Drama | Deutschland/Irland/Großbritannien 2006 | 96 Minuten

Regie: Steve Hudson

Der Miteigner eines schottischen Fischkutters lässt sich aus Geldnot als Schleuser für 20 Chinesen anwerben, die illegal nach Schottland einreisen wollen. Auf hoher See entladen sich die angestauten Emotionen aller Beteiligten. Der Tradition der britischen Arbeiterfilme verpflichtet und mit überzeugenden Darstellern besetzt, beschwört der Film eine kammerspielartige Atmosphäre, die die Befindlichkeit der Charaktere in ihren (sozialen) Abhängigkeiten in den Vordergrund stellt. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
TRUE NORTH
Produktionsland
Deutschland/Irland/Großbritannien
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
Ariel Films/Makar Films/Rosebud Films/Samson Films
Regie
Steve Hudson
Buch
Steve Hudson
Kamera
Peter Robertson
Musik
Edmund Butt
Schnitt
Andrea Mertens
Darsteller
Peter Mullan (Riley) · Martin Compston (Sean) · Gary Lewis (Skipper) · Steven Robertson (Koch) · Angel Li (Su Li)
Länge
96 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Galileo (16:9, 1.66:1, DD5.1 engl./dt.)
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Diskussion
Karge Landschaften, gleichförmige Häuser, hohe Arbeitslosigkeit: Kaum etwas hat den britischen Film so beeinflusst wie der Niedergang der Arbeiterklasse. Das Interesse an Menschen, die Berufe gewählt haben, oder besser, wählen mussten, die eine starke physische Arbeitskraft benötigen oder von stupider Einförmigkeit sind, findet sich in unzähligen Filmen von Ken Loach oder auch Stephen Frears, um nur zwei der bekanntesten Regisseure dieses Metiers zu nennen. Ob Bergbau, Gleis-, Fabrik- oder Zeitarbeit, in britischen Filmen wurde fast jedes Thema schon behandelt, und nahezu immer standen dabei die direkten Lebensumstände und die Belastbarkeit der Menschen in ihrer Abhängigkeit von ihrer Umgebung im Vordergrund. „True North“ bildet in dieser Tradition keine Ausnahme. Auch hier ist der Beruf archaisch und körperlich hart. Der Unterschied: Zwei der Hauptfiguren sind keine Arbeiter, sondern selbstständig. Sie sind Fischer und befahren die Nordsee auf der Suche nach einem guten Fang. Der Skipper, dem der Kutter gehört, sein Sohn Sean, der fleißige, aber leichtlebige Matrose Riley und der junge, etwas tumb wirkende Schiffskoch sind die Hauptprotagonisten des Films. Was vordergründig nicht nach einem typischen britischen Arbeiterfilm aussieht, ist in Wahrheit jedoch ein ebensolcher. Das Geschäft läuft wegen der überfischten Nordsee schlecht; der mit Hypotheken belastete Kutter gehört beinahe vollständig der Bank. Alle Menschen in diesem Film befinden sich in stark abhängigen Positionen. Der Skipper braucht Geld für die nächste Rate, die Angestellten erwarten ihren Lohn. Es geht, wie so oft, ums Geld. In dieser Situation gerät Sean in Belgien an den dubiosen Pol, gespielt von Hark Bohm (eine nette Idee, den Regisseur von „Nordsee ist Mordsee“, fd 19760) in dieser kleinen Rolle zu besetzen). Eigentlich wollte Sean nur Zigaretten schmuggeln, doch Pol bietet ihm ein lukrativeres Geschäft an: Es geht um den illegalen Transport von 20 Chinesen nach Schottland. Widerwillig, aber durch das Geld angelockt, das die nächste Rate decken und somit das Schiff fürs Erste retten würde, geht Sean ohne Wissen seines Vaters auf das Geschäft ein. Nur Riley ist eingeweiht; gemeinsam mit ihm verstaut Sean die Chinesen in einem unwirtlichen Lagerraum unter Deck. Auf hoher See spitzt sich das Geschehen zu: Um den Zoll von der menschlichen Fracht abzulenken, begibt sich die Crew auf die Suche nach einem großen Fang und entfernt sich dabei immer mehr von der Küste. Die See raut auf, und die Belastung für die Menschen über und unter Deck wächst. Drehbuchautor und Regisseur Steve Hudson zeigt in dieser Situation, was passieren kann, wenn sich Menschen unter Druck verzetteln und zu rationalem Denken und einer freien Entscheidung nicht mehr fähig sind. So verengt die Blickwinkel der Hauptfiguren dargestellt werden, so eingeschränkt ist im positiven Sinne auch die Symbolhaftigkeit der Bilder. Das kleine Schiff auf hoher See wird zum Gleichnis für die schwer erreichbaren individuellen Ziele der Protagonisten: In der Unwirtlichkeit der treibenden See wie des sozialen Klimas und der Anstrengung des Berufs verlieren die Personen ihren Orientierungssinn; das Einzige, an das sie sich jetzt noch klammern, ist das Ziel vor ihren Augen. Was um sie herum passiert, entgleitet zunehmend ihrem Gesichtsfeld. Hudson hat seine Figuren dagegen immer im Blick. Ihre Hilflosigkeit, ihre Gesichter. Ganz nah und ganz authentisch ist er dabei. Auf Tricktechnik und große Panoramabilder sowie Kameraschwenks, die sich vordergründig anbieten würden, verzichtet er fast vollständig und erzeugt auf diese Weise eine beinahe schon kammerspielartige Atmosphäre auf hoher See; eine Atmosphäre, die aber nicht primär die Beschreibung der Enge des Schiffes ist, sondern vielmehr die Eingeschränktheit der handelnden Charaktere hervorhebt. Die Glaubwürdigkeit der Figuren unterstreichend, agieren auch die Schauspieler auf durchweg hohem Niveau, allen voran Peter Mullan als Riley. Aber das ist ja ebenfalls eine feine Tradition in britischen Arbeiterfilmen.
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