Drama | Deutschland 2009 | 105 Minuten

Regie: Detlef Bothe

Ein einsamer Umweltaktivist ist mit einer jungen Frau, die er offensichtlich gekidnappt hat, unterwegs am Starnberger See. Die beklemmende Studie einer Entführung, die die Emanzipations- und Fluchtversuche des Opfers, aber auch die Traumata des Entführers ins Zentrum stellt. Die stimmige Raumpoetik fokussiert auf wenige wohnliche Unorte und lenkt den Blick auf die Figuren sowie die Machtverhältnisse zwischen ihnen, ohne freilich die Hintergründe ihrer Beziehungen offen zu legen. Trotz der mitunter wirklichkeitsfernen Stilisierung der Dialoge erinnert das Täter-Opfer-Psychogramm nachhaltig an reale Fälle. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2009
Produktionsfirma
B-Filme
Regie
Detlef Bothe
Buch
Detlef Bothe
Kamera
Holger Fleig
Musik
Stefan Schulzki
Schnitt
Markus Herm
Darsteller
Detlef Bothe (Klaus) · Leni Wesselman (Maggie) · Raffaele Bonazza (Michael) · Lisa Carline Hofer (Barb) · Dominic Raacke (Platzwart)
Länge
105 Minuten
Kinostart
03.06.2010
Fsk
ab 16
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Thriller
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Zorro (16:9, 1.78:1, DD2.0 dt.)
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Diskussion
Autobahnraststätten sind Orte, an denen im Film gern Unheil geschieht. Sie sind anonym und gesichtslos, bieten mithin den idealen Rahmen, um am helllichten Tag dunklen Machenschaften nachzugehen. Und sie vermitteln anschaulich die Tristesse der modernen Welt. Die Entführung am Anfang von George Sluizers „Spurlos verschwunden“ (1988), einem Klassiker des Entführungs-Thrillers, fand auf einer Raststätte statt. Der Regisseur und Autor von „mein“, Detlef Bothe, hat offenbar eine Vorliebe für solche Un-Orte: Sein vorhergehender Film „Neben der Spur“ (fd 39035) beginnt auf einem Parkplatz an der Autobahn. Die Gegend, die Landschaft, die Bothe als Drehort gewählt hat, ist der Starnberger See bei München im Sommer – „Neben der Spur“ hat er dort im Winter gedreht. Regelmäßig liegen die Bewohner Starnbergs in der Statistik vorne, wenn es darum geht, wo die Menschen in Deutschland sich am glücklichsten wähnen. Es wirkt so, als wäre Bothe ausgezogen, um in seinen Filmen das Gegenteil zu beweisen. Ein Wohnmobil hält an einer Raststätte. Sie ist 21, er ist in den Vierzigern, wenige, graumelierte Haare umrahmen seine große Glatze. Seine Tochter ist die hübsche, dunkelhaarige, schlaksige junge Frau nicht, auch wenn er das dem Autobahnpolizisten erzählt. Er hält sie nicht an der Hand wie eine Tochter, sein Griff ist sehr fest, und er weicht ihr nicht von der Seite. Ihre Stimme ist hoch und eigenartig monoton, sie stellt Kinderfragen: „Darf ich ein Eis haben?“ Die männliche Hauptrolle spielt Bothe selbst. Auch in seinem zweiten Film „Meine Frau, meine Freunde und ich“ (2004) hatte er sich bereits die Hauptrolle auf den Leib geschrieben: eine tragische, aus Familie und Gesellschaft ausgestoßene Figur. Es sind die verschrobenen, abseitigen Charaktere, die ihn interessieren. In „Neben der Spur“ verkörperte er einen einsamen, militanten Umweltaktivisten. Klaus gewährt Maggie das Eis, „ausnahmsweise“. Die Machtverhältnisse in dieser Beziehung liegen in den ersten Minuten des Films auf dem Tisch; und schnell verdichten sich auch die Hinweise, dass es sich um eine Entführung handeln muss. Pate standen wohl die realen Fälle, die in den vergangenen Jahren durch die Schlagzeilen gingen, allen voran die Entführung von Natascha Kampusch. Als sie 2006 nach mehr als acht Jahren Gefangenschaft im Haus ihres Entführers entkommen konnte, war sie 18 Jahre alt. Im Anschluss daran war viel vom so genannten Stockholm-Syndrom die Rede: Das Opfer wendet sich dem Täter positiv zu, auch als Überlebensstrategie. Bothe zeigt die Zuspitzung in dieser einseitig erzwungenen „Beziehung“ an einem weiteren Un-Ort: einem Campingplatz. Die einzige Gelegenheit, zu der Maggie allein sein darf, ist unter der Dusche. Klaus wartet dann nervös vor dem Gebäude auf sie. Im Duschraum nimmt sie schließlich auch Kontakt zu einem anderen Mann auf. Der Fokus liegt auf Maggie, dem Opfer, und ihren verzweifelten Emanzipations- und später auch Fluchtversuchen. Doch auch Klaus’ Traumata kommen zur Sprache, detailreiche Fieberträume vom Leben der Bienen und der dominanten Mutter. Unter anderem sind diese Träume und seine wahnhaften Zustände im Stil eines B-Movies gestaltet, mit raunendem Stimmen-Vielklang aus dem Off. Den manchmal etwas wirklichkeitsfern exemplarischen, oft steif gesprochenen Dialogen kann man ebenso wie den Reaktionen und der Körpersprache vieles entnehmen – allerdings nicht, was genau dieser Verbindung vorausging, wie lange sie schon besteht. Spannung ergibt sich auch aus diesen Lücken, sie ist aber nicht wesentlich. Denn vor allem erzeugt „mein“ Beklemmung. „Es ist gut zu wissen, wo man hingehört“, sagt Klaus einmal zu Maggie. Sie ahnt, wo sie nicht hingehört.
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