Der Junker und der Kommunist

Dokumentarfilm | Deutschland 2009 | 72 Minuten

Regie: Ilona Ziok

Dokumentation über zwei lose miteinander verbundene deutsche Biografien: Der Adlige Carl-Hans von Hardenberg und der Kommunist Fritz Perlitz vertreten in den 1930er-Jahren politisch konträre Positionen, finden aber aufgrund ihres Widerstands gegen das NS-Regime als KZ-Häftlinge zusammen, bevor sie in der DDR bzw. in der Bundesrepublik Deutschland unterschiedliche Höhen und Tiefen durchleben. Sachlich entwirft der Film eine interessante "Deutschstunde", die anhand der Karrieren soziale Gräben reflektiert. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2009
Produktionsfirma
CV Films
Regie
Ilona Ziok
Buch
Ilona Ziok
Kamera
Wojciech Szepel
Musik
Manuel Göttsching
Schnitt
Markus Schickel · Ilona Ziok
Länge
72 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Diskussion

Es braucht einige Zeit, bis Regisseurin Ilona Ziok die Lebensgeschichten der beiden Protagonisten ihres Dokumentarfilms engführen kann. Zwar stehen sich der Arbeiter Fritz Perlitz und der preußische Junker Carl-Hans von Hardenberg bereits 1931 gegenüber, allerdings in verfeindeten Lagern: Perlitz vertritt bei einem Arbeitskampf die proletarische Seite, von Hardenberg die der großbürgerlichen Opposition. Doch dann trennen sich die Wege. Der stramme Kommunist Perlitz folgt seinem Gewissen, leistet Widerstand gegen Hitler, kämpft im Spanischen Bürgerkrieg gegen die Faschisten, wird 1939 interniert und Anfang der 1940er-Jahre an Deutschland ausgeliefert.

Von Hardenberg, der in Hitler nicht die Zukunft Deutschlands sieht, sondern als loyaler Monarchist am Machtanspruch der Hohenzollern festhält, leistet zunächst seinen Fahneneid ab, tritt aber im Januar 1939 einer Offiziers-Gruppe bei, die zur Verschwörung gegen Hitler entschlossen ist und das gescheiterte Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 zu verantworten hat. Nach einem Selbstmordversuch wird von Hardenberg ins KZ Sachsenhausen eingeliefert, wo er im Krankenrevier erneut auf Perlitz trifft. Nach anfänglichen Bedenken werden beide zu Bettnachbarn, tauschen ihre wenig kompatiblen Meinungen über ein zukünftiges Deutschland aus, freunden sich an, ohne die politische Gegnerschaft aus den Augen zu verlieren. Zu unterschiedlich sind die Vorstellungen von der eigentlich gemeinsamen Sache.

Erst nach beider Befreiung aus dem KZ Sachsenhausen erhält Zioks Film Brisanz, spiegelt er doch ab hier die Wechselfälle deutscher Politik und damit auch – notgedrungen – die Wechselfälle deutscher Biografien. Zunächst ist Fritz Perlitz „fein raus“: Er wird Parteisekretär der neu gegründeten Einheitspartei SED und muss in dieser Funktion zur Enteignung von Hardenbergs beitragen, dessen Gut in seinem Einflussbereich liegt. Der Junker, nun ohne Land, wird im Westteil der Republik zum Vermögensverwalter derer von Hohenzollern, die Teilung von Staat und Biografien ist nun eigentlich vollzogen. Doch Perlitz fällt in Ermangelung denunziatorischer Stasi-Fähigkeiten in den 1960er-Jahren in Ungnade und wird politisch kaltgestellt; von Hardenberg erhält nach der Wende seinen Besitz posthum zugesprochen. Wobei es keinen Mangel an devoten Ehrfurchtsbezeigungen gegenüber der gräflichen Familie gibt.

Gewiss muss Geschichte immer mit Blicken von oben und von unten betrachtet werden; so gesehen ist der Film von Ilona Ziok ein nahezu unglaublicher Glücksfall, weil er zwei extreme Vorstellungen des politischen Gebildes Deutschland in zwei außergewöhnlichen Biografien bündeln kann: die Geschichte zweier Patrioten, die eigentlich das Gleiche wollen, jedoch etwas völlig unterschiedliches meinen. Eine „Deutschstunde“ ganz besonderer Art, die zum Ende hin, wenn auch ein wenig verkürzt, auch soziale Gräben und ungewöhnliche Karrieren im Deutschland der Nachkriegszeit reflektiert. Während Graf von Hardenberg nach seinem Tod im Jahr 1958 in Göttingen ein pompöses Begräbnis bereitet wurde, wurde der Leichnam von Fritz Perlitz 1972 in einem Reihengrab beigesetzt. An seinen Namen erinnert sich heute kaum noch jemand in der ehemaligen DDR, vielleicht einige in die Jahre gekommene Funktionäre.

Die gräfliche Familie erhielt nach der Wende Schloss Neu-Hardenberg zurück und gründete zunächst eine Stiftung; später wurde das Schloss an ein Bankenkonsortium verkauft. Das hat im deutschen Nordosten mitnichten für blühende Landschaften gesorgt, wahrscheinlich aber immerhin für eine blühende (Tagungs- und Kultur-)Oase. Am Ende des betont emotionslosen Films steht die Einsicht: „Kommunisten waren auch Menschen, irgendwo“ – und dass sie zumindest „weniger gelogen (haben) als andere“. Dies könnte versöhnlich klingen, lässt aber auch immer noch tiefe Gräben erahnen.

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