Drama | Österreich/Italien 2009 | 105 Minuten

Regie: Tizza Covi

Eine alternde Schaustellerin, die ein improvisiertes Leben am Rand eines heruntergekommenen Vororts von Rom führt, findet ein von seiner Mutter ausgesetztes zweijähriges Mädchen und nimmt sich ihm fürsorglich an. Schon bald wird das aufgeweckte, liebenswerte Kind zum Mittelpunkt der kleinen Schaustellergemeinde, doch alle wissen, dass dieses "Familienglück" nicht dauerhaft sein kann. Ein unromantischer, konsequent dokumentarisch erzählter Spielfilm von herber Poesie und Melancholie, der einer lieblos gewordenen Welt uneigennützig praktizierte Solidarität, Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft entgegensetzt. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 10.
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Filmdaten

Originaltitel
LA PIVELLINA
Produktionsland
Österreich/Italien
Produktionsjahr
2009
Produktionsfirma
Vento Film/ORF/Provincia Autonoma Di Bolzano
Regie
Tizza Covi · Rainer Frimmel
Buch
Tizza Covi · Rainer Frimmel
Kamera
Rainer Frimmel
Schnitt
Tizza Covi
Darsteller
Patrizia Gerardi (Tante Patti) · Asia Crippa (Asia) · Walter Saabel (Walter) · Tairo Caroli (Tairo)
Länge
105 Minuten
Kinostart
27.05.2010
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 10.
Genre
Drama
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Heimkino

Verleih DVD
Filmgalerie451 (16:9, 1.78:1, DD2.0 ital.)
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Diskussion
La Pivellina, die Kleine, wurde ausgesetzt. Das aufgeweckte, gerade mal zwei Jahre alte Mädchen sitzt in seinem rosa Anorak einsam auf einer Schaukel, inmitten der nasskalten Tristesse eines unbehausten römischen Vorortspielplatzes, wo es die alternde Schaustellerin Patrizia, die nach ihrem streunenden Hund suchte, findet und in ihre Obhut nimmt. Patrizia lebt mit ihrem Mann Walter, einem ebenfalls nicht mehr jungen Zirkusartisten, in einem Wohnmobil an der Großstadtperipherie – wortwörtlich am Rand der „normalen“ Gesellschaft. Außerhalb der Saison halten sich die beiden finanziell selbst kaum über Wasser, keiner will ihre bescheidenen Auftritte mit Clown-, Messerwerfer- und Dompteur-Nummern in dieser rauen, heruntergekommenen urbanen Welt noch sehen – für ihre so charmant in die Jahre gekommene „Magie“ aus Akrobatik und Illusion gibt es längst kein Publikum mehr. Und doch demonstrieren Patrizia und Walter ohne Zögern das, was die „ordentlichen“, sesshaften Menschen in dieser Region nicht zeigen: Solidarität, Menschlichkeit, Hilfsbereitschaft. Handfest und ohne falsche Scheu nimmt sich Patrizia als Tante Patti des Findelkinds an. Vielleicht kläre sich ja bald alles auf, mutmaßt sie, aber bis dahin müsse das Kind namens Asia ein Heim bekommen, müsse Geborgenheit, Zuneigung und Aufmerksamkeit spüren. Da mag sich Walter aus Angst, man könne ihnen womöglich eine Entführung anlasten, zunächst noch sträuben, bald verfällt auch er dem Charme des kleinen Mädchens; derweil der 13-jährige Tairo aus dem Nachbar-Wohnwagen, dessen Vater bei einem Zirkus als Raubtierdompteur arbeitet, eifrig und pflichtbewusst zum „großen Bruder“ avanciert, der für Asia sogar einmal seine Freundin versetzt. Bald schon ist Asia emotionaler Dreh- und Angelpunkt im improvisierten Leben der kleinen Gemeinschaft und aus ihr nicht mehr wegzudenken mit ihrem glucksenden Kinderlachen, ihrer liebenswerten Widerspenstigkeit und kindlichen Neugier. Doch alle wissen, dass dies kein dauerhaftes „Familienglück“ sein kann. Während viele aktuelle Dokumentarfilme inszeniert erscheinen, weil sie sich der Wirklichkeit betont narrativ annähern, sieht der Spielfilm „La Pivellina“ fast schon wie ein Dokument aus: Die Dialoge wirken improvisiert und spontan wie Alltagssprache, die Handkamera ist nahezu immer in Bewegung und folgt den Protagonisten hautnah, ohne sonderlich abzuschweifen, und in den langen Einstellungen ohne viele Schnitte muss der Betrachter selbst initiativ werden und seinen Blick auf die zumeist in Totalen eingefangenen Wirklichkeitsausschnitte fokussieren. So könnte der Film durchaus eine Art Fortsetzung des früheren Dokumentarfilms „Babooska“ (fd 38038) von Tizza Covi und Rainer Frimmel sein, in dem die Filmemacher eine italienische Zirkusfamilie porträtierten (vor allem die 20-jährige Tochter Babooska), die sie während einer Tournee durch ein nasskaltes Mittelitalien begleiteten, wobei sie auch Patrizia und Walter kennen lernten, die nun die (sich selbst) spielenden Protagonisten in „La Pivellina“ sind. Die melancholisch-tristen Bilder vom Alltag der Artisten und ihrer Überlebensstrategien in „Babooska“ fließen fast nahtlos in die nun inszenierten Bildern von „La Pivellina“ über; mögen diese jetzt unmittelbar einem erdachten Handlungsgeschehen verpflichtet sein, so sind die spröde Poesie des fiktiven Films, seine Melancholie ebenso wie sein überraschend oft aufblitzender Humor doch stets realitätsnah. Lässt man sich auf dieses offene „dokumentarische Erzählen“ ein, entwickelt man schnell viel Sympathie und Zuneigung für die Protagonisten, die mit Würde und Anstand ihr Leben meistern, sodass man nur zu gerne ein Stück weit mit ihnen „lebt“ und ihren Alltag erkundet. Wobei sich so manche auf den ersten Blick undramatische Szene nachhaltig mit Poesie und Symbolwert füllt, beispielsweise wenn Tairo immer wieder eine improvisierte, ausgerechnet mit grell-bunten Zirkusplakaten beklebte Mauer überwinden muss, um überhaupt das hermetisch abgegrenzte Gelände der Schausteller betreten zu können. Als es in einer Nacht einmal regnet und am nächsten Morgen der Platz vor den Wohnmobilen mit großen Pfützen übersät ist, erläutert Tante Patti ernst, dass Gott geweint habe; nicht viel später wird Asia von Tairo in übergroße Gummistiefel gesteckt und platscht ausgelassen durch die Pfützen – vor Glück lachend, bringt sie „Gottes Tränen“ in Wallung und ein wenig Glanz in ein tristes Leben, so, als gäbe es für einen Moment keine lieblose Welt, in der Kinder einfach ausgesetzt werden. „La Pivellina“ erzählt zwar von einem Kind, ist freilich kein expliziter Kinderfilm – zumindest nicht nach den landläufigen Kriterien. Gleichwohl ist er durchaus für Kinder geeignet, wie die Aufführung beim Kinderfilmfest der „Berlinale“ 2010 eindrucksvoll vor Augen führte, als die jungen Zuschauer aufmerksam und voller Interesse dem Geschehen folgten und gewiss viele Fragen mitnahmen, die es nachzubereiten lohnte.
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