Drama | Großbritannien 2007 | 106 Minuten

Regie: John Crowley

Ein junger Mann, der im Kindesalter zusammen mit einem Freund ein anderes Kind ermordete, wird aus der Haft entlassen und will unter geänderter Identität ein neues Leben beginnen. Doch mehr noch als die Nachstellungen der Sensationspresse holen ihn die eigenen Erinnerungen ein. Auf der Grundlage eines Romans nach wahren Begebenheiten entwickelt der Film in bester britischer Realismus-Manier ein Drama um den Umgang mit Schuld, das zwar mitunter etwas schematisch ausfällt, aber dank der stilsicheren Inszenierung und des eindrucksvollen Hauptdarstellers dennoch zu überzeugen versteht. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
BOY A
Produktionsland
Großbritannien
Produktionsjahr
2007
Produktionsfirma
Cuba Pic./Film Four
Regie
John Crowley
Buch
Mark O'Rowe
Kamera
Rob Hardy
Musik
Paddy Cunneen
Schnitt
Lucia Zucchetti
Darsteller
Andrew Garfield (Jack Burridge) · Peter Mullan (Terry) · Katie Lyons (Michelle) · Shaun Evans (Chris) · Jeremy Swift (Dave)
Länge
106 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Senator/Universum (16:9, 1.78:1, DD5.1 engl./dt.)
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Diskussion

Ein junger und ein älterer Mann sitzen sich in einem schmucklosen Raum gegenüber. Gemeinsam erfinden sie das neue Leben des Jüngeren, der sich einen anderen Namen geben darf und die Stationen seiner fiktiven Biografie fleißig auswendig lernt. Zum Einstand schiebt der Ältere ihm ein Paar „Escape“ getaufte Laufschuhe über den Tisch, worüber sich der Junge, der jetzt Jack Burridge heißt, so sehr freut, als habe er zum ersten Mal etwas geschenkt bekommen. Offenbar steht ihm ein gleichermaßen ersehnter wie gefürchteter Aufbruch ins Ungewisse bevor.

Wovor Jack eigentlich flieht, erfährt man noch nicht. John Crowley lässt sich in seinem Drama „Boy A“ Zeit, um mit der Wahrheit herauszurücken, aber ein übertrieben großes Geheimnis macht er auch wieder nicht daraus: Jack kommt aus dem Gefängnis frei, nachdem er im Kindesalter gemeinsam mit einem Schulfreund ein gleichaltriges Mädchen ermordet hat. Sein ergrauter Bewährungshelfer versichert ihm, dass er seitdem ein anderer Mensch geworden ist, und so beschwört sich auch Jack immer wieder mit den Worten: Ich bin nicht dieser Junge. Die britischen Boulevardblätter machen sich natürlich einen ganz anderen Reim auf die Entlassung: „Das Böse wird erwachsen“, springt es Jack zur Begrüßung aus den Schlagzeilen an. Darunter prangt sein Phantombild, das ihm immerhin nicht allzu ähnlich sieht.

In „Boy A“ wird eine wahre Begebenheit in abgewandelter Form erzählt. Jonathan Trigell greift in seiner gleichnamigen Romanvorlage den von zwei zehnjährigen Schulschwänzern begangenen Mord an einem Kleinkind auf und setzt mit seiner Erzählung dort an, wo sich in der Realität die Spur der auf freien Fuß gesetzten Täter verliert. In Crowleys feinfühliger Adaption hat allein Jack die Haft überlebt, wobei offen bleibt, ob sein als treibende Kraft porträtierter Komplize sich das Leben nahm oder der Lynchjustiz seiner Mitgefangenen zum Opfer fiel. Das Bild des Erhängten verfolgt Jack bis in seine Träume, und es ist ziemlich offensichtlich, dass er einerseits ein ähnliches Schicksal auch für sich selbst befürchtet und andererseits nicht weiß, wie er mit der auf sich geladenen Schuld ein normales Leben führen soll. Die Frage, wie es zum Mord kommen konnte, wird in Rückblenden aufgegriffen, bleibt aber klugerweise unbeantwortet.

Manchmal ähnelt Crowleys Film zu sehr einer Versuchsanordnung, die eine idealtypische Situation aus dem Drehbuchseminar entwirft und Jacks Schuld etwas zu penibel gegen sein Recht auf Rehabilitierung abwägt. Doch von solchen Einwänden abgesehen, zählt die mit einfachen Mitteln, aber sehr stilsicher inszenierte Fernsehproduktion „Boy A“ zum Besten, was der britische Realismus derzeit zu bieten hat. Das liegt am genauen Blick auf die Wirklichkeit, aber auch am eindrucksvollen Parforceritt des großartigen Hauptdarstellers Andrew Garfield. In seinem Gesicht wird der Widerstreit von Schuldbewusstsein und Lebensmut lebendig, und man ahnt früh, dass auch das aufblitzende Glück seine Figur nicht vor den eigenen Dämonen retten kann. Jack begreift, dass ihn mehr verfolgt als die blutgierige Sensationspresse. Am Ende ereilt ihn der Fluch der guten Tat, für den Film ist Garfields Sensibilität jedoch ein Segen.

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