Reise ans Ende der Welt

Dokumentarfilm | Frankreich 1977 | 96 Minuten

Regie: Philippe Cousteau

In Form eines Logbuchs berichtet der Naturfilmpionier Jacques Cousteau (1910-1997) von seiner Forschungsreise 1974/75 mit dem Schiff Calypso in die schroffe Einsamkeit der Antarktis. Der Film dokumentiert nicht nur die Überreste alter Forschungsstützpunkte und Walfangkolonien, sondern zeigt auch die überbordende Pracht einer überwältigenden Tiervielfalt. Die Forscher fühlen sich inmitten der faszinierenden Natur weniger als stille Beobachter denn als Fans, die ihrer Bewunderung freien Lauf lassen. Ein aus heutiger Sicht nicht immer politisch korrektes, gleichwohl aber engagiertes, zeitloses Meisterwerk. - Sehenswert ab 6.
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Filmdaten

Originaltitel
VOYAGE AU BOUT DU MONDE
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
1977
Produktionsfirma
Les Films du Requin
Regie
Philippe Cousteau · Jacques-Yves Cousteau
Kamera
Colin Mounter · François Charlet
Musik
Maurice Ravel
Schnitt
Hedwige Bienvenu · John Soh
Länge
96 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 6.
Genre
Dokumentarfilm
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Heimkino

Verleih DVD
Pierrot Le Fou
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Diskussion
Sanft schwebt der Heißluftballon des Forschungsschiffs Calypso in den tiefblauen Himmel. Unter sich das eiskalte Meer der Antarktis, übersät mit vielen kleineren oder größeren Schollen, auf denen sich mitunter Seeleoparden in der Sonne aalen. Dazu erklingt der langsame Satz aus Ravels verträumtem „Daphnis et Chloé“. Ein kurzer, wunderschöner Prolog einer Natur, vermeintlich weitab jeglicher menschlicher Zivilisation. Die „Reise ans Ende der Welt“ beginnt jedoch erst danach – mit den Logbuchaufzeichnungen Jacques Cousteaus. Das Schiff ist auf seiner Reise in den Süden; das Meer ist schwarzblau, der Himmel gräulich und die Stimmung an Bord verhalten. Die Crew erwartet einen der schlimmen Stürme, die sich zwischen Südamerika und der Antarktis regelmäßig zusammenbrauen. Der Reisebericht, den Cousteau aus dem Off zu den Bildern von ihm und seinem Sohn Philippe erzählt, stammt von 1974/75; der Film ist seit seiner Premiere 1977 in Deutschland nicht mehr gelaufen. „Reise ans Ende der Welt“ ist somit gleichsam eine Zeitreise, an einen Ort, den es heute in dieser Form nicht mehr gibt. Bevor sich die Crew des Forschungsschiffes mit den Bewohnern des eisigen Kontinents beschäftigen kann, durchlebt sie selbst eine bizarre Reise in die Vergangenheit. Verlassene Forschungsstationen erzählen von den Pionieren, die sich einst aufmachten, um die unwirklichen Plateaus und die gigantischen Verwerfungen der Antarktis zu kartografieren. Von ihrem Misserfolg zeugen einsam aus dem Eis ragende Grabsteine, die der Szenerie etwas Unwirkliches verleihen. Geradezu grotesk muten die riesigen Schrotthalden der alten Walfangstationen an. Nirgends wird der Wahn des Abschlachtens deutlicher als dort, wo die Forscher ein mehr als 30 Meter langes Skelett eines Blauwals entdecken, dessen Wirbel mannshoch über das Eis ragen und dessen Schädelknochen fast eine halbe Tonne wiegt. Durch diese Hinterlassenschaften wirkt die grauweiße Antarktis plötzlich schmutzig und öd. „Vor 200 Jahren schrieb Kapitän James Cook, nirgendwo habe er so viel Leben gesehen wie in den Polarmeeren. Dieses Leben, wie sieht es heute damit aus?“ Mit dieser Bemerkung des Naturfilmpioniers Cousteau beginnt der überwältigende Teil des Dokumentarfilms. Auch heute, im Zeitalter französischer Überwältigungsdokumentationen à la „Mikrokosmos“ (fd 32194) oder „Die Reise der Pinguine“ (fd 37283), hat man solche Bilder noch nicht gesehen. Pinguine, die durch das Wasser jagen wie Pfeile und durch die Luft segeln, als seien sie Delphine oder fliegende Fische. Inseln, übersät mit Vögeln, oder die seinerzeit schon fast ausgerotteten Buckelwale, die Cousteau zu Ravels „Pavane pour une infante défunte“ „tanzen“ lässt. Und mitten drin die Forscher der Calypso. Heute gilt es als verpönt, dass sich Dokumentaristen zusammen mit den Tieren in Szene setzen, hier aber sieht man die Crew allenthalben, wie sie mit den Walen taucht, Kontakt zu den Vögeln sucht oder auch mal tollpatschige Pinguine vor Seeleoparden rettet. 1975 war die Forscherwelt so gesehen noch in Ordnung, und Wissenschaftler nicht nur stille Chronisten, sondern Fans der überwältigenden Natur. „Reise ans Ende der Welt“ ist, wie Cousteaus frühere Dokumentationen, etwa „Die schweigende Welt“ (fd 5069) oder „Welt ohne Sonne (fd 13130), ein zeitloses Meisterwerk. Aus heutiger Sicht vielleicht nicht immer politisch korrekt, aber auch damals schon engagiert für den bedingungslosen Erhalt des Lebensraums Erde. Ganz nebenbei ist die fantastische Reise auch noch ein höchst spannender Thriller, wenn unvermittelt das Packeis zur Falle oder eine Antriebswelle unbrauchbar wird und ein Wetterumschwung die Heimreise quasi unmöglich macht. Es ist erstaunlich, dass dieser Film so lange vergessen in den Archiven schlummerte.
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