Samson & Delilah

Drama | Australien 2009 | 101 Minuten

Regie: Warwick Thornton

Ein Aborigine-Mädchen entflieht mit einem Nachbarsjungen den Lebensverhältnissen in seinem Dorf in der Wüste Zentral-Australiens, um in der Stadt sein Glück zu suchen. Dort aber warten nur neue Ausgrenzungen und Armut. Vor der Folie der biblischen Geschichte um Samson und Delilah verdichtet das Drama den Leidensweg seiner Protagonisten, denen angesichts der sozialen Ausgrenzung durch die weißen "Philister" nichts als die Flucht in die geteilte Einsamkeit bleibt, zu einer bildgewaltigen Elegie um stillen Schmerz und bedingungslose Zuneigung. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
SAMSON AND DELILAH
Produktionsland
Australien
Produktionsjahr
2009
Produktionsfirma
Scarlett Pic./Caama Prod.
Regie
Warwick Thornton
Buch
Warwick Thornton
Kamera
Warwick Thornton
Schnitt
Roland Gallois
Darsteller
Rowan McNamara (Samson) · Marissa Gibson (Delilah) · Mitjili Gibson (Nana) · Scott Thornton (Gonzo) · Matthew Gibson (Samsons Bruder)
Länge
101 Minuten
Kinostart
29.12.2011
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Mit einem stumpfen Messer säbelt sich Delilah büschelweise die Haare ab. Aus ihren Augen fließen die Tränen und aus ihrem Mund die Strophen eines Kinderliedes. Sie hat die einzige Person verloren, die ihr geblieben war: ihre Großmutter. Mehr als dieser Ausdruck der Trauer ist dem jungen Aborigines-Mädchen finanziell nicht möglich. Dennoch wird es von den Dorffrauen wegen vermeintlich fehlender Fürsorge für die alte Frau mit dicken Knüppeln halb totgeschlagen. Es wird der Nachbarjunge Samson sein, der Delilah von ihrem Lager aufheben und mit ihr in einem gestohlenen Pickup-Truck schweigend in Richtung Großstadt-Lichter fahren wird. Ähnlich wie „Long Walk Home“ (fd 35 961) oder „10 Kanus, 150 Speere und 3 Frauen“ (fd 38 256) gewährt „Samson & Delilah“ Einblick in die Lebenswelt einer Gruppe, von der man in ihrer ureigenen Heimat gerne den Blick abwendet. Zu Beginn des Films nistet sich Samson in das Leben von Delilah ein, während sie, mit ihrer Großmutter auf dem Boden sitzend, große Aborigines-Kunstwerke über Träume und Naturerfahrungen tüpfelt, die sie für kleines Geld an einen Kunsthändler verscherbeln. Diese Aborigines leben in einer ärmlichen Ansammlung baufälliger Holzbaracken. Geschlafen wird draußen, das Lagerfeuer brennt ständig, und das einzige Telefon weit und breit klingelt ab und an mitten auf dem provisorischen Dorfplatz. Es ist eine Armut, deren Gesicht hauptsächlich aus herumliegendem Müll und einer wilden Mixtur aus alten, westlichen Konsumgütern und den Gaben bestimmt wird, die die karge Natur hergibt. Der Alltag von Delilah und Samson ist einer der Routine, ganz abseits von Statussymbolen, aber es ist auch einer der Musik als akustischer Höhepunkt des Tages: Von der Band auf der Veranda über Samsons silbernen Ghetto-Blaster und den Aborigines-Sender bis hin zu der schon so oft abgetasteten Kassette von Delilah ist Musik immer irgendwie präsent. Das soziale Ausschlussverfahren des Materialismus und die daraus resultierenden Vorurteile bekommen Delilah und Samson in den Einkaufszentren und Kirchen der Städte in Form der Augen von Sicherheitsmännern und Pfarrern zu spüren, die ihnen misstrauisch im Rücken sitzen. Die Bilder, die Delilah zuvor noch mit ihrer Großmutter malte, stehen nun für zahlungskräftige Australier und Touristen für 22.000 Dollar in Galerien. Von ihr selbst zu Markte getragen, sind sie nichts mehr wert. Samson und Delilah werden unter der Brücke landen, unter abgewandten Blicken durch die Straßen streunen. Irgendwann wird sich das brutal von Weißen missbrauchte Mädchen die abgeschnittene Plastikflasche mit dem Benzin-Vorrat schnappen, in die der Schnüffel-süchtige Junge immer häufiger seine Nase steckt. Samson und Delilah waren schon in der Bibel ein Liebespaar, das aufeinander angewiesen war, auch wenn diese Konstellation in der Alten Schrift im Verrat mündete. Samson zog seine unbändige Kraft gegen die herrischen Philister aus seinen langen Haaren. Delila war die Frau, die er vor seinem Tod liebte und die doch für diesen verantwortlich werden sollte. Sie verriet das Geheimnis seiner Haare und beraubte ihn damit seiner Kraft und seiner Verteidigung. In Warwick Thorntons Film wird dieses Verhältnis umgekehrt, es wird Delilah sein, die den kurzhaarigeren Samson so rettet wie er einst sie. Ihr Heil werden sie dennoch nicht unter den „Philistern“, den weißen Australiern, finden, sondern in der einsamen Isolation ihrer Zweisamkeit. Solch große und packende Kraft haben die Bilder dieser Aborigines-Romanze in der Abwärtsspirale, dass sie Worte unnötig erscheinen lassen. Das Kräfteverhältnis aus Bedürftigkeit und Fürsorge verschiebt sich in dieser stillen Liebe immer wieder, auch wenn Samson irgendwann völlig benebelt nicht einmal mehr bemerken wird, ob Delilah überhaupt noch hinter ihm läuft. Ein bisschen erinnert diese Liebe an „Die Liebenden von Pont-Neuf“ (fd 29 648) von Léos Carax über die Amour Fou zweier Pariser Obdachloser, nur dass diese diesmal in der anonymen Tristesse unter einer Zubringer-Brücke stattfindet und nicht auf einer Pariser Brücke im Herzen Europas. Im französischen Cannes hat Warwick Thornton, selbst indigen, für seine unmittelbaren Ausschnitte von stillem Schmerz und bedingungsloser Zuneigung gleichwohl die „Cámera d’Or“ für den besten Debütfilm erhalten. So mitreißend hat er die Geschichte eines Ausbruchs und einer Resozialisation in der gemeinsamen Einsamkeit in Bilder gepackt, dass sie einen von Anfang bis Ende trotz all der Schrecken in ihrer Schönheit nicht mehr loslässt.
Kommentar verfassen

Kommentieren