Drama | USA 2009 | 100 Minuten

Regie: Andrew Bujalski

Einer jungen, querschnittsgelähmten Frau droht ein Gerichtsstreit mit ihrer Geschäftspartnerin, was sie wieder mit ihrem Ex-Freund, einem Juristen, zusammenführt. Gleichzeitig gilt es, die Beziehung zu ihrer Zwillingsschwester zu sondieren. Mit Laiendarstellern gedrehter Independent-Film, der durch die intimen Beobachtungen seiner vorzüglich gespielten Figuren, ihrer Kommunikationsstrukturen und Alltagserlebnisse überzeugt. Zugleich gelingt es ihm, den Prozess des Filmens selbstreflexiv in die offene, den Zuschauer zu eigenständiger Interpretation anregende Ästhetik des Werks einzubeziehen. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
BEESWAX
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2009
Produktionsfirma
Sisters Project
Regie
Andrew Bujalski
Buch
Andrew Bujalski
Kamera
Matthias Grunsky
Schnitt
Andrew Bujalski
Darsteller
Maggie Hatcher (Lauren) · Tilly Hatcher (Jeannie) · Alex Karpovsky (Merrill) · Katy O'Connor (Corinne) · David Zellner (Scott)
Länge
100 Minuten
Kinostart
25.03.2010
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama
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Diskussion
Der Rollstuhl ist eine Nebensache. Er ist schlicht Teil der Lebenswirklichkeit von Jeannie. Ihr Leben mit der Querschnittslähmung wird in Andrew Bujalskis „Beeswax“ nicht problematisiert. Es kommt auch nicht zum Konflikt mit der Zwillingsschwester. Als Jeannie ihren Ex-Freund wieder trifft, landen die beiden zwar schnell im Bett. Ein Drama wird daraus aber keineswegs, vor allem wird viel geredet. Die Laiendarsteller sprechen schnell, verschleifen Übergänge, verschlucken Endsilben – fast überdeutlich sprechen sie so undeutlich wie Menschen im echten Leben. Dem Regisseur geht es offenbar nicht darum, mit dramaturgisch kalkulierten Zuspitzungen Zuschauererwartungen zu bedienen. Einen „Poeten der Zweifel, des Zögerns und der Unverbindlichkeiten“ nennt die amerikanische Filmkritikerin Amy Taubin den 1977 geborenen Bujalski. Mit seinem Erstlingsfilm „Funny Ha Ha“ und dem Nachfolger „Mutual Appreciation“ wurde er zum Begründer einer neuen Generation amerikanischer Independentfilmer ausgerufen, „mumblecore“ („to mumble“ bedeutet „Nuscheln“) genannt. Den Neologismus soll Bujalskis Tonmann erfunden haben, die Presse hat ihn dann aufgegriffen, um ein junges Kino in erster Linie nach seinen Produktionsbedingungen zu kategorisieren: Mit sehr geringem Budget werden die Filme meist digital gedreht (Bujalski stellt allerdings eine Ausnahme dar, er dreht auf Film), der Plot wird mit Laiendarstellern entwickelt und improvisiert. Die Geschichten drehen sich um Beziehungen gebildeter, weißer Mittzwanziger – der „neo-slacker generation“, wie Taubin es ausdrückt. Der Fokus in „Beeswax“ liegt auf Jeannie. Sie teilt mit ihrer Zwillingsschwester Lauren eine Wohnung in Austin, Texas, und betreibt gemeinsam mit einer alten Freundin einen kleinen Laden für Second-Hand-Kleider. Dieses freundschaftliche Arbeitsverhältnis muss über die Jahre brüchig geworden sein. Der Film setzt ein, als diese Brüche manifest werden: Jeannie bekommt eine E-Mail von Amanda, in der diese andeutet, dass sie auch eine Gerichtsverhandlung gegen Jeannie nicht scheuen würde. Jeannie sucht Unterstützung bei ihrem Ex-Freund Merrill, der kurz vor seinem Jura-Examen steht. Nicht nur die Arbeitsbeziehungen stellt Bujalski auf den Prüfstand, er schließt die zwischenmenschlichen Beziehungen gewissermaßen mit diesen kurz. Merrill findet es schön, wieder mit Jeannie zusammen zu sein. Eine frühe Beilegung des Konflikts mit Amanda käme ihm also womöglich gar nicht gelegen. Erzählt er Jeannie deshalb nach einem zufälligen Treffen mit ihrer Geschäftspartnerin, dass diese sie ziemlich sicher verklagen werde – obwohl Amanda das Gegenteil beteuerte? Man kann das zumindest so lesen. Die Leerstellen sind wichtig in „Beeswax“; sie lassen Raum für Interpretationen. Den Figuren wird Komplexität zugestanden; geschlossene Charaktere gibt es hier nicht. Der Zuschauer ist gefordert, sich aus teilweise widersprüchlichen Details selbst ein Bild zu machen. Diese Details weisen sogar über die Leinwand hinaus: Zieht Jeannie in einer Szene schnell ihren Bauch ein, weil sie Merrills Blick spürt? Oder wird sich die Laiendarstellerin in diesem Moment des Blicks der Kamera bewusst? Oder ist es bloßer Zufall? So naturalistisch sich der Film als Lebensausschnitt, als intime Beobachtung präsentiert, so sehr ist seine Beiläufigkeit komponiert und wird seine Gemachtheit immer wieder betont. Maggie Hatcher, die Lauren spielt, wurde laut Bujalski von Chantal Akerman entdeckt, als diese ihn bei der Besetzung seines Abschlussfilms beriet. Die Zwillingsschwestern Maggie und Tilly Hatcher sind für „Beeswax“ ein Glücksfall; gerade die körperlichen Unterschiede zwischen den beiden sensibilisieren für die Suche nach Gemeinsamkeiten, nach kaschierten Rollenverteilungen, nach dem Wesen dieser Schwesternbeziehung. Alex Karpovsky, Darsteller des Merrill, ist selbst Filmemacher und hat mit „Woodpecker“ ein sehr unterhaltsames Mockumentary vorgelegt. Unterhaltsam ist auch „Beeswax“. Das liegt vor allem an den intelligenten, natürlichen Dialogen, dem Gespür für Kommunikationsstrukturen, menschliche Unzulänglichkeiten und die bizarren Überraschungen des Alltags. Der Titel „Beeswax“ (Bienenwachs) bezieht sich auf eine populäre Redewendung: Anstelle von „it’s none of your business“, also „das geht dich nichts an“, wird auch „it’s none of your beeswax“ gesagt.
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