Liebe und andere Verbrechen (2008)

- | Serbien/Deutschland/Österreich/Slowenien 2008 | 106 Minuten

Regie: Stefan Arsenijevic

Die Geschichte der scheiternden Liebe zwischen einem Kleinkriminellen und der Geliebten seines Gangsterbosses in der serbischen Trabantenstadt Neu-Belgrad. Jenseits holzschnittartiger Gesellschaftsmetaphorik konzentriert sich der Film auf das Psychogramm seines Hauptprotagonisten und verdichtet dieses zu einem vielschichtigen Diskurs über die "condition humaine" in der berüchtigten Plattenbausiedlung. Die Melancholie in den schicksalserprobten Seelenlandschaften wird zur verhaltenen Liebeserklärung an Neu-Belgrad, getragen von viel Sympathie für dessen Bewohner. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
LJABAV I DRUGI ZLOCINI
Produktionsland
Serbien/Deutschland/Österreich/Slowenien
Produktionsjahr
2008
Produktionsfirma
Art & Popcorn/ICON Film/KGP Kranzelbinder Gabriele Prod./Studio Arkadena
Regie
Stefan Arsenijevic
Buch
Stefan Arsenijevic · Bojan Vuletic · Srdjan Koljevic
Kamera
Simon Tansek
Musik
Oliver Welter
Schnitt
Andrew Bird
Darsteller
Anica Dobra (Anica) · Vuk Kostić (Stanislav) · Fedja Stojanovic (Milutin) · Milena Dravic (Mutter) · Hanna Schwamborn (Ivana)
Länge
106 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.

Diskussion
Neu-Belgrad, die Plattenbausiedlung vor den Toren Belgrads. Die 300.000 Einwohner, die hier leben, gehören nicht gerade zu den Gewinnern der gesellschaftlichen Umformungen, die Serbien in den letzten Jahren durchgemacht hat. Die Betonfassaden aus glücklicheren Jahren haben moosige Patina angesetzt, Arbeitslosen- und Kriminalitätsrate sind hoch, das Sozialprestige ist entsprechend niedrig. Im Juli 2008 geriet der Stadtteil international in die Schlagzeilen, als bekannt wurde, dass der jüngst verhaftete Kriegsverbrecher Radovan Karadzic zu den Stammgästen der hier gelegenen Eckkneipe „Luda kuca“ (Irrenhaus) zählte. Stoff für Negativ-Mythen: Seit der Ära Milosevic diente die Sozial- und Architekturkulisse Neu-Belgrads immer wieder als Folie für eine Modernisierungsverlierer-Metaphorik, deren tragische Anti-Helden einen sisyphusähnlichen Überlebenskampf gegen die Widrigkeiten von Alltag und korrumpiertem „System“ führen, wobei Täter- und Opferrollen miteinander verschmelzen. So ist das Handlungsgerüst von „Liebe und andere Verbrechen“ nicht sonderlich neu: Anica, Geliebte des Schutzgelderpressers Milutin, will mit dem Geld ihres Liebhabers durchbrennen, um sich ein schönes Leben in Westeuropa aufzubauen. Dafür braucht sie Stanislav als Komplizen, der für Milutin einen Teil der Drecksarbeit erledigt und sich schon in der Schule nicht traute, Anica seine Liebe zu gestehen. Damit konzentriert sich der serbische Regisseur Stefan Arsenijevic, der 2003 mit seinem Kurzfilm „(A)torsion“ den „Goldenen Bären“ auf der „Berlinale“ gewann, von Anfang an auf die psychologische Seite seiner Geschichte. Sein erster langer Spielfilm ist vor allem das ausgefeilte Psychogramm eines vergeblich Liebenden, der nicht realisieren will, wie er vom Objekt seiner Begierde ausgenutzt wird. Ein kathartischer Prozess, an dessen nihilistischem Ende der Verlust der Sehnsucht steht, der vielleicht einzigen Triebfeder in einem ständig auf neue Art und Weise an sich selbst scheiternden Land. Hier droht gesellschaftsmetaphorischer Schematismus. Doch anders als viele seiner Regiekollegen, die ihre Filme zuvor in Neu-Belgrad ansiedelten, kennt Arsenijevic das Innenleben seiner Hauptfiguren zu gut, um Klischees zu bedienen. Der 1979 geborenen Vuk Kostic, der bereits auf Film- und Theatererfahrungen zurückblicken kann, mimt mit reduzierter Gestensprache überzeugend einen charakterlich (noch) zwiegespaltenen postpubertären Protagonisten, der unentschieden zwischen Mitgefühl und Gewissenlosigkeit, zwischen Tragik und Euphorie pendelt. Dazu setzt Arsenijevic Zeichen der Hoffnung, arbeitet mit pointierter Musikdramaturgie und nüchterner Alltagsbeobachtung gegen den Fatalismus an. Immer wieder erschallt das Liebeslied „Besame mucho“ als melancholischer Hoffnungsträger durch die Kulissen Neu-Belgrads, kontrapunktisch ergänzt durch einen sparsam eingesetzten Bläsersatz, der immer dann schelmisch wird, wenn die Muse den Kitsch zu küssen droht. „Liebe und andere Verbrechen“ ist ein knapp kalkulierter Balanceakt zwischen psychologischem Diskurs und holzschnittartiger Tristesse. Doch irgendwo in dem unterkühlten Getriebe der großstädtischen Winterlandschaft summt ein warmherziger Unterton. Die Melancholie in Arsenijevics schicksalserprobten Seelenlandschaften führt auf die nüchterne Erkenntnis zurück, dass es Gut und Böse immer nur zusammen gibt, sodass der Film zur verhaltenen Liebeserklärung an Neu-Belgrad wird.
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