- | Schweiz 2007 | 84 Minuten

Regie: Michael Finger

Drei Menschen, die sich kaum kennen, verlieren jemanden, den sie über alles lieben, und ziehen sich in ihre innere Verzweiflung zurück, die bei jedem andere Formen annimmt. Aufwühlendes Regiedebüt, das die drei Geschichten parallel entwickelt, ohne sie allzu eng zu verknüpfen. Eine nachdenklich stimmende Studie über den Sinn von Trauerarbeit, die sich in einer übergeordneten Deutungsdimension zum hoffnungsvollen Drama verdichtet. - Sehenswert ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
BERSTEN
Produktionsland
Schweiz
Produktionsjahr
2007
Produktionsfirma
Les Jeunes Toqués
Regie
Michael Finger
Buch
Michael Finger
Kamera
Tonio Krueger
Musik
Tino Ulrich
Schnitt
Roman Weber
Darsteller
Doro Müggler (Elena) · Kenneth Huber (Leachim) · Sonja Gruentzig (Biela) · Gabriela Brand · Roberto Guerra
Länge
84 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Die Kamera schwebt im hohen Vogelflug über Wiesen und Wälder des schweizerischen Toggenburg. Ein wortlos klagender Gesang färbt die idyllischen Bilder dramatisch ein. Es ist klar: Irgendwo da unten wird etwas Schlimmes geschehen. Doch die hohe Warte, von der aus sich das Regiedebüt des Schweizer Film- und Theaterschauspielers Michael Finger dem Leben und Sterben annähert, suggeriert, dass das, was geschieht, einem höheren Zusammenhang unterstellt ist. Auch nachdem die Kamera einmal mitten ins blutige Entsetzen hinein gefallen ist, zieht sie sich zwischenzeitlich immer wieder in diese mystische Distanz eines göttlich anmutenden Auges zurück. Ob das, was so substanzlos beobachtet, grausam oder gnädig ist, erweist sich erst ganz am Ende. Es nimmt auch nie Gestalt an, reduziert sich auf wenige kurze Blicke von oben. Unten auf der Straße, im Krankenhaus, im Bauernhof zeichnet „Bersten“ mit Handkamera und langen Plansequenzen das Leben realistisch als intensives psychologisches Drama voller schauspielerischer Wucht. Was aber passiert da unten? An einem Tag verlieren drei Menschen, die sich untereinander kaum kennen, jemanden, den sie über alles lieben. Die Ärztin Biela erleidet eine Totgeburt. Die alleinerziehende Mutter Elena muss bei einem Autounfall mit ansehen, wie ihr Freund neben ihr verblutet. Der junge Bauer Leachim findet seinen Vater tot im Haus. Gemeinsam ist den Dreien, dass sie sich nach diesen Schicksalsschlägen innerlich in ihre Verzweiflung zurückziehen, auch wenn das bei jedem andere Formen annimmt. Leachim säuft, halluziniert und schlägt seine Freundin. Elena liegt nur noch apathisch im Bett und vernachlässigt ihren kleinen Sohn. Biela wiederum versucht so zu tun, als wäre nichts gewesen. Möglichst schnell will sie wieder schwanger werden, doch bei jeder Berührung ihres Freundes zuckt sie panisch zusammen. Finger entfaltet die drei parallel verlaufenden Geschichten, ohne sie allzu eng miteinander zu verknüpfen. Zwar kommt es zwischen den Protagonisten, die nur wenige Kilometer voneinander entfernt leben, immer mal wieder zu flüchtigen Begegnungen. Das, was ihre Lebensläufe verbindet, lässt sich allerdings nicht narrativ entschlüsseln. Der Film verlegt es auf jene höhere Ebene, auf der es dem Zuschauer überlassen bleibt, einen Zusammenhang zu bilden. Diese übergeordnete Deutungsdimension schleicht sich nur gelegentlich in die Bilder der irdischen Trauerarbeit ein, wenn Finger seine Darsteller zu poetischen Posen anleitet, die er stets gerade noch rechtzeitig in Schwarzblenden ausklingen lässt, um ein übermäßiges Pathos zu vermeiden. So gelingen ihm bildgewaltige Impressionen, die er mit einem feinen Gespür für die richtige Balance und mit langen, authentischen und stark gespielten Dialogen austariert. Er sucht und proklamiert in seinem aufwühlenden, hoffnungsvollen Drama einen gemeinsamen Sinn, ohne dadurch die Nähe zu der zermürbenden Trauerarbeit der einzelnen Figuren zu verlieren und ohne sie aus ihrer individuellen Verantwortung zu nehmen.
Kommentar verfassen

Kommentieren