefen, erschreckenden Einsamkeit der Menschen, ihrer Sprachlosigkeit und Lebensuntauglichkeit bietet der Film keine kathartische Perspektive: Am Ende, als Georg zurückgeschlagen hat, ohne dass sich dadurch etwas geändert hätte, verharrt das Paar auf dem Boden, müde, erschöpft, ratlos – so nah und sich doch so fern.
Kommentar verfassen

Kommentieren