Dokumentarfilm | Deutschland 2008 | 94 Minuten

Regie: Thomas Riedelsheimer

Dokumentarfilm über zwei Kinder und eine Jugendliche, die an Krebs leiden. Er gibt den Patienten wie ihren Eltern Raum, um über ihr Erleben, ihre Ängste und Hoffnungen zu reden. Gelegentlich etwas aufdringlich in mystifizierenden Zwischenschnitten auf Bilder, die das Werden und Vergehen in der Natur zeigen, beschönigt er bei aller Leichtigkeit nichts und verdichtet sich zum bewegenden, warmherzigen Werk über das Sterben als Teil des Lebens. - Sehenswert ab 12.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2008
Produktionsfirma
Filmpunkt/WDR
Regie
Thomas Riedelsheimer
Buch
Thomas Riedelsheimer
Kamera
Thomas Riedelsheimer
Musik
Marina Schlagintweit · André Buttler · Max Hundelshausen · Elischa Kaminer
Schnitt
Thomas Riedelsheimer
Länge
94 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 12.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion
Pauline ist 15, mag Kühe, schreibt Gedichte und stellt die Frage nach Sinn und Zweck des Lebens ernsthafter als ihre Altersgenossinnen. Was nicht verwunderlich ist. Schließlich weiß sie, dass sie womöglich nicht mehr lange zu leben hat. Pauline ist an Leukämie erkrankt. Ein Schicksal, das sie mit dem mit Down-Syndrom geborenen Lenni (6) und dem zehnjährigen Richard teilt, der gerne Schach und Fußball spielt, aber dem inzwischen auch das ärztliche Fachchinesisch aus Blutwerten und Leukozyten so vertraut ist wie seinen Altersgenossen das Kader ihres Lieblingsvereins. Zweieinhalb Jahre lang hat Thomas Riedelsheimer das tragische Schicksal dieser jungen Patienten verfolgt, ihre Phasen zwischen Bangen und Hoffen festgehalten und sich mit den Eltern und Geschwistern über die Schwierigkeit unterhalten, mit dieser Krankheit umzugehen. In Parallelmontage werden die unterschiedlichen Verläufe der Krankheit bei den drei Hauptprotagonisten dokumentiert. Ist der eine gerade daheim bei der Familie, liegt der andere im Krankenhaus, um sich einer weiteren Chemotherapie zu unterziehen. So gibt das Auf und Ab der Entwicklungen den chronologisch angeordneten Sequenzen die Dramaturgie vor. Verblüffend ist dabei, wie gefasst und rational die beiden Älteren, Paula und Richard, mit ihrer Krankheit umgehen. Dass sie unaufhörlich Pläne für die Zukunft schmieden, erscheint dabei nicht als Widerspruch, sondern eher als Ahnung, dass Selbstaufgabe in ihrer Situation zum Tode führen kann. Wie viel Kraft sie Vernunft und (Zweck-)Optimismus aber auch kosten, wird besonders in einer Szene deutlich, in der Richard vom Krankenbett aus mit seiner Mutter telefoniert. Er teilt ihr mit, dass er starke Schmerzen habe, und als die Mutter ihm anbietet, sofort zu kommen, obwohl sie eigentlich kaum Zeit hat, erklärt er ihr mit ruhiger Stimme, der Besuch habe auch Zeit bis morgen. Dabei laufen ihm Tränen über die Wangen. Vielleicht die bewegendste Szene in einem durchweg bewegenden Film, der trotz seines tragischen Sujets vor allem von unbändigem Lebenswillen erzählt. Dabei enthält sich Riedelsheimer weitestgehend jedes Off-Kommentars, verzichtet auf eine billige Betroffenheits-Attitüde und auf jede emotionalisierende Zuspitzung wie etwa Musik, sondern lässt in langen Einstellungen Paula und Richard zu Wort kommen, während der meist gut gelaunte, sechsjährige Lenni so etwas wie das unbefangene Element des Films verkörpert. Zugleich müssen seine Eltern irgendwann eine Antwort auf die schier unmenschliche Frage finden, ob sie ihn daheim in vertrauter Umgebung sterben lassen sollen oder in eine weitere Therapie mit ungewissem Ausgang einwilligen. Denn bei aller bewundernswerten Leichtigkeit beschönigt der Film nichts. Zwei der Protagonisten haben das Ende der Dreharbeiten nicht mehr erlebt. Momente purer Verzweiflung oder heftige Gefühlsausbrüche von Seiten der Eltern – Richards Eltern bleiben weitgehend außen vor – zeigt der Film nicht: Alle kümmern sich liebevoll um ihre kranken Kinder und sprechen voller Empathie über sie und ihre eigenen Befindlichkeiten. Was damit zu tun haben könnte, dass die Erwachsenen hier scheinbar alle akademisch gebildet sind, über viel (Tages-)Freizeit verfügen und ihre eigene Lage rational und umfassend zu reflektieren verstehen. Wie es krebskranken Kindern ohne einen solchen Background geht, kann man nur erahnen. Nicht ganz gelungen erscheinen hier indes nur Thomas Riedelsheimers Versuche, das Geschehen mit assoziativen Sequenzen aus der Natur anzureichern. Mit Bildern von Seerosen, Tautropfen, die von einer Schnecke geschlürft werden, oder Pusteblumen, deren Samen der Wind davonträgt, als Sinnbilder für das Werden und Vergehen bewegen sich diese Momente bisweilen am Rand einer Naturmystik, die der Film gar nicht gebraucht hätte. Trotz dieses kleinen Mankos ist „Seelenvögel“ ein eindrucksvoller, überaus warmherziger Dokumentarfilm über das Sterben als Teil des Lebens.
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