Wir sind Papst! - Marktl am Inn

Dokumentarfilm | Deutschland 2008 | 91 Minuten

Regie: Mickel Rentsch

Dokumentarfilm über den bayrischen Ort Marktl am Inn, Geburtsort von Joseph Ratzinger, der mit dessen Wahl zum Papst im Jahr 2005 weltweite Bekanntheit erlangte und Ströme von "Pilgern" anzog. Er beobachtet die auf die Einsetzung Ratzingers als Papst Benedikt XVI. folgende Euphorie der Marktler und ihre immer fantastischere Blüten treibende Kreativität, Profit aus dem Merchandising rund um den prominenten Stadtsohn zu schlagen. Eine unterhaltsame und aufschlussreiche Beobachtung, die Impulse zum Nachdenken über das prekäre Verhältnis zwischen Frömmigkeit und deren Kommerzialisierung bietet. - Ab 12.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2008
Produktionsfirma
Rentsch Film/Abrakadabra Filmservice
Regie
Mickel Rentsch
Buch
Mickel Rentsch
Kamera
Frank Heidbrink · Manfred Schreiber · Mickel Rentsch
Schnitt
Mickel Rentsch
Länge
91 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 12.
Genre
Dokumentarfilm

Diskussion
„I hob gwoant wia a kloaner Bua“, sagt der betagte Mann im Trachtenanzug, und man sieht ihm deutlich an, dass seine Rührung echt war. Das Ereignis, das dem gestandenen Mannsbild die Tränen in die Augen trieb, war die Wahl des früheren Münchner Erzbischofs Joseph Kardinal Ratzinger zum Papst am 19. April 2005. Eine Wahl, die in ganz Deutschland Begeisterungsstürme entfachte, aber wohl nirgendwo so emphatisch bejubelt wurde wie in Marktl am Inn, dem Geburtsort Ratzingers. Zehn Tage nach der Konklave hat der Filmemacher Mickel Rentsch die bis dahin weitgehend unbekannte 2700-Seelen-Gemeinde erstmals mit der Kamera besucht, um die Reaktionen der Menschen festzuhalten. Bis zum April 2006, dem Kurzbesuch Benedicts XVI. in seiner bayrischen Heimat, hat Rentsch das ehedem verschlafene Nest immer wieder aufgesucht, um die Veränderungen in dem plötzlich weltberühmten Ort zu beobachten. Schon bei der ersten Stippvisite zeigt sich, dass die Marktler nicht nur gottesfürchtige Menschen sind, sondern auch in Sachen Marketing ein erstaunliches Maß an Kreativität entfalten. Neben den üblichen Tellern, Postkarten und Kerzen mit dem Konterfei Ratzingers lockt das „Papst Bier“ im Straßenverkauf, hat die Bäckerei eine „Ratzinger-Schnitte“ im Angebot, und sogar „Papst Wein“ kann man in einem Laden erstehen. Der Grüne Veltliner stammt zwar aus Österreich und hat mit dem Heiligen Vater eigentlich nichts zu tun, aber die Bus-Touristen, die nun täglich in Scharen einfallen, kaufen so ziemlich alles. Die Gewerbetreibenden rechtfertigen ihr skurriles Treiben mit schlichten Verweisen („Die Polen haben das mit ihrem Papst doch auch gemacht“) oder ganz eigener Dialektik. „Es gibt Kitsch und es gibt Überkitsch“, erklärt die Betreiberin von „Eva’s Teehaferl“ und setzt hinzu: „Wenn Sie wissen, was ich meine.“ Wochen später hat die Dame offenbar alle Hemmungen fahren lassen; ihr Laden platzt vor Benedikt-(Über-)Kitsch aus allen Nähten. Während der Bürgermeister noch über den zu schaffenden Spagat „zwischen Pietät und Kommerz“ sinniert, werden im Ort aber auch die ersten kritischen Stimmen lau. Die Eigentümerin von Ratzingers Geburtshaus zeigt sich entnervt, weil Touristen nicht nur von früh bis spät ihr Haus umlagern, sondern sogar den Putz von der Außenwand kratzen, als handle es sich bei dem schlichtem Mörtel um eine Reliquie. Mickel Rentsch verfolgt alle diese skurrilen Begebenheiten aus gebotener Distanz, hält zwischendurch das ein oder andere Schwätzchen mit den Beteiligten und setzt mit seinem Film ohne Off-Kommentar hinsichtlich des Unterhaltungswerts natürlich vor allem auf Realsatire. Auf der anderen Seite führt er die geschäftstüchtigen Marktler aber nicht vor, sondern zeigt sie als Menschen, die durch den plötzlichen Ruhm ihres Ortes unvermittelt aus dem Dornröschenschlaf gerissen wurden und mit der neuen Situation vielfach schlicht überfordert sind. In der Auflistung immer absurderer Merchandising-Produkte ist das Ganze dramaturgisch nicht ohne Redundanzen, gewinnt aber mit den in Form eines Countdowns inszenierten Tagen unmittelbar vor dem Papstbesuch deutlich an Fahrt. Ein kurzweiliger Dokumentarfilm über die wundersamen Wege frömmelnder Papst-Verehrung und die nicht minder wunderlichen Versuche gottesfürchtiger Bürger, daraus Kapital zu schlagen. Nur die (gestellte) Sequenz mit dem Mann auf der Parkbank, der in der BILD-Ausgabe mit jener Schlagzeile liest, die Rentsch als Titel für seinen Film übernahm, hätte er sich schenken können. Selbst in Marktl liest kein Mensch in einer zehn Tage alten Tageszeitung.
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