Die Perlmutterfarbe

Jugendfilm | Deutschland 2008 | 103 Minuten

Regie: Marcus H. Rosenmüller

In einer bayerischen Kleinstadt des Jahres 1931 gerät ein Junge durch Zufälle, aber auch durch eigene Fehler in eine Zwangslage, die ihn für einen Mitschüler erpressbar macht. Dieser versucht, die anderen Kinder seiner Klasse zu manipulieren und sie zu einer "totalitären" Gemeinschaft zu formen. Unterhaltsame Adaption eines Jugendromans, konzipiert als sinnliche, höchst fabulierfreudige Mischung aus Volkstheater, Lausbubengeschichte und Lebensallegorie. - Ab 12.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2008
Produktionsfirma
d.i.e. film/Constantin Film Prod.
Regie
Marcus H. Rosenmüller
Buch
Marcus H. Rosenmüller · Christian Lerch
Kamera
Torsten Breuer
Musik
Gerd Baumann
Schnitt
Georg Söring · Grit Meyer
Darsteller
Markus Krojer (Alexander) · Dominik Nowak (Maulwurf) · Zoë Mannhardt (Lotte) · Thomas Wittmann (Hugo/Heini) · Benedikt Hösl (Langer Gruber)
Länge
103 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 12.
Genre
Jugendfilm | Literaturverfilmung
Externe Links
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Heimkino

Die Extras umfassen u.a. einen Audiokommentar mit Markus Krojer, Thomas Wittmann, Robert Marcianiak und ein Feature mit im Film nicht verwendeten Szenen (12 Min.).

Verleih DVD
Constantin/Highlight (16:9, 2.35:1, DD5.1 dt.)
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Diskussion
In einer bayerischen Kleinstadt des Jahres 1931 scheint die Welt noch in Ordnung zu sein. Zumindest für die Kinder, für die selbst noch die strenge Schule ein Abenteuer ist, das sie in ihrer Freizeit mit winterlichen Spielen im Schnee, mit Mutproben, Erfindungen und Wunschträumen fantasiereich verlängern. Dass es freilich gerade auch in dieser Zeit nicht so leicht ist, Kind zu sein, und dass bereits Ängste und Sorgen im Verborgenen keimen, Entscheidungen getroffen und Positionen bezogen werden müssen, das spürt besonders der Siebtklässler Alexander. Noch träumt er vom Gewinn des Schulmalwettbewerbs, schwärmt für seine Mitschülerin Lotte und „opfert“ sich als tapferer „Testpilot“ für das neue elastische Seil, das sein Freund Maulwurf erfunden hat – da katapultiert er sich bereits durch eine unheilvolle Kette von Zufälligkeiten und Kurzschlussreaktionen in eine immer heikler werdende Zwangslage. Dabei wollte er nur das mit „wilden“ Naturvölkern illustrierte Buch eines Schülers aus der B-Klasse als Vorlage für sein Wettbewerbsbild „ausleihen“, wollte nur kurz testen, ob auch er die von Maulwurf kreierte „Perlmutterfarbe“ so schön zum Schillern bringen kann; dann aber ist das kostbare Buch verdorben, das Fläschchen mit der Farbe gilt als gestohlen – und Alexander schweigt aus Angst und Scham. Das macht ihn erpressbar für einen neuen Mitschüler, der ebenso grausam wie geschickt die anderen Kinder zu manipulieren beginnt: Man müsse sich vor den Lügnern und Verbrechern aus der Parallelklasse schützen, so agitiert er, man müsse Teil einer Gemeinschaft werden, Regeln befolgen, Ausdauer und Disziplin zeigen. An Alexander aber ist es, sich angesichts dieser fatalen Spirale aus Verleumdung und Verrat endlich zu einer mutigen Aussage durchzuringen. „Wir sind alle Menschen“, lautet der anspielungsreiche Titel jenes Bildbands, den Alexander ungewollt zerstört, was ihn aus seinen anfänglich arglosen Träumereien in wahre Höllenfantasien stürzt und ihn durch ein Purgatorium nicht nur eigener (Ur-)Ängste, sondern auch „frühgesellschaftlicher“ Tendenzen hin zu totalitärem Gedankengut treibt. Daraus gäbe es einen ebenso einfachen wie schwer zu bewältigenden Ausweg: das öffentliche Bekenntnis „Es lebe die Wahrheit!“, das die Romanautorin Anna Maria Jokl in ihrem lange in Vergessenheit geratenen Werk als utopischen „Schlachtruf“ ausgab und das auch Marcus H. Rosenmüller als Leitsatz über die turbulenten filmischen Ereignisse stellt. In seinem sechsten Spielfilm innerhalb von nur drei Jahren bezieht sich der Regisseur formal und erzähltechnisch deutlich auf seine bayerische Fantasie „Wer früher stirbt ist länger tot“ (fd 37 745) und konzipiert eine ähnlich sinnliche, höchst fabulierfreudige Mischung aus Volkstheater, Lausbubengeschichte und Lebensallegorie, die unbekümmert eine tragfähige Brücke zwischen der Bilderwelt eines Erich Kästner und der Demagogie aus „Die Welle“ (fd 38 615) konstruiert. Das Reizvolle daran ist, wie Rosenmüller im guten Sinne „bedenkenlos“ Spielerisches und Ernsthaftes, Analytisches und Emotionales, Komisches und Bedrohliches zu verbinden weißt, um den literarisch in die Jahre gekommenen, thematisch aber ungebrochen wichtigen Roman zu adaptieren, der – wie Kästner – in den Kindern künftige Erwachsene sieht, die die gerufenen Geister wieder los werden müssen. Das mag inszenatorisch nicht ganz so kraftvoll sein, ist aber immer noch souverän – und differenziert, auch und gerade im Umgang mit dem Begriff „Wahrheit“, der allzu leicht missbraucht werden kann.
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